Archive for Juli 2011
Medizynicus macht mal Pause
…und zwar einen ganzen Monat lang. Ist ja auch schließlich Urlaubs-Sommer-Ferien-Sauregurkenzeit, auch wenn das Wetter in diesem Jahr… lassen wir das.
Hier in Bad Dingenskirchen geht jedenfalls alles seinen gewohnten Gang, es wird gelebt und geheilt und gestorben wird hier manchmal auch. Das lä0t sich nun einmal nicht vermeiden, wir sind ja schlie0lich ein Krankenhaus. Das Leben vieler Menschen endet nun einmal heutzutage in solchen Institutionen. Anfangen tut’s hier ja in der Regel auch. Und darum tun wir hier nicht nur sterben, sondern vor allem auch leben und lieben, wir sind ja schließlich ein fröhliches Krankenhaus. Und ganz besonders fröhlich sind wir dann, wenn wir Urlaub haben.
Und aus diesem Grund werde ich im August Pause machen vom Krankenhausbloggen.
Natürlich werde ich weiterbloggen. Aber im August gibt’s keinerlei Krankenhaus- oder Gesundheitsthemen. Da geht’s um alle möglichen Sachen, worum genau, weiß ich noch nicht, ist ja auch schließlich noch nicht August… nur Eines verrate ich Euch schon: um Bücher wird es gehen. Und vielleicht auch um Reisen. In diesem Sinne Euch allen noch einen schönen Sommer… oder so!
die beste medizinische Website des Jahres…
…die wird von der Ärztekammer Niedersachsen gesucht.
Teilnehmen darf allerdings nur, wer Arzt ist und in Niedersachsen wohnt (dass nicht-ärztliche Gesundheitsdienstleister oder im schlimmsten Fall sogar Medizinjournalisten eventuelle in der Lage wären, gute medizinische Webseiten zu erstellen, ist der Ärztekammer möglicherweise entgangen, aber egal).
Der Andere Hausarzt jedenfalls erfüllt diese Bedingungen und damit nominiere ich ihn hiermit in aller Form.
Werde! Land! Arzt!
In Deutschland gehen die Lichter aus. Äh… echt jetzt?
Jedenfalls gibts hier bald keine Ärzte mehr. Dafür aber viele, viele alte und Kranke Menschen, die einen Arzt brauchen. Vor allem auf dem Land, denn da leben die Alten und Kranken und die jungen dynamischen Ärzte wollen da nicht hin. Also müssen wir die jungen Leute dazu bringen, Arzt werden zu wollen und aufs Land zu gehen, sagen Politiker und Standesfunktionäre, ist doch echt super toll da auf dem Land, kommt her, schaut Euch um, könnt Ihr eine Menge Kohle machen und ist doch gar nicht so schlimm, da draußen gibts inzwischen auch schon elektrischen Strom und fließend Wasser aus der Leitung. Und wenn man Euch nachts mal rausklingelt… jo mei, des passt scho, wegen so’n büschen Tüddelskram, da macht Euch mal nicht ins Hemd, ja?
Ist alles Quatsch, sagen die Krankenkassen, wir haben genug Ärzte, sogar viel zu viele davon. Ist klar.
Aber was stimmt denn jetzt?
Lohnt sich das Landarztdasein, auch dann, wenn man nicht mit Leib und Seele mit der heimischen Scholle verbunden ist und auch mal Feierabend haben will und Zeit für die eigene Familie oder das eine oder andere abstruse Hobby (zum Beispiel Blogs schreiben)?
Alte Hasen – zum Beispiel Der Andere Hausarzt sind optimistisch – diejenigen, um die es geht, hingegen sind eher kritisch… und nicht ohne Grund, wie der Erfahrungsbericht einer werdenden Allgemeinmedizinerin aus Brandenburg zeigt.
Mehr zum Lesen:
- Deutsches Ärzteblatt: bis 2020 werden 74000 Ärzte gebraucht
- Spiegel Online: Land ohne Arzt
- Der Andere Hausarzt: Zehnteiliges Plädoyer für das Landarztleben
- Spiegel Online: Regierung will mehr Ingenieure und Ärzte ins Land holen
- Spiegel Online: Zuwanderung: Deutschland, was bietest du?
- Praxis und Familie – eine Werbeseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
- Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Ärzteatlas 2011
- Nochmal Spiegel Online: Ärzte aus dem Osten anwerben?
- Junge Allgemeinmdiziner Deutschlands
- Erfahrungsbericht einer Ärztin in Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin in Brandenburg
Der Mythos vom Wassertrinken
Jenny hat immer eine kleine Wasserflasche bei sich.
„Gerade jetzt im Sommer muss man doch viel trinken,“ sagt sie, „die meisten Leute trinken doch viel zu wenig!“
Genau das erzähle ich auch täglich meinen Patienten: ein wiederkehrendes Mantra, hundert Mal pro Woche: mit dem Alter läßt das Durstgefühl nach und wer dann dazu noch dement ist, der rutscht während der heißen Jahreszeit in die Exsikkose und landet dann im Kankenhaus, wo ihm die Schwester die Schnabeltasse an den Mund hält und der Doktor flugs eine Infusion anlegt…
Und auch Gesunde trinken viel, viel zu wenig, hört man oft von denen, die um unserer aller Gesundheit besorgt sind. Also, trinken, Leute, trinken, trinken, trinken! Am besten natürlich istotonisch-esoterische Gesundheitsgetränke.
Stimmt gar nicht, behaupten Wissenschaftler jetzt.
Wer nicht dement ist und keine schweren Krankheitsdiagnosen mit sich herumschleppt, braucht nur dann zu trinken, wenn er Durst hat, alles andere hilft nur der Getränkeindustrie.
Na denn, Prost!
Die königliche Hoheit und das Schlangenöl
Okay, schon Obelix hat gewusst, dass die Briten spinnen.
Und so ein bißchen Schrulligkeit, das macht sie ja eigentlich sogar ganz sympathisch, dieses kleine Völkchen von der Insel.
Ja, und seine königliche Hoheit, also seine möglicherweise künftige königliche Hoheit, der ist ganz besonders schrullig, der verkauft nämlich Schlangenöl.
Schlangenöl? Im angloamerikanischen Sprachraum steht Snake Oil synonym für wirkungslose Quacksalbermedizin, und so etwas vertickt Prince Charles seit geraumer Zeit, wobei er seinen königlichen Namen verkaufsfördernd einsetzt. Da hat er sich in der Vergangenheit schon so einige Abstrusitäten geleistet (auch Medizynicus berichtete bereits).
Unübertroffen ist der Kommentar des emeritierten Wissenschaftlers Michael Baum:
Mit Respekt, Eure Hoheit, Sie haben da etwas falsch verstanden… Ihre Macht und Autorität [in Bezug auf medizinische Fragen] beruht lediglich auf einem Zufall Ihrer Geburt.
Krebs-Spontanheilung?
Okay, es ist Wochenende und beim Schlendern durch die Stadt leuchtet mir am Zeitungskiosk das Titelbild der „Zeit“ entgegen. Und da gerade Wochenende ist und außerdem Regenwetter investiere ich die vier Euro und ziehe mich mit einem halben Kilo großflächigem Lesestoff ins nächstgelegene Cafe zurück.
Die Lektüre der Titelgeschichte macht mich nachdenklich.
Es geht um Gesundheit, Selbstheilungskräfte und auch um Spontanheilung bei Tumorerkrankungen (Einer der Artikel ist auch online verfügbar).
Lasst mich den Inhalt mal kurz zusammenzufassen:
- Auch wenn man nicht zum Arzt geht, hat man gute Chancen, wieder gesund zu werden. Bei harmlosen Bagatellerkrankungen ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht ziemlich groß. Auch bei schwerwiegenderen Krankheitsbildern kommt es vor. Und gelegentlich, ganz, ganz selten auch bei Krebserkrankungen
- Spontanremissionen bei bösartigen Tumorerkrankungen kommen also vor. Auch dann, wenn man die Fehldiagnosen abzieht (also wenn ein Doktor einen Krebs diagnostiziert hat wo gar keiner war und ein anderer Doktor das dann richtiggestellt hat) läßt sich das Phänomen nicht wegdiskutieren
- Dieses Phänomen ist wissenschaftlich kaum erforscht und es lässt sich auch nur sehr schwer erforschen
- Tatsache ist: optimistische, positiv und „kämpferisch“ denkende und auch gläubige (sic!) Menschen haben eine größere Chance
Daraus folgern wir: Glaube kann nicht nur Berge versetzen, sondern auch heilen. Und ob man einen Gott, den Heiligen Sowienoch oder die heilige Kristallaurahokuspokustherapie glaubt, spielt gar keine große Rolle… Oder sehe ich das falsch?
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Wer Arzt ist, hat mindestens sechs Jahre lang gelernt. Und wer nach erfolgreichem Staatsexamen seine erste Stelle antritt weiß, dass er noch mindestens fünf Jahre weiter lernen muss.
Die praktischen Fähigkeiten, auf die es in unserem Beruf ankommt, die lassen sich nun einmal nur schwer in Form von Vorlesungen und Seminaren an der Uni vermitteln, die muss man üben, üben, üben, mit richtigen Patienten, unter Aufsicht eines erfahrenen Kollegen.
Bei den Chirurgen ist es das Operieren, bei den Internisten sind es vor allem die verschiedenen Untersuchungstechniken: anfefangen vom Sonografieren bis hin zu Magen- und Darmspiegelungen.
Wer lernen will, muss dafür teuer bezahlen: Buckeln für Protektion, das war Jahre- bis Jahrzehntelang die unausgesprochene Regel eines jeden Assistenzarztdaseins: Wer immer schön nett zu seinem Oberarzt war, ihm tagsüber brav die lästige Stationsalltagsarbeit weggearbeitet hat, der bekam dann ab und zu, wenn er ganz, ganz lieb war auch etwas beigebracht. Und in seier Freizeit durfte man dann noch die notwendigen teuren Kurse und Seminare besuchen…
So war das also. In der guten, alten Zeit, die bis ziemlich genau heute andauert.
Und weil das besser werden soll, haben ein paar Kollegen eine Petition gestartet, in der es um die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Assistenzärzten und Assistenzärztinnen geht.
Also, bitte, bitte unterschreiben… vielelicht ändert sich dann was!
Wir basteln uns eine Krankheit
Wer will nochmal, wer hat noch nicht?
Wer immer noch ohne Diagnose ist, dem kann geholfen werden. Eine neue Krankheit zu herzustellen, ist nämlich gar nicht so schwer. Oh… nein, keine Angst, hier wird nicht mit neuen Bazillen oder gentechnisch veränderten Killertomaten gearbeitet, nee, sowas ist natürlich viel zu gefährlich, also Finger weg. Ich habe mich auch vielleicht ein wenig falsch ausgedrückt: es geht ja eher darum, eine neue Krankheit zu erfinden… also ich meine natürlich, zu finden, also eine Krankheit, die es eh schon gibt, die sogar sehr verbreitet ist, die aber noch kein Mensch kennt, weil sie eben bislang unentdeckt ist… also unerforscht und so…
Wie bitte? Dazu braucht man ein Forschungslabor mit sündhaft teuren Geräten und vielen fleißigen und motivierten Mitarbeitern und dazu noch einen Haufen klinischer Erfahrung? Pustekuchen! Es geht auch ohne. Eigentlich braucht man noch nicht einmal ein abgeschlossenes Medizinstudium, nee, man braucht überhaupt nicht studiert zu haben um eine neue Krankheit zu bauen (auch Balthasar könnte das, aber der ist bekanntlich eher daran interessiert, neue Therapien zu entwickeln, was ja irgendwie zusammengehört, aber dazu kommen wir noch später).
Also gut. Gehen wir in Medias Res. Legen wir los.
Als erstes brauchen wir einen Namen. Der sollte vielleicht ein bißchen lateinisch klingen, oder, noch besser englisch. Und eine schicke Abkürzung muss es geben. MoDe zum Beispiel. Klingt doch gut, nicht? Oder lieber MoDS?
Dahinter verbirgt sich nämlich das Motivationsdefizitsyndrom, das gibts auch auf Englisch und war leider nur’n Aprilscherz, aber wir könnten es ja trotzdem mal neu erfinden.
Das ist nämlich die nächste Regel: auch das, was schonmal dagewesen ist, kann man ruhig neu erfinden, man muss ihm nur einen neuen Namen geben.
Und dann muss man dafür sorgen, dass möglichst viele Leute dran leiden, aber das ist dann schon der übernächste Schritt.
Irgendwer noch ohne Diagnose?
Also, ich bin gesund. Denke ich zumindest… äh… dachte ich… früher mal…
Nee, also krank bin ich wirklich nicht…. oder…. ob das Zwicken in meinem Ohr nicht doch etwas ernstes sein könnte?
Nee, so einer bin ich nicht, wirklich nicht. Ich hab ja noch nichtmal Rückenschmerzen. Und war seit Jahrzehnten nicht mehr beim Zahnarzt, weil, wenn ich da hingehen täte, dann würde der garantiert was finden, und aus demselben Grund gehe ich ja auch mit meinem Auto nicht zum TÜV, wobei ich lieber auf mein Auto verziichten täte als auf meine Zähne, ehrlich gesagt. Aber das führt jetzt vom Thema weg… was ich sagen wollte ist: Wer glaubt, gesund zu sein, kennt bloß noch all die Diagnosen nicht, die man bei ihm stellen könnte, wenn man lange genug suchen würde…. aber dieser Spruch hat ja bekanntlich einen längeren Bart als der Weihnachtsmann.
Ja, und deshalb wollte ich Euch jetzt mal fragen:
Was für Diagnosen schleppt Ihr denn da so mit Euch herum?
Also, nur diejenigen von Euch, die wirklich kerngesund sind, natürlich?
Gar keine? Nee, das gibts nicht!