Was hat WikiLeaks mit der ärztlichen Schweigepflicht zu tun?
Nichts? Gar nichts? Wirklich nichts? Oder doch?
Also gut, begeben wir uns wieder einmal nach Spelunkistan. Doktor Pfeiffemann ist dort Hausarzt. Und heute ist der Herr Kommerzienrat Grunznickel zu ihm in die Sprechstunde gekommen. Was fehlt ihm?
„Es geht mir gar nicht gut, Herr Doktor!“ seufzt er.
Doktor Pfeiffemann seufzt zurück. Allerdings nur heimlich in Gedanken. In Wirklichkeit schaut er seinen Patienten an, nickt ihm zu und bemüht sich um einen freundlich-interessierten Gesichtsausdruck.
„Meine Nerven, Herr Doktor,“ jammert der Herr Kommerzienrat, „Meine Nerven sind angeschlagen. Können Sie mir dafür etwas verschreiben?“
„Was schlägt Ihnen denn so auf die Nerven?“ fragt der Herr Doktor.
Der Patient schaut sich vorsichtig um. Dann fängt er an, zu berichten, mit gesenkter Stimme.
„Sie wissen doch, Herr Doktor, ich arbeite im Ministerium. Und da habe ich ein paar Sachen erfahren…“
Lassen wir die Details. Nur soviel: was da passiert, das ist schon eine ausgemachte Sauerei. Eine Korruptionsaffäre erster Güte! Nur gut, dass davon noch nichts an die Presse gedrungen ist.
„…und Sie, Herr Doktor, Sie behalten doch auch für sich, ja?“ versichert sich der Patient und legt verschwörerisch den Zeigefinger auf den Mund.
Der Herr Doktor nickt geistesabwesend, dann unterschreibt er das Rezept.
„Eine Tablette zweimal täglich!“ sagt er, drückt seinem Patienten die Hand und geleitet ihn zur Tür.
Sobald selbige ins Schloß gefallen ist, greift der Herr Doktor zum Telefon und ruft – selbstverständlich anonym und mit Anrufernummerunterdrückung den Whistleblowerjournalisten seines Vertrauens an.
„Du ich hätte da etwas für Euch….“
Nichts medizinisches. Daher keine Schweigepflicht. Wir sind ja nicht beim Pfarrer.
Ein dreifaches „hoch“ auf Doktor Pfeiffemann!
Marco
14. März 2011 at 07:46
…und Recht hat er! Wieso beichtet der Depp seinem Arzt? Korruption ist ein Verbrechen und Pfeiffemann hat ja schliesslich ein Gewissen, oder? 😉
Patrick
14. März 2011 at 08:06
@ Marco
Ich kenne die Rechtslage in Spelunkistan nicht. In Deutschland bezieht sich die ärztliche Schweigepflicht allerdings auch auf nichtmedizinische Geheimnisse, die dem Arzt im Rahmen seiner Tätigkeit über den Patienten bekannt werden.
Christian
14. März 2011 at 08:50
§ 203 Abs. 1 Strafgesetzbuch
(StGB) bestimmt, dass derjenige, der unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein
zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis
offenbart, das ihm als Arzt … anvertraut oder sonst bekannt geworden
ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft wird.
@Christian
ich bin kein Arzt; aber die Durchstechereien im Amt dürften weder zum persönlichen Lebensbereich gehören noch ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis sein. Kannst Du Deine Meinung erhärten?
bard jun.
14. März 2011 at 10:17
Wieso muß man hier die Auslegung der ärztlichen Schweigepflicht hinterfragen? Mit dem Weitertragen derartiger „vertraulicher“ Informationen begibt man sich auf Bildzeitungsniveau.
Abbo T.Karin
14. März 2011 at 10:37
Ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht liegt nur vor, wenn ich den Vorgang mit dem Namen zusammen bringe („..zum persönlichen Lebensbereich gehörend..“). Wenn ich dagegen bekannt mache, dass „ich gehört habe, dass… im Minsterium …wird“, dann hat das nix mit Schweigepflicht zu tun. Ich darf den Namen des Informaten natürlich nicht preisgeben. Das müssen die Verfolger schon selbst ermitteln. Deshalb bezieht sich die Schweigepflicht ja sogar darauf, dass ich nicht kund tun darf ob ein bestimmter Mensch bei mir Patient ist.
Genauso liegt die Situation übrigens bei Journalisten. Und die berichten ja ganz heftig darüber, dass …
der Landarsch
14. März 2011 at 10:46
Weiß jemand, in wie weit die Schweigepflicht auch greift, wenn ein Patient eine Straftat gesteht bzw. die Absicht äußert eine zu begehen?
achtelgott
14. März 2011 at 11:39
jemand mit einer derart malignen Kombination aus Dreistigkeit, Dummheit und Uneinsichtigkeit gehört verpfiffen… Pfeiffemann hat ja sichergestellt, dass er nicht identifiziert werden kann, also stellt sich die Frage der Schweigepflichtverletztung nicht… 😉
Patrick
14. März 2011 at 11:45
Ich dachte, der Arzt darf die Schweigepflicht vergessen, sofern eine Gefahr für dritte durch den Patienten besteht, oder zumindest so ähnlich die Formulierung. Christian, sag mal was dazu!
zwerg
14. März 2011 at 12:37
@zwerg: So ähnlich habe ich (Physio, weiß nicht ob die ärztliche Schw.pfl. da erweitert ist) das auch mal gelernt, glaube ich. Zur Verhinderung eines Verbrechens…oder so.
lola
14. März 2011 at 14:14
[…] Ein modernes Märchen hat uns Medizynicus aufgetischt. Der Fall ist so unrealistisch, dass es wieder Spaß macht darüber nachzudenken. […]
Ein modernes Märchen « Das Gesundheitsunwesen
14. März 2011 at 14:36
Schweigepflicht hin oder her, der Mann hat den Arzt gebeten, dass er es nicht weiterträgt. Auch ohne Schweigepflicht ist es nicht nett, das trotzdem weiter zu sagen.
Blogolade
14. März 2011 at 19:40
@ Blogolade: der (fiktive) Depp hat ein Verbrechen oder zumindest das Wissen um ein Verbrechen eingestanden, selbst schuld…
Patrick
14. März 2011 at 19:47
Hallo geht´s noch?
Es ist egal, ob der Patient ein Verbrechen gesteht was er getan hat oder ob es eine große administrative Mauschelei ist. Wenn er es einem Arzt erzählt (übrigens selbst dann, wenn es bei einer Privatfete im Vertrauen auf die ärtzliche Funktion im Berufsleben), hat der Arzt darüber Stillschweigen zu wahren.
Anders sieht es mit selbst und fremdgefährdung (geplanter suizid oder Mord aus) dann ist Gefahr im Verzug und der arzt kann im Rahmen einer Güterabwägung zum bekanntmachen entscheiden.
brassophoenix
15. März 2011 at 19:35
@Landarsch: Du irrst Dich. Journalisten und ärztliche Schweigepflicht sind zwei völlig unterschiedliche Stiefel.
Journalisten haben Quellenschutz, d.h. sie müssen ihre Quelle nicht angeben.
Bei Ärzten, Apothekern, Anwälten etc. ist es so, dass sie Dinge, die Ihnen im Rahmen Ihrer ärztlichen Tätigkeit anvertraut wurden, nicht weitergeben dürfen.
Oder anders ausgedrückt: Die Intention des Gesetzgebers ist bei Journalisten, dass sie berichten SOLLEN und dabei ihre Quellen geschützt werden, da sonst eine freie Presse nicht möglich ist.
Bei den anderen Berufsgruppen ist das anders: Diese sollen über ihre Patienten, Mandanten, etc. eben NICHT berichten, um die Patienten, Mandanten, etc. eben zu schützen.
Steven
16. März 2011 at 10:07
@Medizynikus:
Die jounalistische Weitergabe von Daten, egal aus welcher Quelle, ist legal.
Was allerdings nicht legal ist, ist, dass im Fall WikiLeaks der Soldat Bradley Manning diese Daten an Journalisten weitergegeben hat. Das darf er als Soldat nämlich nicht und dafür sitzt er auch in Haft.
Ob er das zu Recht (amerik. Gesetz zu Whistleblowing) oder zu Unrecht (Geheimnisverrat) tut, müssen amerikanische Gerichte entscheiden.
Das verhält sich bei Ärzten komplett genauso.
Steven
16. März 2011 at 11:00