Archive for Oktober 2012
betr.: Herr Schlapplinski (Teil 6)
Sehr geehrter Herr Kollege Retterspitz,
wir bedanken uns für die freundliche Zuweisung von Herrn Schlappliniski, Johann, der sich letztens kurzzeitig in unserer stationären Behandlung befand und berichten über den Verlauf der Behandlung in unserem Hause.
Diagnose:
Kognitiver Abbauprozess
Ungeklärte häusliche Versorgungssituation
Anamnese:
Der Patient berichtet, nicht im Krankenhaus bleiben zu wollen.
Fremdanamnestisch ist zu erfahren, dass angeblich pathologische Laborwerte erhoben worden sind, außerdem sei der Blutdruck recht hoch.
Vegetative Anamnese:
(Fremdanamnese durch Ehefrau): In der letzten Zeit zunehmende Verwirrtheit, außerdem Gewichtsverlust.
Sozialanamnese:
Der Patient lebt mit seiner Ehefrau. Nach Angaben der Ehefrau ist die Versorgungssituation nicht geklärt.
Therapie und Verlauf:
Bereits kurz nach dem Eintreffen hat sich der Patient mit unbekanntem Ziel von der Station entfernt, ist jedoch glücklicherweise eine Stunde später wieder aufgetaucht.
Am Nachmittag verschwand er erneut. Trotz Ausschwärmens aller Mitarbeiter konnte er auf dem Klinikgelände nicht gefunden werden. Die Angehörigen wurden unverzüglich benachrichtigt.
In Anbetracht der kühlen Außentemperaturen und der drohenden Dunkelheit baten wir in Sorge um den Patienten die Polizei um ihre Mithilfe bei der Personensuche.
Letzendlich erfuhren wir von der Ehefrau, dass der Patient unversehrt zu Hause aufgetaucht war.
Die Angehörigen wurden darüber informiert, dass die Abklärung der marginal pathologischen Laborparameter sowie des mäßig erhöhten Blutdruckes durchaus auch ambulant durch den Hausarzt erfolgen kann. Sollten Sie diesbezüglich überfordert sein, bieten wir gerne unsere Hilfe an.
Die Abklärung einer unklaren Versorgungssituation und einer fortschreitenden Demenz mit zusätzlichem Gewichtsverlust ist selbstverständlich ein legitimer Einweisungsgrund. Nur wären wir in diesem Fall dankbar für eine kurze Kommunikation – gerne auch telefonisch – über die Erwartugen und Ziele des geplanten Klinikaufenthaltes.
Letztendlich möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir weder ein Gefängnis noch eine geschlossene Anstalt sind. Wenn Sie uns einen Patienten schicken, klären Sie bitte im Vorfeld ab, dass er auch bei uns bleibt.
Auch mit dementen Menschen kann man reden.
mit kollegialen (ja, von mir aus auch freundlichen Grüßen),
Dr. Benno Armschlag,
Stationsarzt
Written by medizynicus
31. Oktober 2012 at 08:04
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Herr Schlapplinski (Teil 5)
Ja, und jetzt wird’s richtig spannend!
Eine halbe Stunde später tauchen zwei uniformierte Herren auf. Irgendwie wissen sie auch nicht so richtig, wie sie die Sache angehen sollen. Die Personenbeschreibung, die ich ihnen geben kann, ist jedenfalls eher dürftig.
Wie Herr Schlapplinski aussieht? Na ja… so’n älterer Herr halt, eher schmächtig, schütteres graues Haar, Brille…
Was hatte er an?
Wenn ich das bloß noch wüsste! Irgend so eine Art Jogginganzug? Einen grauen Strickpullover? Keine Ahnung!
Aber dann taucht zum Glück die Enkelin wieder auf… sie hat auf ihrem Handy noch ein Photo von ihm… aber wie bekommt man das Photo vom Handy runter? Einer der Polizisten versucht, das Bild mit seinem eigenen Handy abzufotografieren.
Dann wird telefoniert, Funksprüche werden abgesetzt, eine weitere Streife wird herbeordert und dann…
„Vielleicht könnte ich ja noch einmal bei der Oma anrufen!“ meint die Enkelin…
Wir alle starren sie gespannt an, während sie die Nummer wählt.
Und dann….
….dieser Ausdruck von Erleichterung auf ihrem Gesicht.
„Er ist zu Hause!“ berichtet sie, nachdem sie aufgelegt hat.
„Wie?“
„Meine Oma ist gerade vom Einkaufen zurück gekommen. Er hat vor der Haustür auf sie gewartet.“
„Na, Glückwunsch!“
„Soll sie ihn zurückbringen?“
„Um Himmels Willen!“ sagt Kalle und schüttelt vehement den Kopf.
„Aber der Hausarzt meinte, seine Blutwerte…“
„…die kann der Hausarzt selber kontrollieren. Rufen Sie ihn morgen früh an. Und bevor Sie Ihn wieder zu uns bringen, klären Sie ab, ob er wirklich hierbleiben will!“
„Aber meine Oma sagt, wegen seiner Demenz…“
„Auch demente Menschen dürfen einen Willen haben. Und glauben Sie, demente Menschen sind zu Hause am besten aufgehoben!“
Written by medizynicus
31. Oktober 2012 at 03:03
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Herr Schlapplinski (Teil 4)
Die attraktive Mittzwazigerin steht etwas verloren auf dem Flur herum.
„Kann ich Ihnen helfen?“ frage ich.
„O ja, ich suche meinen Opa!“
„Ihren Opa? Wie heißt der denn?“
„Schlapplinski… Johann Schlapplinski….“
Mir fällt die Kinnlade herunter.
„Sie sind die Enkelin von Hern Schlapplinski?“
Sie schaut mich erstaunt an.
„Es hieß, er sei hier auf der Station, in Zimmer…“
„Da ist er aber nicht?“
„Da ist er aber nicht!“
„Wo ist er dann?“
„Das war eigentlich meine Frage…“
„Ich dachte, er wäre mit Ihnen spazieren gegangen…?“
„Haben Sie etwas dagegen? Nur ein paar Schritte, draußen im Park, er war früher immer so….“
„Finden Sie ihn zuerst!“
„Das heißt, er is nicht hier?“
Mit einer Handbewegung bitte ich die Dame, mir ins Arztzimmer zu folgen und nötige sie, sich zu setzen.“
Ich räuspere mich.
„Ihr Großvater ist…“
Erneutes Räuspern.
„Ihr Großvater ist… ähem… vor einer Stunde spurlos von hier verschwunden!“
Sie wird bleich.
„Und jetzt?“
„Jetzt schwärmen wir aus!“
Und das tun wir dann auch. Alle verfügbaren Kräfte setzen sich in Bewegung… durchkämmen das ganze Haus, bis in den hintersten Winkel des Heizungskellers. Nach einer Stunde geben wir ergebnislos auf.
„Und jetzt?“ fragt die Enkelin.
„In einer Stunde wird es dunkel!“ sagt Schwester Paula, „und es ist verdammt kalt draußen!“
„Wir rufen die Polizei!“ entscheidet Kalle.
Written by medizynicus
30. Oktober 2012 at 18:15
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Herr Schlapplinski (Teil 3)
Ich starre Jenny an.
„Was heißt, Herr Schlapplinski ist weg?“
„Na, halt weg… nicht mehr da…“
Momentmal, das hatten wir doch vorhin erst schon!
„Habt Ihr alles abgesucht? Toilette? Raucherbalkon? Cafeteria?“
Jenny schüttelt den Kopf.
„Alles Fehlanzeige!“
„Hast Du sonst noch eine Idee?“
Jenny zuckt mit den Schultern.
„Was hat der denn eigentlich überhaupt?“
Gute Frage!
Sollte man vielleicht mal abklären… der Patient ist zwar weg, aber die Akte ist zum Glück noch da. Wobei die noch ziemlich leer ist, bislang habe ich nicht viel mehr als den postkartengroßen rosa Einweisungszettel.
Noch ein Blick auf den Einweisungszettel.
Diagnose: „AZ-Verschlechterung und Bitte um diagnostische Abklärung“.
Das kann alles heißen. Alles oder nichts. Wie meinen die das?
Blick auf den Stempel: Welcher Hausarzt hat das Ganze denn verbrochen?
Tiefer Seufzer…. Griff zum Telefon.
Zehn Sekunden später schallt mir aus dem Hörer eine freundliche Frauenstimme entgegen, untermalt von sphärischer Musik: „Guten Tag, Sie haben den Anschluss der Praxis Dr. Retterspitz gewählt, Bad Dingenskirchener Zentrum für Allgemeinmedizin, hausärztliche Betreuung und Naturheilkunde. Leider rufen Sie ausserhalb unserer Sprechzeiten an. Diese sind: Montags von…“
Genervt lege ich auf.
Probiere es nochmal bei der Ehefrau.
Jetzt geht keiner mehr dran.
Sonst noch eine Idee?
„Haben Sie es schon bei der Enkelin probiert?“ fragt Schwester Paula.
Aha, es gibt eine Enkelin?
„Die hatte vorhin angerufen, sie wollte vorbeikommen!“ berichtet Schwester Paula weiter.
Hat jemand eine Telefonnummer von der? Natürlich nicht! Wissen wir zumindest, wie sie heißt? Ebenfalls Fehlanzeige!
„Vielleicht ist sie ja schon gekommen und die beiden sind spazieren gegangen?“
Warum eigentlich nicht?
Okay. Warten wir noch eine Weile. Der Tag ist noch jung…
Aber irgendwie habe ich das dumme Gefühl, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist….
Written by medizynicus
30. Oktober 2012 at 12:40
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Herr Schlapplinski (Teil 2)
„Ich bleibe nicht hier!“ krächzt mein Patient und funkelt mich mit bösen Augen an.
„Aber wir wollen doch bloß, dass es Ihnen besser geht, Herr Schlapplinski!“ sage ich und bemühe mich um einen freundlich-verbindlich-engelsgleichen Tonfall.
„Besser geht’s mir zu Hause!“
„Wen gibt’s denn da bei Ihnen zu Hause?“
„Na, meine Frau natürlich!“
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mal kurz mit der telefoniere?“
Sein Schweigen deute ich mal als Zustimmung und begebe mich mit einer weiteren Tasse Krankenhauskaffeeplörre ins Arztzimmer.
„Der muss unbedingt untersucht werden!“ schnarrt es mir kurz darauf aus dem Hörer entgegen.
„Er will aber nicht.“
„Hören Sie einfach nicht auf ihn!“
„Nun ja, wir sind schließlich kein Gefängnis, sondern…“
„Hören Sie nicht auf meinen Mann, der ist doch dement!“
„Da will ich Ihnen nicht unbedingt zwangsläufig widersprechen, aber auch demente Menschen dürfen eine Meinung haben!“
„Glauben Sie dem kein Wort! Der redet doch nur Blödsinn!“
„Er will aber trotzdem nicht bei uns bleiben.“
Seufzer am anderen Ende.
Einen Moment lang Stille.
„Können Sie ihm nicht etwas spritzen oder so?“
„Das geht nicht so einfach….“
„Dann binden Sie ihn halt fest!“
„Dürfen wir nicht!“
„Herr Doktor! Der muss auf jeden Fall bei Euch bleiben. Das geht so nicht mehr weiter…“
„Aha?“
„Was glauben Sie, was ich alles durchmache mit dem… Tun Sie doch etwas, Herr Doktor, tun Sie doch endlich was!“
Schaun wir mal, sage ich und lege auf.
Es klopft.
Die Tür öffnet sich einen Spalt breit.
Jennys Gesicht erscheint.
„Du?“
Ich bedecke den Telefonhörer mit der Hand.
„Ja?“
„Herr Schlapplinski ist weg!“
Written by medizynicus
29. Oktober 2012 at 01:16
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Herr Schlapplinsiki (Teil 1)
„Sag mal, weißt Du, wo der steckt?“ fragt Sarah
„Wer?“
„Na, der Zugang, der gerade gekommen sein soll!“
Sie schwenkt eines jener berühmten postkartengroßen hausärztlichen Einweisungsformulare.
Schlapplinski, Johann, steht da, nebst den üblichen Personalien in pixeliger Nadeldruckerschrift, und darunter in hausärztlicher Krakelkraue der Einweisungsgrund.
Mit inzwischen jahrelanger Routine gelingt es mir problemlos, die entscheidenden Worte zu entziffern: AZ-Verschlechterung, bitte um diagnostische Abklärung.
„Na prima!“ sage ich. Business as Usual, nix Besonderes, der ganz normale Alltagsscheiß.
„Und wo steckt er jetzt?“
„In Kabine zwei, nehme ich an!“
„Da isser aber nicht.“
„Ja was weiß ich denn… vielleicht auf dem Klo?“
„Seit einer halben Stunde?“
„Manche brauchen halt etwas länger…“
„Würdest Du vielleicht einmal auf der Herrentoilette..“
Warum nicht? Für Sarah tu ich doch fast alles… Trotzdem Fehlanzeige.
„Vielleicht ist er eine rauchen?“
„Ist mir inzwischen ziemlich egal, wo er steckt!“ sagt Sarah und drückt mir den Einweisungszettel in die Hand, „Ich habe nämlich Feierabend. Normalerweise bin ich ja nicht so, aber heute muss ich ausnahmsweise mal pünktlich raus. Wenn es Dir also nichts ausmacht, mein herzallerliebster Benno-Schnuckiputz…?“
Wie schon gesagt, für Sarah… und welcher geschlechtsreife Mann diesseits der Andropause kann solch liebreizenden, von plinkerndem Augenaufschlag begleitenden Worten widerstehen?
Herr Schlapplinsiki ist also mein Hauptgewinn des heutigen Morgens. Und knapp zwanzig Minuten später – so lange wie man braucht um einen Becher Krankenhauskaffeeplörre hinunterzuspülen – ist er dann auch tatsächlich dort, wo er sein sollte, nämlich in Kabine zwei auf dem Schemel neben dem Bett.
Ich strecke ihm meine Hand entgegen.
„Guten Morgen, Herr….“
„Ich will nach Hause!“ bellt es zurück.
Mir schwant Schlimmes.
Written by medizynicus
27. Oktober 2012 at 21:05
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Medizinische Befunde übersetzen: Medizynicus hilft www.washabich.de
Liebe Leser,
Vor einiger Zeit habe in diesem Blog über www.washabich.de berichtet.
In aller Kürze:
Auf dieser Seite versprechen Medizinstudenten/innen und andere nette Menschen, medizinischen Laien dabei zu helfen, medizinische Befunde in eine „normale“ Sprache zu überletzen.
Eine tolle Idee!
Leider ist die Seite inzwischen offenbar zu bekannt geworden und platzt aus allen Nähten, das heißt, die Leute kommen mit dem Beantworten und Übersetzen nicht mehr nach.
Wer sich also berufen fühlt, ist herzlich eingeladen, auf der Seite seine Dienste anzubieten und den Jungs und Mädels unter die Arme zu greifen.
Ein Nebeneffekt der Sache ist, dass auch ich inzwischen mit Übersetzungs-Anfragen überhäuft werde.
Hin und wieder verirren sich ein paar Leser auf die Kommentarseite meines Berichtes über washabich.de.
Falls der eine oder andere von Euch ein wenig Zeit hat: seid doch so gut, und helft den Fragestellern – oder meldet Euch bei washabich.de!
Danke!
Written by medizynicus
1. Oktober 2012 at 20:21
Veröffentlicht in Ein Herz für Blogs