Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Archive for September 2010

Blogosphären-Review September 2010

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Auch in diesem Monat habe ich wieder ein paar neue Blogs entdeckt:

…währnd die Bloggerszene einen herben Verlust hinnehmen musste, nämlich die Anästhesistin Anna-8er-Tubus, die plötzlich und unerwartet verschwunden ist, aber jetzt als Kinomaniac über ein ganz anderes Thema bloggt.
Ach ja… und ich fand es schön, Einige von Euch persönlich kennengelernt zu haben! Bis zum nächsten Mal!

Written by medizynicus

30. September 2010 at 23:33

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Schlagmichtot Senior (Teil 4)

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Oberarzt Biestig ist nicht unbedingt leicht zu erreichen. Das ist immer so bei dem.
„Er steht gerade am Tisch!“ sagt die OP-Schwester.
„Können Sie ihm vielleicht etwas ausrichten?“
„Moment mal…“
Im Hintergrund höre ich Klappern, Schritte, gedämpfte Stimmen und dann wieder Schritte.
„Der Herr Oberarzt sagt, nur wenn es dringend ist…“
„Es geht um einen Patienten mit Dickdarm-Karzinom…“
„Moment mal!“
Erneut Klappern, Schritte, Stimmen, Schritte.
„Der Herr Oberarzt sagt, Sie sollen einen Konsilzettel rausschreiben, er schaut sich den Patienten dann an, wenn er Zeit hat!“
„Und wann ungefähr wird das sein?“
„Heute und morgen sicher nicht mehr.“
„Äh… wirklich nicht? Wäre aber doch eher dringend!“
Abermals Klapperklapper, Tapptapptapp, nuschelnuschel, Tapptapptapp.
„Sie sollen den Bückling anrufen!“
Und damit legt sie auf. Und mir rutscht das Herz eine Etage tiefer in die Hose. Martin Bückling ist zwar Chirurg, aber bekannterweise nicht unbedingt ein Musterbeispiel an Kollegialität.
Eine Sekunde lang zögere ich, dann wähle ich seine Nummer.
„Ja?“
„Du sollst Dir einen Patienten von uns ansehen!“
„Wer sagt das?“
„Dein Oberarzt.“
„Warum spricht er nicht selbst mit mir?“
„Weil er im OP steht.“
„Geht’s um eine Übernahme?“
„Vielleicht…“
Das hätte ich nicht sagen dürfen!
„Diagnostik abgeschlossen?“
„Läuft noch.“
„Warum sollen wir ihn dann übernehmen, wenn Ihr noch gar nicht wisst, ob’s überhaupt was zu operieren gibt?“
Weil, verdammt nochmal, Ihr Chirurgen entscheiden sollt ob und wann ihr den armen Kerl unters Messer nehmt!
„Weil… weil unser Chef sagt, dass es dringend ist!“
Das zieht besser bei einem wie Martin. Der seufzt hörbar durchs Telefon.
„Schreib einen Konsilzettel und leg ihn mit Kopien von allen wichtigen Befunden in mein Fach!“
Wird gemacht, Chef! Trotzdem brauchst Du Dich nicht so aufzuplustern, Du Idiot!

Written by medizynicus

30. September 2010 at 04:59

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

glückliche Ärzte

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Dass manche Ärzte unglücklich sind, ist hinlänglich bekannt. Aber was ist mit den Anderen? Gibt es glückliche Ärzte?
Klar gibt’s die. Einige von ihnen bloggen sogar. Als da wären:

  • Josephine-Chaos: glückliche Familienmutter und Gynäkologin mit Teilzeit-Beschäftigungsvertrag
  • Aufschneiderin Avialle: jung und optimistisch mit klarem Ziel vor Augen
  • Patrick „Hell im Hals“: nach Schweden ausgewandert – dort gibt’s zwar deutlich weniger Geld als in Deutschland (gemessen an der Kaufkraft), aber wesentlich bessere Arbeitsbedingungen.
  • Holzhammer-Kormak: hat sein Schicksal selbst in die Hand genommen, als Honorararzt, selbstbestimmt, auf eigenes Risiko. Seither sieht er den alltäglichen Wahnsinn viel lockerer.
  • Und dann gibt es noch den Anderen Hausarzt. Auch er wirkt zufrieden.

Diese Kolleginenn und Kollegen sind so unterschiedlich wie es unterschiedlicher nicht sein könnte. Und doch haben sie etwas gemeinsam. Gibt es also so etwas wie ein Rezept zum Glücklichsein?
Vielleicht. Was braucht man dazu?
Zunächst einen Job, der einem Spaß macht. Wer nur deshalb Medizin studiert hat, weil er halt einen entsprechend guten NC hatte oder weil das „in der Familie so üblich war“, sollte sich früh genug eine entsprechende Nische suchen, die den eigenen Neigungen entspricht (Und solche Nischen gibt es!). Wer sich seinen Studienplatz gegen Widerstände hinweg erkämpft und das Studium unter schwierigen Bedingungen durchgezogen hat mit einem klaren Ziel vor Augen hat hingegen gute Karten.
Und dann braucht man einen Job, der einem Luft zum Leben läßt: Stressige Dienste machen mir (zumindest manchmal) richtig Spaß – tödlich hingegen ist der Tag danach, wenn man mit dunkeln Augenringen weiterarbeiten muss. Und noch tödlicher ist es, wenn man wegen ständiger Dienstbelastung keine Zeit für Privatleben und nichtmedizinische Hobbies hat (zum Beispiel Bloggen). Also: Teilzeit-Verträge aushandeln, wenn irgendwie möglich. Oder zumindest auf die Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinien achten.
Wichtig ist das Gefühl, halbwegs das Heft in der Hand zu haben und nicht Sklave der Umstände zu sein. Wer es geschafft hat, in eine Leitungsposition aufzusteigen ist zufriedener als jemand, der sein Leben lang der „Ewige Zweite“ ist.
Ach ja, und dann ist da noch das liebe Geld… aber das ist wieder ein ganz anderes Thema…

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29. September 2010 at 06:33

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Mr. Troublemaker in der Ambulanz

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Bad Dingenskirchen, Samstag Nacht um halb zwei.
Im Wartezimmer der Ambulanz sitzt Mr. Troublemaker, zwei Meter zehn, Bodybuilder, Messerträger und einschlägig vorbestraft. Mr. Troublemaker ist stadtbekannt wegen… Nomen est omen.
Und da sitzt er also, nachts um halb zwei und blutet aus einer Schnittwunde, die er sich zugegezogen hat als er dem Gegenüber die Bierflasche über den Kopf gezogen hat.
Gegenüber hat es übrigens vorgezogen, sich aus dem Staub zu machen ohne die Polizei zu rufen.
„Die Bullen brauchen wir nicht!“ sagt Mr. Troublemakers Kumpel, „Sowas regeln wir selbst. Unter Männern!“
Von den Kumpeln gibts übrigens noch zwei, alle von ähnlicher Statur. Sie riechen penetrant nach Bier und machen den mitwartenden Ambulanzpatientinnen und weiblichem Personal zweifelhafte Komplimente.
„Sollen wir die rausschmeißen?“ fragt Marvin und grinst.
Ich glaube, der Gedanke an eine handfeste Schlägerei im Wartezimmer macht ihm richtig Spaß. Mir eher weniger.
„Da ziehen wir den Kürzeren!“, sage ich, „Rufen wir lieber die Polizei!“
„Lass doch die Bullen aus dem Spiel!“
Seit der Silvesternacht hat Marvin kein großes Vertrauen mehr in unsere Ordnungshüter.
Bevor ich etwas sagen kann, hat er sich auch schon eine Unterarm-Gehstütze geschnappt und öffnet geräuschvoll die Tür zum Wartezimmer.
„Der Nächste, bitte!“ sagt er mit Blick auf Mr. Troublemaker und dann, als sich die ganze Truppe erhebt, „…und ihr geht jetzt so lange mal nach draußen eine rauchen, Okay?“
Und schon hat Marvin den Patienten ins Behandlungszimmer geschoben und in die Horizontale verfrachtet.
Draußen auf dem Gang schluft ein Trupp lässig-cooler Gestalten langsam in Richtung Ausgang. Ich schaue ihnen kopfschüttelnd hinterher.
„Die gehorchen Dir ja!“
„Sag ich doch! Solche Sachen können wir doch locker alleine regeln. Unter Männern.“ sagt Marvin und sein Grinsen hat jetzt etwas richtig Diabloisches.

Written by medizynicus

28. September 2010 at 05:14

Eine Nacht mit Jenny (Teil 2)

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Der Öffner summt und ich stapfe die Treppe hinauf. Jenny steht lässig grinsend im Türrahmen, eine Hand in die Hüfte gestemmt. Sie grinst und sieht hinreißend aus.
„Komm rein!“
„Ich hab was zu trinken mitgebracht.“
„Und die Bücher?“
Was für Bücher? Äh… ach ja… da war ja was…
„Tut mir leid… habe ich vergessen, ich war noch einkaufen!“
„Einkaufen? Abends um halb zehn?“
„Äh… ich meine…. ich habe noch wen getroffen…“
„Jemanden getroffen?“
Die Augenbrauen ziehen sich zusammen wie aufziehende Gewitterwolken.
„Nee, also… meine Tante hatte angerufen und…“
„Jetzt komm doch endlich rein!“
Die Stimme klingt wieder versöhnlicher.
Ihr Zimmer kenne ich ja schon. Sie hat den Schreibtisch umgestellt, der steht jetzt mitten im Raum.
„Magst Du etwas zu trinken? Einen Kaffee?“
„Ich hab noch etwas für nachher mitgebracht!“ sage ich und stelle die Sektflasche auf den Schreibtisch. Sie nimmt es mit einem kurzen Lächeln zur Kenntnis und macht sich dann an der Kaffeemaschine zu schaffen. Auf dem Schreibtisch liegen einige Lehrbücher.
„Fangen wir an!“ sagt sie, setzt sich und bietet mir den Platz auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches an.
Es ist Wahnsinn, was man heutzutage als Krankenschwester alles wissen muss! Ich erinnere mich dumpf an die eigenen Examensprüfungen… und die erscheinen mir jetzt Ewigkeiten weit weg.
Sehnsüchtig schiele ich auf die Sektflasche, aber die steht irgendwo in der Küchenzeile, weit außerhalb meiner Reichweite.

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27. September 2010 at 05:48

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Schlagmichtot Senior (Teil 3)

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Oberarzt Heimbach nimmt die Nachricht mit professioneller Gelassenheit entgegen.
„Die Darmspiegelung machen wir gleich morgen! Sorgen Sie bitte dafür, dass der Patient heute noch vorbereitet wird und klären Sie ihn auf! Und dann machen wir noch ein CT. Heute noch. Außerdem wäre es nicht schlecht, wenn wir die Chirurgen frühzeitig mit einbinden. Sagen Sie Herrn Biestig am besten sofort Bescheid. Je früher die involviert sind, desto besser!“
„Vorausgesetzt, die Sache läßt sich überhaupt noch operieren…“
„Das müssen die Chirurgen selbst entscheiden.“
Er legt auf und ich wende mich an Marvin.
„Kriegen wir heute noch ein CT?“
Marvin schaut auf die Uhr. Inzwischen ist es Mittagspausenzeit und mir knurrt der Magen, ganz abgesehen davon dass ich eine fast schlaflose Nacht hinter mir habe und mein Feierabend seit drei Stunden überfällig ist.
„Werd’s versuchen!“
„Sag denen, dass es ein Privatpatient ist!“
„Trotzdem eher schlechte Karten.“
„Die hat der Patient auch.“
„Kannst Du wohl laut sagen. Scheiße gelaufen.“
Richtig. Scheiße mit Blut drin.

Written by medizynicus

26. September 2010 at 06:31

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Was soll die Kasse zahlen?

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Aus. Schluß. Vorbei. Mehr Geld gibt’s nicht.
Die Arzthonorare sind hoch genug, behaupten die Politiker.
Wer sich mit unserem Gesundheitssystem beschäftigt, weiß: es gibt eine Menge Einsparungspotentiale bei Pharmaindustrie und Bürokratieabbau. Aber selbst wenn jemals politisch durchsetzbar sein sollte, hier konsequent durchzugreifen: irgendwann sind auch diese Ressourcen aufgebraucht und die Ausgaben steigen trotzdem weiter. Und spätestes dann geht’s ans Eingemachte.
Tatsache ist: Wir werden immer älter.
Der Bedarf für medizinische Dienstleistungen steigt. Aber unsere Ressourcen sind begrenzt.
Medizinischer Fortschritt sorgt dafür, dass immer mehr machbar ist, doch ist das Ganze irgendwann nicht mehr bezahlbar. Da helfen keine Schönfärbereien: Früher oder später werden wir uns also ein paar unbequeme Gedanken machen müssen.

„Bisher gilt der Grundsatz, dass das was an Bedarf da ist auch bezahlt wird. In Zukunft bestimmt nicht mehr der Bedarf die Mittel, die verbraucht werden, sondern die Mittel bestimmen die Leistungen, die noch erbracht werden können“

sagte Fritz Beske, Direktor des Instituts für Gesundheits-System-Forschung Kiel letztens.
Was also sollen die Krankenkassen in Zukunft noch bezahlen?
Dass die Behandlung einer akuten Blinddarmentzündung und eines Herzinfarktes auch weiterhin zum Leistungskatalog gehören sollten… darüber sind wir uns einig. Aber wie sieht es mit den Folgenden Dingen aus?

  • Präventiongilt als heißer Kandidat fürs Streichkonzert. Prävention sei nunmal Privatsache und nicht Aufgabe der Kassen. Dass man sich damit ins eigene Fleisch schneidet, haben die Kassen allerdings inzwischen kapiert.
  • Vorsorgeuntersuchungenmanche sind sinnvoll, manche nicht.
  • KontrazeptionWarum die Pille in Deutschland nicht von der Kasse bezahlt wird, ist mir schleierhaft
  • RaucherentwöhnungWenn’s klappt: Lebensqualität gewonnen, langfristig Kosten gespart.
  • HokuspokusmedizinWer an die Heilkraft von Kristallen und Sternzeichen glaubt soll es gerne tun, aber nicht auf meine Kosten.
  • KurenBringen die etwas, rein medizinisch gesehen? Gibt’s Studien dazu? Kein anderes Land leistet sich diesen Wahnsinn!
  • Neue Medikamente, bei denen noch kein Nachweis darüber vorliegt, dass sie erheblich besser sind als bisherige Präparateheißes Eisen…
  • Extrem teure Medikamentesind manchmal dringend notwendig und unvermeidbar. Lassen sich manchmal aber auch ersetzen. Wer soll darüber entscheiden?

Written by medizynicus

25. September 2010 at 06:20

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Schlagmichtot Senior (Teil 2)

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Ich ziehe meinen Finger aus seinem Arschloch.
Ist ziemlich viel Scheiße dran. Scheiße und ein wenig Blut. Blut in der Scheiße ist nicht gut.
„Und?“ fragt der Patient. Er hat Ringe unter den Augen, das Gesicht wirkt grau und eingefallen.
„Hmmm.“ sage ich, ziehe meine Gummihandschuhe aus und werfe sie in den Müll.
Gelbe Tonne für infektiöse Abfälle. Aus dem Seifenspender drücke ich eine doppeltgroße Extraportion bläulichen Glibber auf meine linke Handfläche, verreibe das Zeug sorgfältig und lasse den Wasserhahn rinnen.
„Alles in Ordnung?“
Nicht so richtig.
Nee. Eigentlich gar nicht.
Der Knubbel da hinten im Arschloch, der gehört da nämlich normalerweise nicht hin. Oder drücken wir uns vielleicht doch mal lieber etwas gewählter aus: Wenige Zentimeter hinter dem Darmausgang eine derbe, knotige Veränderung, die bei Berührung blutet.
„Ist bei Ihnen mal eine Darmspiegelung gemacht worden?“ frage ich.
Er schüttelt den Kopf.
„Und die allgemeine Krebsvorsorge?“
„Schon lange her… Bestimmt mindestens zehn Jahre.“
„Hmmm.“
„Ist es schlimm?“
Statt einer Antwort stelle ich eine Gegenfrage.
„Seit wie lange geht das denn jetzt schon?“
„Was meinen Sie?“
„Jetzt erzählen Sie doch bitte alles noch einmal von vorn. Wann und wie hat das angefangen?“
„Das mit dem Durchfall, meinen Sie? Seit vier Wochen…“
„Und vorher?“
„Ich hatte immer schon Probleme mit dem Stuhlgang, Verstopfung, wissen Sie. Seit Jahren. Darum habe ich mir nichts dabei gedacht…“
„Und dann?“
„Dann habe ich mich immer so schlapp gefühlt… und abgenommen habe ich auch…“
„Wann sind Sie zum Arzt gegangen?“
„Erst gestern Nachmittag. Weil das mit dem Blut nicht aufgehört hat…“
„Was hat Ihr Hausarzt gesagt?“
„Der wollte mich gleich ins Krankenhaus schicken…“
„Aber?“
„Ich hatte noch etwas zu erledigen. Ging gestern nicht. Aber jetzt sagen sie mir doch endlich, was mit mir los ist!“
Ich räuspere mich.
„Wir müssen eine Darmspiegelung machen.“
„Wann?“
„So schnell wie möglich.“
„Oh…“
„Die Untersuchung ist zwar etwas unangenehm, aber normalerweise…“
„Ist es schlimm?“
„Was?“
Der Patient wird noch bleicher als er sowieso schon ist.
„Habe ich etwa…. Krebs?“
Ich will einen Besen fressen, wenn das nicht der Fall sein sollte. Es gibt Menschen, denen sieht man die Malignom-Diagnose an der Nasenspitze an. Und dieser gute Mann gehört dazu. Aber sagen werde ich es ihm erst dann, wenn die Diagnose gesichert ist.
Und jetzt werde ich erstmal den Oberarzt informieren.

Written by medizynicus

24. September 2010 at 05:14

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Privatisierung im Gesundheitswesen: Fluch oder Segen?

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Vor ein paar Tagen habe ich über den Tod eines Patienten im privatisierten Uni-Klinikum Marburg-Gießen berichtet. Hieraus entspann sich eine spannende Debatte über Fehlermanagement.
In der Diskussion über das Ereignis hört man oft bittere Kritik an der Privatwirtschaft im Gesundheitswesen.
Aber ist das wirklich die Wurzel allen Übels, wie oft behauptet wird?
Privatkliniken hat es immer schon gegeben. Privatklinik, das klang nach Exklusivität, nach Sanatorium für Reiche und Superreiche in den Schweizer Bergen, ein Hauch von Zauberberg eben.
Dann kamen die Achtziger Jahre und die Zeit der klammen Kassen im Gesundheitswesen. 1984 wurde erstmalig ein allgemeines Krankenhaus privatisiert: Die Kommune Hürth bei Köln verschenkte es an einen Klinik-Konzern gegen die Auflage, es in den nächsten 20 Jahren nicht stillzulegen. Möglicherweise eine kluge Entscheidung: Seither ist die Anzahl der Krankenhäuser drastisch gesunken. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Experten gehen davon aus, dass sich auch in nächster Zeit immer öfter die Frage stellen wird, ein kleines Haus entweder zu schließen oder zu privatisieren.
Und was passiert danach?
Zunächst einmal: Privatisierte Krankenhäuser funktionieren. Manch ein Krankenhaus fuhr unter öffentlicher Trägerschaft jährliche Verluste in zweistelliger Millionenhöhe ein, stand also kurz vor dem Ruin und kaum war es privatwirtschaftlich betrieben, da bescherte es seinem Betreiber hübsche Gewinne. Sogar die schärfsten Privatisierungskritiker bestreiten nicht, dass privat betriebene Kliniken wirtschaftlicher, rentabler und profitabler laufen.
Aber um welchen Preis?
Ist es wahr, dass Patienten durch „hemmugsloses Profitdenken“ verkauft und Angestellte wie Zitronen ausgepresst werden, weil man sich weder an Tarifverträge muss noch irgendwelchen ethischen Werten verpflichtet ist?
Eine vom Bundesverband deutscher Privatkliniken in Auftrag gegebene Studie behauptet das Gegenteil: Die öffentlichen Häuser seien den Privaten weder in der Versorgungsqualität noch bei der Personalzufriedenheit überlegen. Und sogar ein von der Gewerkschaft Ver.di 2005 in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu keinem anderen Schluss.
Privatwirtschaftlich organisierte Kliniken sind mehr als öffentliche Krankenhäuser auf einen Guten Ruf angewiesen. Und in vielen privatisierten Kliniken können Ärzte sich sogar über höhere Gehälter freuen: Wenn sie mehr Leistung zeigen.

p.s.: Nein, es handelt sich hier nicht um einen bezahlten PR-Artikel eines privaten Klinikkonzerns sondern einfach um eine Gegenposition zu diesem Artikel – als Denkanstoss. Ein spannendes Thema übrigens.

Written by medizynicus

23. September 2010 at 06:01

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Schlagmichtot Senior (Teil 1)

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Es ist elf Uhr Vormittags, ich habe einen Dienst hinter mir und eigentlich seit mindestens zwei Stunden Feierabend, als mich die Notaufnahme anpiepst.
„Zugang!“
„Kann das nicht der Martin machen?“
„Der hat keine Zeit.“
Ich auch nicht. Außerdem will ich nach Hause.
„Worum geht’s denn?“
„Ein V.I.P“
„Wie bitte?“
„Herr Schlagmichtot Senior.“
„Wer soll das sein?“
„Kennst Du Herrn Schlagmichtot nicht? Den von der Unternehmensberatung! Das ist die Truppe, die uns privatisieren will!“
Ist okay, ich komme ja schon.
Unten treffe ich einen distinguierten Herrn in den frühen Siebzigern. Er trägt einen grauen Anzug mit Krawatte und wirkt sehr, sehr blass.
Ich begrüße ihn mit pflichtschuldiger Höflichkeit und begebe mich dann ins Hinterzimmer, wo Marvin im Fenster steht und raucht.
„Was hat der denn?“ frage ich.
„Verdacht auf Darm….“ zischt Marvin mir zu.
Die zweite Hälfte des Wortes spricht er nicht aus, aber das ist auch gar nicht nötig.
„V.a. Tumuröses Geschehen“ steht auf dem rosa Zettel vom Hausarzt.
Spätestens beim zweiten Blick auf die arme Gestalt da drüben ist mir klar, dass der Hausarzt Recht haben könnte. Ich gehe wieder nach vorn. Der Patient runzelt die Stirn und schaut zu mir hinüber. Ich bemühe mich um einen betont fröhlichen Gesichtsausdruck.
„So, dann schauen wir mal!“ sage ich und schiebe ihn in die Untersuchungskabine.

Written by medizynicus

22. September 2010 at 05:45

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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