Archive for August 2011
Blogopausenende: Medizynicus ist wieder da… bald wieder richtig!
So, zwar sommert es draußen im Lande immer noch und eigentlich sommert es jetzt seit einigen Tagen erst richtig und wer weiß wie lange noch, aber die Blogopause von Medizynicus nähert sich jetzt allmählich dem Ende.
Was gibt’s also?
- Natürlich wieder jede Menge Alltagswahnsinnsgeschichten aus Bad Dingenskirchen
- …aber neben Lach- soll auch den Sachgeschichten mehr Platz eingeräumt werden, wobei es gerade bei „ernsthaften“ Themen Zusammenarbeit mit anderen Bloggern und Autoren geben wird.
- Auch Gastbeiträge sind sind verschäftt gerne gesehen!
- Das Wochenende ist von nun überwiegend an den Off-Topic Beiträgen vorbehalten.
…das also erstmal nur als kurzer Gruß in die Runde und ab morgen geht’s dann wieder richtig los!
Gastbeitrag: Die Notdienst-Mafia oder: Intransparenzen im Gesundheitswesen
Dies ist ein Gastbeitrag, welcher ursprünglich von Dr. Großes Rad unter dem Titel Intransparenzen im Gesundheitswesen auf der Seite www.der-neue-hippokrates.com veröffentlicht worden ist:
In welchem Staat leben wir eigentlich? Wenn ich die Verstrickungen im deutschen Gesundheitssystem sehe, dann denke ich eher an Berlusconis Italien oder das Gebahren eines afrikanischen Stammesfürsten als an einen deutschen, transparenten Rechtsstaat, bei dem alles geregelt ist. Zum Beispiel werden Kassenzulassungen für (…) Arztpraxen zwar im Ärzteblatt der jeweils zuständigen Landesärztekammer ausgeschrieben. Doch teilen mir mehrere Kollegen gleich mit, das sei nur „pro forma“ so, die Zulassungen würden in Wirklichkeit längst vorher unter der Hand verkauft. Wieso eigentlich verkauft? Ich dachte, die Kassenärztliche Vereinigung vergibt die Kassenzulassungen an Ärzte, damit eine lückenlose Versorgung der Patienten sichergestellt ist. Na ja, das sei für den Patientenstamm, raunt mir ein Kollege zu. Ach so, weil ich seine Patienten weiter betreuen darf, wenn mein Vorgänger weggeht, muss ich einige zehntausend Euro bezahlen? Ich schüttle innerlich den Kopf. Was für ein verqueres System.
Nebenbei möchte ich Notdienste machen und frage Kollegen, wie ich da vorgehe. „Du musst jemand kennen, der dort etabliert ist, über den Du dann dort reinkommen kannst“, sagt mir der Kollege, der gute Kontakte hat und den Obmann, so heißt der Leiter von einer Notdienstzentrale, kennt. „Ich frage den Horst mal, der Obmann in Buxtehude ist und lege ein gutes Wort für Dich ein.“ Warum ich den Obmann denn nicht selber fragen könne. Ja, könnte ich schon, aber damit würde ich wohl nicht dort arbeiten können, das ginge so nicht. Also ruft er den Horst an, ich gehe zum Vorstellungsgespräch und dann zur Dienstbesprechung. Es werden die Dienste für das nächste halbe Jahr eingeteilt. Der Dienstplan, der an die Wand projiziert wird, ist aber schon fast vollständig ausgefüllt. Ich frage einen Kollegen, der neben mir sitzt. Ja, zuerst bekommen die Ärzte, die in einer Praxis niedergelassen sind den Plan, dann nach einigen Tag die, die schon länger dabei sind. Jetzt würden an die Ärzte, die noch nicht so lange Dienst machen, nur die unbeliebten und schlechter bezahlten Restdienste vergeben. Das sei halt so.
Auf der Suche nach weiteren Notdienstzentralen, bei denen ich mitarbeiten kann, stoße ich auf Kollegen, die mich irgendwo einschleusen wollen, auch, um Dienste loszuwerden. Meist sind dort die Dienste nicht so gut bezahlt. In den größeren Städten, wo die Notdienste sich noch lohnen, da halte R. den Daumen drauf, dass man dort nicht reinkomme. R. ist ein Kollege, der auch in meiner Zentrale mitarbeitet. Er kenne die Obmänner verschiedener Zentralen gut und man solle ihn sich warm halten, berichtet mir eine Kollegin. Komisches System. Warum kann ein Arzt nicht einfach die Kassenärztliche Vereinigung (KV) fragen, wo Ärzte für die Notdienste gebraucht werden, die KV nennt dann den Obmann. Dann bewerbe ich mich als Arzt dort, führe ein Bewerbungsgespräch und fange an. Notfalls lasse ich mich halt noch mal auf eine Warteliste setzen. Das wäre doch transparent!
Ein befreundeter Kollege musste sich für seine Notdienstzentrale jetzt ein neues Kartenlesegerät für 350 Euro kaufen und ein Abrechnungsprogramm für seinen PC besorgen, da die Abrechnung der Notdienste seit dem 1.1.2011 nur noch online geht. Nach einigen Schwierigkeiten und Hilfe von Kollegen kommt schließlich die Bestätigung der Software, dass alles funktioniert hat. Nur 2 Quartale (gleich 6 Monate) später kommt dann das Geld. 5% seien ihm abgezogen worden, weil er nicht online abgerechnet habe. Ein Anruf bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung klärt, dass sich die KV geirrt hat. Er hatte ja online abgerechnet. Und jetzt würde ihm sein Geld gleich überwiesen, das noch fehle? Nein, nein, so einfach sei das nicht, sagt der Herr am anderen Ende der Leitung. Er müsse erst einmal Widerspruch einlegen, dann würde er das Geld in einigen Monaten erhalten. Geht’s nicht noch komplizierter und unfairer?
Doch geht es: Bei der Buchhaltung fällt einem Kollegen, der zum größten Teil von Notdiensten lebt, auf, dass das komplette Honorar einer Notdienstzentrale auch nach 7 Monaten noch fehlt. Er hakt bei der KV nach. Ja, in diesem Gebiet würden jetzt mehrere Notdienstzentralen zusammengelegt. Das dauere noch mit der Bezahlung. Er bekomme sein Geld erst in weiteren 6 Monaten. Proteste, dass er aber jetzt seine Kosten bezahle müsse, fruchten nichts. Das sei halt so. Ach so.
Das sind nur einige wenige Beispiele über die Verstrickungen und Intransparenzen im Gesundheitssystem. Ein Amigo-Geflecht, seltsame Hierarchien und Protektionismus nach außen kennzeichnen es. Hier ist ein Kahlschlag mit neuer, klarer Strukturierung und Honorierung dringend notwendig.
Der Neue Hipokrates ist eine „interaktive Internetzeitung für das Gesundheitswesen“ und besteht seit 2008. Schwerpunkte Berichterstattung sind unter Anderem die Situation von Ärzten in Weiterbildung, Privatisierung im Gesundheitswesen und die hausärztliche Medizin.
Keine Pseudonyme mehr im Netz? Pack die Keule aus, Minister!
Ach nee, wieder mal das alte Spiel:
Ein Fieslng macht was furchtbar Böses, alle sind zu Recht empört und dann stellt man gemeinsam fest, dass das böse, böse Internet schuld ist:
Weg mit der Anonymität! Hosen Runter im Netz, fordert unser Innenminister.
Okay, fordern kann er viel… bleibt nur zu hoffen, dass diejenigen, welche am Gesetzemachen beteiligt sind auch auf die vernünftigen Stimmen hören.
Sind Pseudonyme böse?
Ist doch alles unseriös, was Du da machst, sagt Waldi.
Waldi ist übrigens mein innerer Schweinehund. Eigentlich ist er ein ganz netter Kerl, aber manchmal kann er ganz schön nerven.
Wieso unseriös, frage ich zurück.
Ja, weil, wenn Du eine Meinung hast, dann kannste auch offen dazu stehen, sagt Waldi.
Tu ich doch, sage ich, aber ich habe meine Gründe fürs anonym-sein…
Und die Leute von Fratzbuch und Google Plus, die haben auch ihre Gründe dafür, so schräge Subjekte wie Dich rauszuschmeißen, sagt Waldi.
Schräge Subjekte?
Neee, Waldi, das war jetzt zuviel! Leckerlis gibt’s heute jedenfalls keine mehr!
- Netzpolitik.org
- Metronaut.de – Debatte zum Thema
- TAZ.de: Beispiel – Fragen beim Bewerbungsgespräch nach Forum-Kommentar
- Sueddeutsche Zeitung Online – Diskussionsbeitrag
Urlaubs-Nachdenkerei: Wer bin ich eigentlich?
Es ist Sommer und ich geh im Walde so vor mich hin. Nichts zu suchen, das ist mein Sinn, oder so ähnlich. Und wer nichts sucht, der findet sein inneres Qui-Gong, Karma, Zen, oder… ja, was eigentlich?
Medizynicus, so heiße ich in diesem Blog. In anderen Internetcommunities heiße ich vielleicht anders, oder auch nicht. Meine Patienten reden mich mit Herr Doktor an, wobei es nichts zur Sache tut, ob ich meinen Doktortitel bei Aldi im Sonderangebot gekauft oder mit ehrlicher akademischer Arbeit erworben habe oder auch gar nicht. Freunde und so nennen mich beim Vornamen, mein Sachbearbeiter vom Finanzamt verwendet eher den Nachnamen.
Äh… was wollte ich jetzt eigentlich sagen?
Also, egal, wie viele Identitäten man so mit sich herumschleppt, die neue Steuernummer bringt sie alle zusammen, und Google und Fratzbuch tun ihr Übriges. Wann wird es wohl möglich sein, seine Online-Pseudonyme in den Personalausweis eintragen zu lassen?
Oder Namen und Geburtsdatum auf Antrag zu ändern, wenn man Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden ist?
Aber warum zerbreche ich mir darüber eigentlich den Kopf? Und so gehe ich weiter im Walde so vor mich hin, um nichts zu suchen, das ist mein Sinn, und frage mich, von wem dieser Spruch wohl stammen mag…
Lese-Sommer: „Caravan von Marina Lewycka“
Was ist das?
Eine sozialkritische Studie über osteuroäische Wanderarbeiter und deren haarsträubenden Arbeitsbedingungen auf dem Erdbeerfeld oder in der Hühnerfabrik? Eine Studie über Parallellesellschaften der Illegalen und Ausgebeuteten in England? Ein Road-Movie? Ein Krimi über böse Menschenhändler und schmierige Fieslinge im Mafia- und Rotlichtmillieu? Eine ergreifende Herz-Schmerz-Geschichte zwischen zwei jungen Leuten, die sich ganz lieb haben, aber über zweihundert Seiten brauchen, bevor sie sich kriegen? Oh, sorry, mehr will und darf ich ich nicht verraten!
Jedenfalls ist der Autorin mit ihrem zweiten Roman (den ersten habe ich auch schon verschlungen! Erzähle ich vielleicht später auch noch von) wieder mal ein großer Wurf gelungen.
Genau der richtige Einstieg für den Medizynicus-Lesesommer!
(Jetzt könnte ich schreiben: Prädikat – äußerst Lesenswert, aber das klingt zu abgedroschen)
- Marina Lewycka „Caravan“, 380 Seiten, Deutscher Taschenbuch Verlag (1. Oktober 2007), ISBN-13: 978-3423246217, EUR 14.-