Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Archive for September 2013

Puppe quetschen

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Letztens war es mal wieder so weit: Reanimationstraining.
Wir sind nämlich ein modernes Krankenhaus.
Wir sind gut.
Und dafür, dass wir gut sind, haben wir letztens einen Stempel bekommen… und damit wir auch weiter gut bleiben, muss jetzt jeder von uns einmal im Jahr antreten.
Der jährliche Drill gehört halt einfach dazu und ich will mich auch gar nicht beklagen, schließlich gibt es Schlimmeres und ab und zu lernt man ja auch wirklich noch etwas dazu.
Ich trage mich also brav in die Liste ein und setze mich mit Ipad in die letzte Reihe.
Eine Powerpointfolie nach der Anderen zieht an mir vorbei.
Vorne auf der Matte liegt Klein-Anne, die ehemalige Wasserleiche, die wohl meistgeküsste Frau der Welt und wartet auf ihren Einsatz…
Äh, ich glaube, das muss ich jetzt erklären:
Die Reanimation – also die Herz-Lungen-Wiederbelebung – bekommt man ja nicht nur theoretisch erklärt, sondern das ganze soll man ja üben. Und dafür gibt es ein Modell, eine Puppe, kennt ja fast jeder vom Führerschein oder Erste-Hilfe-Kurs.
Diese Puppe ist meist weiblich und trägt den Namen Anne. Ihr Gesicht ist dem Gesicht einer Wasserleichte nachgebildet, einer zugegebenermaßen sehr hübschen jungen Frau, die vor etwa hundert Jahren in Paris aus der Seine gezogen wurde… und zur Reanimation gehört bekanntlich der „Kiss of Life“, die Mund-zu-Mund-Beatmung…
Aber… Momentmal… halt… was erfahre ich da?
„Das wird gar nicht mehr gelehrt?“
Der freundliche Anästhesie-Pfleger vorne nickt.
„Richtig. Die Mund-zu-Mund-Beatmung wird zumindest im Krankenhaus nicht mehr empfohlen. Was man tut, wenn man zufällig draußen in eine Unfallsituation gerät, ist jedem selbst überlassen!“
Zugegeben, ich fand die Sache schon immer eklig.
Leider sind ja nicht alle Frischverstorbenen so jung und hübsch wie die kleine Anne.
Und ehrlich gesagt, bin ich ziemlich froh, dass ich bislang noch nie in die Situation kam… und ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, ob ich….
…also, was würdet Ihr tun?
Also: Verkehrsunfall… und das Opfer sieht nicht gerade lecker aus..?

p.s.: …gerade läuft übrigens die Aktion 100 pro Reanimation – Dank an den Narkosearzt für den Tipp.

Written by medizynicus

17. September 2013 at 18:32

Knocking on Heaven’s Door

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…der letzte Beitrag war fiktiv. Zur Ehrenrettung unserer Geistlichen muss ich sagen: sie sind bislang immer gekommen, wenn man sie gerufen hat. Nicht unbedingt immer mit großer Begeisterung, aber das geht mir schließlich nicht anders.
Unter den Geistlichen ist Pater Anselm ist ein Mensch, den ich ganz besonders schätze. Wobei ich mir gar nicht sicher bin ob nun Pater, Diakon, Pastoralreferent, oder was auch immer ist.
Jedenfalls hat er mir mal erklärt, dass es im katholischen Brauchtum tatsächlich schwarze Kerzen gibt: die zündet man bei Gewitter an, um das Böse abzuwehren. Ansonsten sind Kerzen natürlich grundsätzlich weiß, als Symbol für die Auferstehung.
Und dann hat Pater Anselm mir mal erklärt, dass Luzifer in der Antike die Bezeichnung für den Morgenstern war. Und dass irgendwo in der Bibel an einer einzigen Stelle irgendwas steht von einem hellen Stern, der vom Himmel gefallen ist. An einer ganz anderen Stelle ist von einem gefallenen Engel die Rede und irgendwann mal hat ein kluger Klosterbruder und Kirchenlehrer hier eins und eins zusammen gezählt. Das war aber nicht immer so, im frühen Mittelalter gab es sogar mal einen Heiligen Luzifer, den kennt zwar heutzutage fast keiner mehr, aber er ist immmer noch heilig, so dass ein braver Katholik, streng genommen, tatsächlich zum Heiligen Luzifer beten könnte.
Wie gesagt, Pater Anselm ist immer ein spannender Gesprächspartner.
Und letztens hat er mir mal eine Frage gestellt, die ich hier mal weitergeben würde:

Würdet Ihr (Ärzte, Pflegekraft…) mit einem Patienten beten, wenn Ihr vom Patienten oder den Angehörigen darum gebeten werdet?

Also, ich täte es nicht.
Was nicht heißt, dass ich mir nicht die Zeit nehme, eine Patienten empathisch zuzuhören oder auch einfach still am Bettrand sitzen und die Hand zu halten…
Aber Beten?
Ich nicht! Und Ihr?

Written by medizynicus

13. September 2013 at 09:08

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Stairway to Heaven

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„Hallo?“
Am anderen Ende des Telefons gähnt es. Das ist nicht weiter verwunderlich, immerhin ist es gerade halb vier. Halb vier Uhr in der Nacht.
„Hallo, guten Morgen!“ sage ich betont fröhlich. Das ist eigentlich eine Lüge, denn zur Definition von Morgen gehört meiner Ansicht nach, dass ich zuvor geschlafen habe. Aber das kann man sich manchmal nicht aussuchen.
„Jaaaa…?“
„Spreche ich mit dem Diensthabenden Geistlichen?“
„Hmmmm..“
„Guten Morgen…“ – zwar bin ich längst lange genug im Geschäft, aber die Anrede will mir immer noch nicht leicht über die Zunge kommen. Sagt man heute noch „Hochwürden“? Ich zumindest weigere mich beharrlich.
„Guten Morgen, Herr Pfarrer. Wir haben einen Sterbefall!“
Schweigen.
„Hallo?“
„Ja?“
„Wir haben einen Sterbefall!“ wiederhole ich.
Erneutes Schweigen
„Einer von unseren Patienten ist verstorben!“
„Hab schon verstanden!“
Wieder Schweigen.
„Was wollen Sie von mir?“
Wie bitte?
Ich bin verwirrt. Na gut, Begeisterung erwarte ich nicht, das ging mir nicht anders, als ich vor einer knappen Stunde aus meinem Bettchen telefoniert wurde. Aber davon abgesehen…
„…also, ich dachte…. vielleicht die letzte Ölung…?“
„Letzte Ölung gibt es nicht mehr!“
„Aha?“
„Wir sprechen heute von der Krankensalbung. Damit meinen wir die letzte Wegzehrung für einen schwer kranken Menschen vor seiner letzten Reise. Wie ich aus Ihrer Rede entnehme, hat der Betreffende seine letzte Reise allerdings bereits vollendet…“
„Hmmm. Aber die Angehörigen…“
„…die Angehörigen benötigen in dieser schweren Stunde vor allem Trost und Beistand. Das kann jeder Christnmensch spenden, auch Sie, junger Mann. Also gehen Sie hin, stehen Sie ihnen bei, beten Sie gemeinsam!“
„Ja, aber…“
„…und sagen Sie ihnen, wenn sie einen Termin für die Beisetzung vereinbaren sollen, sollen sie nach der Frühmesse im Pfarramt vorbeikomen!“
Aber…
Er hat schon aufgelegt.

Written by medizynicus

12. September 2013 at 08:27

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Highway to Hell

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Ja, guten Tag, mein Name ist Lehmann. Beelzebub Lehmann. Ich darf mich vorstellen, ich komme bin vom Seelsorgeteam. Wissen Sie, wir vertreten uns nämlich gegenseitig, jeden Tag ist ein anderer von uns dran mit dem Begrüßen der Neuen Patienten, gestern der Shanti von den Esoterikern, Morgen der Kollege von der katholischen Kirche…. ja, und dann darf ich Ihnen auch gleich meine Kollegen vorstellen, da ist einmal der Luzifer Krause, der Mephisto Meier…. ja, und wenn Sie möchten, besuchen Sie uns doch mal… also zum Beispiel, wenn Sie nicht schlafen können heute um Mitternacht, da halten wir unten in der Kapelle eine kleine Andacht… ja, die Kapelle, die teilen wir uns auch…. also, wir dekorieren sie uns natürlich ein wenig so wie wir es gerne hätten, also schwarze Kerzen und die Kreuze, die werden einfach umgedreht, und dann gibt es eine kurze Lesung aus den Schriften von Aleister Crowley und ein bisschen besinnliche Musik… also „Hell’s Bells“ zum Beispiel von AC/DC, oder „Sympathy for the Devil“, oder „Black Magic Woman“ von Satana… ja, „Bat Out of Hell“ hatten wir auch schon… ja, und natürlich betreuen wir Sie auch gerne jederzeit, wirklich, jederzeit… ja, auch wenn es ernst wird begleiten wir Sie gerne, mit „Highway to Hell“ zum Beispiel… in diesem Sinne, möge Luzifer mit Ihnen sein!

Written by medizynicus

10. September 2013 at 13:24

Reisewarnung

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Herr Miefke war wieder da.
Herr Miefke kommt mindestens einmal im Monat.
Ohne Anzuklopfen stolpert er ins Arztzimmer, wobei er eine meterlange Schweißgeruchfahne hinter sich her zieht.Zielstrebig schlurft er zum Waschbecken und dreht das Wasser auf. Das Warmwasser.
Ein paar Minuten lang steht er dann versonnen da, während das Wasser vor sich hin rinnt.
Er lässt das Wasser ein oder zwei Minuten laufen, hantiert mit irgendwelchen Gegenständen und schließlich grummelt er irgendwas in seinen speckigen Bart, in dem sich in der Regel noch ein paar Reste Pichelsteiner Eintopf von vorgestern befinden.
Ich frage dann in der Regel so etwas ähnliches wie: „Kann man Ihnen helfen?“
Woraufhin Herr Miefke etwas erwidert, was in etwa klingt wie: „Achtundvierzig!“
Darauf ich: „Was darf man sich darunter vorstellen?“
Antwort er: „Achtundvierzig! Scheiße!“
Ich: „Hmm.“
Er dreht sich um und atmet mit einem tiefen Seufzer eine voluminöse Wolke Knoblauchluft in meine Richtung.
„Achtundvierzig Grad! Das Wasser hat Achtundvierzig Grad! Das ist zu wenig. Scheiße ist das!“
Ich: „Aha?“
Er: „Na, wegen der Legionellen! Das Heißwasser muss im ganzen Haus mindestens sechzig Grad haben! Sonst vermehren die sich doch, und dann ham‘ wa hier Epidemie!“
Hmm. Also, ich habe bei mir zu Hause die Warmwassertemperatur runtergedreht auf fünfundvierzig Grad. Erstens ist das billiger in Bezug auf Strom- bzw. Gaskosten und zweitens verbrennt man sich nicht beim Duschen den…. also, ist ja egal, was man sich nicht verbrennt, ich will jetzt hier nicht ordinär werden.
Herr Miefke lacht hohl und läßt eine Breitseite Ranz-Odeur in meine Richtung wabern.
„Da ham’se aber bisher ordentlich Glück gehabt!“
„Warum?“
„Wenn Se Legionellen in der Wasserleitung haben, dann ist das kein Spaß mehr!“
Eh?
„…die kriegense nich wieder weg, die sind schlimmer als wie Bettwanzen oder Sackrat…“
Er verschluckt sich hastig, dreht sich um und tappt grußlos hinaus auf den Flur. Ich reiße das Fenster auf, versprühe eine halbe Flasche Raumspray und beschließe, das Feld zu räumen, bis Beides seine Wirkung entfaltet hat.
In der Küche treffe ich Kalle, Jenny und Schwester Paula.
Jenny schwärmt von ihrem Urlaub.
Total heiß war’s gewesen und das Tauchrevier war großartig!
Wo warst Du denn, frage ich während ich mir eine Tasse Krankenhauskaffeeplörre zapfe.
„Ägypten!“ sagt Jenny und strahlt.
Ägypten? Ist da nicht gerade Krieg? Warum nicht gleich Syrien (da soll es auch tolle Strände geben!), Nordkorea oder Afghanistan (phantastische Berglandschaften!)?
„Total billig!“ sagt Jenny und strahlt als käme sie direkt aus Fukushima. „die Tickets gibt’s momentan nachgeschmissen!“
„Das glaub ich gerne,dass da keiner mehr hin will,“ sagt Kalle, „Wenn das Auswärtige Amt eine Reisewarnung ausspricht!“
„Also ich halte davon ja gar nix!“ sagt Schwester Paula resolut, „Ich fahre nächste Woche ins Sauerland!“
Kalle kichert.
„Ins Sauerland? Pass bloß auf, wo Du da hinfährst!“
„Warum?“
„Na, wegen der Reisewarnung!“
Schwester Paula starrt ihn mit offenem Mund an.
„Wie meinen Sie das…?“
Kalle greift nach der Tageszeitung, die auf dem Tisch liegt.
„Hier schau selbst! In Warstein sind die Legionellen ausgebrochen! Örtliche Behörden raten dringend, die Region großräumig zu vermeiden…“
Mir fällt fast die Kaffeetasse aus der Hand.
Legionellen?
Ich glaub, ich sollte demnächst doch mal meine Wasserleitungen durchchecken lassen… und dann hätte ich da noch einen halben Kasten sauerländischen Bazillenbiers in meiner Küche….
mag jemand eins? Mir schmeckt’s nicht mehr!

Written by medizynicus

6. September 2013 at 16:25

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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