Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Archive for Oktober 2014

Countdown zum Wochenende….

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….drei Stunden?
….zwei Stunden?
….eine Stunde?
Also: Noch schnell zwei Patienten aufnehmen, ein paar Sonos machen, dann Kurvenvisite, ein paar Pharmavertreter verdreschen, ähem, also rauswerfen, ich meine, also freundlich sein zu ihnen, dann Angehörige vertrösten, Dienstübergabe, und dann…..
….draußen scheint die Sonne, hey! Und dies ist der letzte Tag des goldenen Oktobers! Und ich habe achtundvierzig Stunden lang frei.
Jetzt brauche ich Eure Hilfe: Wo tobt das Leben? Wo ist was los an diesem Wochenende?

Written by medizynicus

31. Oktober 2014 at 15:21

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Lauter gute Nachrichten

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Jetzt will ich es mal Molly nachtun und nach den doch sehr schwermütig-nachdenklich-vor-novemberigen Artikeln der letzen Tage etwas Schöneres schreiben. Immerhin ist ja heute noch goldener Oktober und der ist bei uns in Bad Dingenskirchen wirklich golden, also so mit Sonne, buntem Laub und allem, was dazu gehört….
Also:

  • Oma Meiermüllerschulze hat das Krankenhaus verlassen. Lebendig und auf eigenen Füßen. Und dabei stand es verdammt auf der Kippe für sie!
  • Herr Müllermeierschmidt hat seine Reha genehmigt bekommen – nachdem sie zweimal abgelehnt worden war. Aber unsere Sozialtanten haben sich echt ins Zeug gelegt!
  • Jenny hat richtig gute Laune. Sogar Schwester Paula hat letztens mal öffentlich gelacht.
  • Oberarzt Biestig hat eine Beule in seinem Porsche. Aber er war nicht schuld und die Versicherung zahlt.
  • Morgen gibt’s wieder Gehalt. Und Weihnachtsgeld
  • Als ich gestern das Krankenhaus verlassen habe, war es noch hell. Und die Sonne hat geschienen.
  • Als ich heute früh zum Dienst kam, hat die Sonne schon wieder geschienen.
  • Frau Schulzemüllermeier hat nicht nur einen Fünfziger in die Kaffeekasse getan, sondern auch noch eine ganz liebe Karte dazu geschrieben, in der sie sich für die wunderbare Behandlung bedankt. Was insofern bemerkenswert ist, als sie nach ihrem Schlaganfall nicht in der Lage war, einen Schluck Wasser zu sich zu nehmen ohne sich zu verschlucken – und niemand wagte davon zu träumen, dass sie jemals wieder in der Lage sein würde, einen Stift zu halten.

…..und es gibt noch viele weitere Sachen. Vielleicht sollte man das öfters machen: einfach mal die positiven Seiten betrachten!
Danke, Molly!

Written by medizynicus

30. Oktober 2014 at 05:21

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freiwillige Todesstrafe?

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„Angeklagter, erheben Sie sich! Im Namen es spelunkistanischen Volkes ergeht folgende Urteil:
Das Gericht erkennt Sie in allen Punkten für schuldig und verhängt deshalb eine lebenslange Freiheitsstrafe. Und lebenslänglich heißt bei uns lebenslänglich! Machen Sie sich keine Illusionen, Sie kommen da nicht mehr raus. Und Sie wissen: ein spelunkistanischer Knast ist kein Ponyhof! Machen Sie sich also darauf gefasst, für Ihre furchtbaren Verbrechen lange und schwer zu büßen!
Aus Gründen der Menschlichkeit läßt Ihnen das Gericht aber einen Ausweg: Nach Ablauf eines Jahres haben Sie die Möglichkeit, sich für eine freiwillige Deanimation zu entscheiden. Dieses Grundrecht steht jedem unserer Bürger zu und soll auch Ihnen nicht genommen werden. Das ist alles. Setzen Sie sich, Angeklagter!“
Die lange erwartete Urteilsverkündung gegen den Furchtbarsten aller spelunkistanischen Gangsterbosse wurde life im Fernsehen übertragen. Das ist so üblich in Spelunkistan.
Irgendwo in einer kleinen Provinzstadt starrt Oppa Kasuppke fassungslos auf die Mattscheibe. Er schüttelt den Kopf und schaltet die Glotze aus.
„Unfassbar!“ sagt er, „Freiwillige Deanimation! Die lassen dem Kerl doch glatt die Möglichkeit, sich einfach so davon zu machen!“
„Lass Ihn doch!“ sagt Omma Kasuppke und macht eine wegwerfende Handbewegung, „Hauptsache, der Kerl ist aus dem Verkehr gezogen!“
„Aber er doch muss büßen für das, was er angestellt hat!“ sagt Oppa.
Omma lächelt.
„Sieh das mal von der anderen Seite,“ sagt sie, „Was glaubst Du, was so ein Jahr im Gefängnis kostet! Wenn Du das auf seine zu erwartende Lebenszeit hochrechnest, kommen da ein paar hunderttausend Spelunki-Dollars zusammen. Das Geld fehlt anderswo. Zum Beispiel bei unserer Rente. Sei doch froh, wenn er freiwillig bereit ist, den Löffel abzugeben!“

….wieder so eine fiese Gedankenspielerei?
Nein, manchmal liegt Spelunkistan gleich um die Ecke!

Written by medizynicus

29. Oktober 2014 at 05:38

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Opa kriegt die Spritze: Sterbehilfe in Spelunkistan

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Wir befinden uns immer noch in Spelunkistan. Genau genommen in einer schicken Arztpraxis im Zentrum einer großen Stadt. Der Herr Kollege ist übrigens kein Hausarzt, sondern ein Facharzt für Deanimation und Thanatologie. Also ein Experte auf dem Gebiet, um das es jetzt geht. Die Tür zum Sprechzimmer geht auf und ein Paar in den Fünfzigern kommt rein.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragt der Doktor.
Die beiden nehmen Platz und drucksen ein wenig herum.
„Wir wollen uns um Opa kümmern!“ sagt der Mann schließlich.
„…also, es geht um meinen Vater!“ fügt sie hinzu.
„Sie wollen also….?“
Der Doktor schaut sie aufmunternd an.
„Wir wollen, dass er….“ die Frau räuspert sich, „…dass er in Frieden gehen kann!“
So, jetzt ist es endlich raus.
Der Arzt nickt sachlich-professionell.
„Sie haben die notwendigen Unterlagen dabei?“
Die Frau seufzt.
„Das ist es ja gerade!“
„Er hat also nicht unterschrieben? Es gibt keine Patientenverfügung?“
Die Frau schüttelt den Kopf.
„Nein. Als er noch fit genug war, hat er gesagt, das hat noch Zeit. Er hat sich um die Entscheidung gedrückt. Und jetzt ist er dement. Weiß gar nicht mehr, wo er ist, erkennt sogar seine eigenen Kinder nicht mehr und will ständig weglaufen!“
„Er hat doch keine Lebensqualität mehr!“ fügt ihr Partner hinzu.
Der Arzt lehnt sich zurück, legt die Hände zusammen und schaut nachdenklich von Einem zum Anderen.
„Wenn er selbst nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, dann müssen Sie in seinem Sinne entscheiden!“ sagt er.
Die Frau nickt heftig.
„Das wollen wir doch tun!“
„Er ist inkontinent und pflegebedürftig,“ fügt ihr Partner hinzu, „und trotzdem will er ständig aufstehen und weglaufen. Dabei kann er gar nichts mehr. Er ist schon mehrfach gestürzt. Eigentlich muss man ihn ständig beaufsichtigen. Aber das können wir einfach nicht! Unsere eigenen Kinder sind gerade aus dem Haus, inzwischen haben wir zwei kleine Enkel, die wir jeden Tag betreuen weil unsere Tochter berufstätig ist…. wir schaffen es einfach nicht mehr!“
„…wir haben ja schon überlegt, ihn in ein Heim zu geben!“ sagt die Frau, „Aber das ist ja wahnsinnig teuer. Das Geld haben wir einfach nicht.“
Ihr Partner seufzt.
„…und jetzt mal im Ernst: was hat Opa denn noch zu erwarten im Leben? Besser wird es doch nicht!“
Der Doktor nickt.
„Wenn die Demenz von fachärztlicher Seite bestätigt worden ist, werden Sie vom Amt eine entsprechende Bescheinigung bekommen. Dann dürfen Sie an seiner Stelle entscheiden. Das wird noch ein paar Tage dauern, aber wir können ja trotzdem schon einen Termin vereinbaren!“
Die Frau runzelt die Stirn.
„Die Deanimation muss in einer zugelassenen Einrichtung durchgeführt werden!“ erklärt er Arzt und schaut auf seinen Computerbildschirm, „Warten Sie einen Moment…. hier, im ‚Haus Abendrot‘ wäre noch etwas frei für Anfang nächster Woche… ein sehr schönes Haus, stilvoll und exklusiv, allerdings nicht ganz billig….“
Die Frau wirkt ein wenig irritiert.
„….aber ich sehe hier, im ‚Last Exit‘ würde es auch gehen. Das ist etwas…. sagen wir, etwas rustikaler. vor allem preislich auch viel günstiger. Die Bestattungskosten entfallen ja sowieso, sofern Sie sich für eine nachhaltige Verwertung entscheiden!“
Die Beiden Angehörigen schauen sich an.
„…Sie brauchen keine Sorge zu haben,“ fügt der Arzt leutselig hinzu, „das mit den grünen Keksen, das war nur ein blöder Film, das hat hat natürlich absolut nichts mit der Wirklichkeit zu tun!“

Written by medizynicus

28. Oktober 2014 at 05:09

Geben Sie mir doch die Spritze!

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Neulich irgendwo in Spelunkistan: Es ist Montag Morgen und die Praxis unseres ungenannt bleibenden Hausarztkollegen brummt. Der Herr Doktor drückt von seinem Schreibtisch aus die Taste der Wechselsprechanlage

„Der Nächste bitte!“
Ein schmächtiges Männlein fortgeschrittenen Alters schlurft mühsam am Gehstock hinein ins Sprechzimmer.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragt der Doktor in gelangweiltem Ton.
Der Patient seufzt, setzt sich, seufzt noch einmal.
„Doktor, geben Sie mir die Spritze!“
„Äh…“
„Sie wissen schon, damit ich einschlafe!“
„Sie wollen ein Schlafmittel?“
„Zum Schlafen und nie wieder aufwachen!“
„Ah so… gut, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Drücken Sie sich doch am besten gleich von Anfang an klar aus, das erspart uns dann lästige Kommunikationsprobleme. Ich darf annehmen, Sie haben die notwendigen Bescheinigungen dabei?“
„Sie meinen diesen Schrieb vom Psychologen?“
„Vom Psychiater, nicht Psychologe! Sie brauchen ein Attest, dass Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte und in der Lage sind, eine derart endgültige Entscheidung zu treffen. Und dann bräuchte ich noch die von Ihnen unterschriebene Erklärung, dass Sie diese Entscheidung aus freiem Willen treffen…“
Der Patient zieht ein paar zusammengefaltete Papiere aus seiner Brusttasche und legt sich vor dem Arzt auf den Schreibtisch. Der fasst die Formulare mit spitzen Fingern an, überfliegt sie kurz und runzelt die Stirn.
„Halt, Sie haben keinen Grund angekreuzt!“
„Ach, diese Schmerzen, Herr Doktor…“
Der Doktor nickt zufrieden.
„Sehr gut. Schmerzen sind immer gut. Damit werden wir schon keine Scherereien bekommen. Dann ist ja alles in Ordnung!“
Er macht das Kreuzchen an der entsprechenden Stelle und schaut auf.
„Sie haben alles Notwendige organisiert?“
„Sie meinen…. Testament und so?“
„Genau. Testament erstellt, Bestattungstermin vereinbart, Schulden beglichen, Verträge gekündigt…. ich weiß, es ist nicht meine Aufgabe, Sie darauf hinzuweisen und es geht mich auch gar nichts an, aber Sie würden Ihren Hinterbliebenen eine Menge Ärger ersparen!“
„Aber ich habe doch niemanden…“
„Noch besser. Sehr schön. Kein Problem also. Sie können dann gleich nebenan Platz nehmen, die Schwester kommt sofort. Aber jetzt müssen Sie mich kurz entschuldigen, ich muss dringend aufs Klo…. dauert zwar nicht lange, aber wenn ich fertig bin, dann sind Sie ja wahrscheinlich nicht mehr da. Also, dann ich verabschiede mich schonmal: machen Sie’s gut! Guten Abgang und… äh, ja, viel Erfolg im Jenseits, bei… hmm, also an was auch immer Sie glauben!“
Der Arzt springt auf und öffnet die Tür zum Nebenzimmer.
Bevor er zur Toilette entschwindet, drückt er den Knopf auf dem Schreibtisch.
„Der Nächste bitte!“

Written by medizynicus

26. Oktober 2014 at 23:03

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Mexikanische Bloggerin und Ärztin entführt und wahrscheinlich ermordet

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María del Rosario Fuentes Rubio ist – man muss wohl sagen war – eine Ärztin und Bloggerin, die den Mut bewies, sich mit der Mafia anzulegen.
Dass so etwas eine verdammt gefährliche Sache ist, weiß man. Maria hat es trotzdem auf sich genommen und für ihre Zivilcourage mit dem Leben bezahlt.
Wer spanisch spricht:
Die Facebook-Seite Valor por Tamaulipas und der zugehörige Twitter-Account existieren noch.

Written by medizynicus

20. Oktober 2014 at 18:42

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Der Bahnstreik und der Horst

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Der Horst freut sich.
Der Horst hat nämlich einen neuen Job.
Der ist zwar in Sankt Sowienoch, also genau fünfhundertsiebzehn Kilometer weit weg, aber was soll’s, Hauptsache Job, denn der Horst war lange genug arbeitslos.
Dieser Job ist meine Chance, denkt sich der Horst, vielleicht meine einzige, meine letzte Chance.
Also macht der Horst sich auf den Weg. Natürlich will er alles richtig machen. Die Fahrkarte nach Sankt Sowienoch hat er sich lange vorher besorgt, die Reise sorgfältig geplant und alles organisiert und dann steht er da am Bahnhof, der Horst.
„Könnense nicht bis Montag warten?“ fragt die freundliche, aber völlig überlastete Dame am Info-Schalter. Die Dame am Info-Schalter muss sich eine Menge blöder Kommentare anhören, dabei kann sie nun wirklich nichts dafür, aber das ist eine andere Sache. Dem Horst helfen kann sie leider auch nicht.
„Könnende nicht mit dem Auto fahren?“ Der Horst hat leider kein Auto. Kann er sich nicht leisten.
Fernbus? Alles ausgebucht!
Mitfahrzentrale? Nix zu machen!
Anrufen bei der neuen Firma? Geht keiner ran am Wochenende.
Also kommt der Horst erst am Montag Nachmittag in Sankt Sowienoch an.
Tja, das war’s dann wohl mit dem neuen Job! Gibt ja zum Glück genug andere Leute, die den machen wollen….

Written by medizynicus

20. Oktober 2014 at 05:54

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Der Bahnstreik – ein Resümee

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Ja, ich bin beeindruckt.
Beeindruckt und positiv überrascht.
Positiv überrascht von dem effizienten Management der Deutschen Bahn, die ja in der letzten Zeit eine Menge Kritik einstecken musste… positiv überrascht auch von der erstaunlichen Disziplin der meisten Reisenden. Das befürchtete Chaos ist ausgeblieben.
Nicht beeindruckt bin ich von der Kaltschnäuzigkeit derer, die das Chaos verursacht haben. Lokführer mag der Traumberuf vieler kleiner Jungs sein und wir alle wissen, dass man damit nicht reich werden kann und dass die Arbeitsbedingungen vermutlich nicht viel besser sind als die von unseren Pflegekräften die übrigens, deren Gehalt übrigens, nebenbei gesagt, ziemlich bescheiden ist. Aber fangen wir vorne an:
Freitag Nachmittag. Nach einem ganz normalen Arbeitstag finde ich mich am Bahnhof Bad Dingenskirchen ein. Der Regionalexpress ist pünktlich. Ich nippe an dem Plastikbecherkaffee, den ich mir beim Bahnhofsbäcker geholt habe, schaue mir im Internet die neuesten Nachrichten an und…. falle fast in Ohnmacht.
Sie streiken also doch. Das ganze Wochenende lang. Aber erst ab Mitternacht, bleiben also noch sechs Stunden Zeit.
Beim Umsteigen in Sankt Anderswo habe ich genau fünf Minuten Zeit, um mich zu entscheiden: das lange geplante Wochende in Ganzweitwegstadt kurzfristig in den Wind zu schießen – also die bereits gezahlten Kosten für Bahnfahrt, Hotel und den teuren Fortbildungskurs einfach abzuschreiben – oder es halt doch drauf ankommen zu lassen. Die Hinfahrt dürfte kein Problem sein. Aber werde ich am Montag um acht wieder im Krankenhaus auf der Matte stehen können? Weil, wenn nicht, dann…. dann ganz großer Mist!
Ein Typ pöbelt eine blaurotbemützte Bahnangestellte an:
„Ey, wie soll ich jetzt am Sonntag wieder heimkommen?“
Sie reagiert erstaunlich professionell und erklärt ihm freundlich, dass sei es auch nicht weiß und heute Abend nach Ende ihrer Schicht selbst irgendwo gestrandet sein wird.
Mein Zug kommt und ich steige ein. Begebe mich in den Speisewagen.
„Ein großes Bier für den Herrn?“ fragt der Kellner.
„Wenn Sie in der Gewerkschaft sind, dann geben Sie jetzt einen aus!“ sagt irgendjemand hinter mir und ernted wiehernden Beifall.
Ein anderer Typ telefoniert mit einem Hotel, weil er das bereits stornierte Zimmer nun doch in Anspruch nehmen will. Er hat bereits heute mit Streik gerechnet. Eine junge Frau schaut mich mit Dackelblick an und borgt sich mein Handy-Ladegerät aus, dann kann sie ihrem Freund hocherfreut mitteilen, dass sie doch kommen wird.
Der Rest der Hinfahrt verläuft unspektakulär, den Samstag verbringe ich mit Zittern und Bangen und am Sonntag…. am Sonntag Nachmittag wird es dann ernst.
Mit düsteren Vorahnungen schleiche ich zum Bahnhof. Was erwartet mich da?
Blinkende Anzeigetafeln: „Zug fällt aus!“ – „Bitte Ansagen beachten!“ – „Informieren Sie sich auf unserer Webseite!“
Aber die Informationen auf der Webseite haben eher begrenzten Wert. Nach viel Herumklickerei erfährt man, dass es einen Ersatzfahrplan gibt, aber ob und wann welcher Zug jetzt genau wohin fährt, das kriegt man nur mit großer Mühe heraus. Die Dame am Informationsschalter hat ihre Tricks und drückt mir ein dreiseitiges Elaborat in die Hände. Die Quintessenz: Ja, ich komme heute nach Hause. Aber ich muss zweimal umsteigen und habe jeweils anderthalb Stunden Aufenthalt dazwischen. Aber gerne erklärt sie sich bereit, für mich herauszufinden, ob ich auch vielleicht mit Umweg über Sankt Sowienoch, dann müsste ich allerdings dreimal Umsteigen und…. nein danke, sage ich kleinlaut mit Blick auf die inzwischen eindrucksvoll lange Schlange hinter mir, ich komme schon zurecht.
Mein eigentlich geplanter Zug ist natürlich storniert worden und ich kann jetzt erstmal ein Stündchen Kaffee trinken gehen.
Der Ersatzzug ist zwar voll, aber nicht überfüllt und mit etwas Sucherei finde ich einen Sitzplatz. Die nächsten Stunden verlaufen unspektakulär, abgesehen davon dass wir einen kleinen Umweg über die Walachei nehmen, aber das hat eher etwas mit Bauarbeiten zu tun und nicht mit dem Streik.
Ja, und dann heißt es Umsteigen.
Ob ich meinen Anschlusszug erwischen werde? Anderthalb Stunden Aufenthalt habe ich, und ob der Zug wirklich fährt, konnte der Schaffner mir nicht sagen. Im Internet war der Zug mit einem gelben Punkt hinterlegt, was bedeutet, dass es keine Informationen gibt…
Mit schlimmer Vorahnung steige ich aus. Am Bahnsteig ist die Hölle los. Obwohl… an anderen Sonntagnachmittagen sieht es hier nicht anders aus.
Mein Blick fällt auf die Anzeigetafel. Neunzig Minuten Verspätung!
Das Herz rutscht mir in die Hose, obwohl….. das war ja der vorherige Zug. Die Leute, die hier so genervt herumstehen, die warten schon seit eineinhalb Stunden. Was nun für mich bedeutet…. dass schon wenige Minuten später ein Zug herangeschraddelt kommt.
Drinnen geht’s zu wie in einem Truppentransporter. Ich stolpere über in den Gängen sitzende Körper und Gepäck und kämpfe mich durch zum Speisewagen, wo ich ein ruhiges Plätzchen und ein großes Bier ergattern kann.
Der Schaffner verteilt Stempel für Verspätungsanträge. Die Formulare sind leider schon ausgegangen. Macht nichts, sagt die Frau neben mir, ich freue mich doch über die Verspätung, so konnte ich anderthalb Stunden in der Sonne spazieren gehen! Und überhaupt – ist es nicht eine enorme Leistung, dass die Bahn diesen Not-Fahrplan auf die Beine gestellt hat? Das sollte man doch honorieren und nicht glcich alles abkassieren, was man mitnehmen kann!
Ich trinke mein Bier aus und mache mich bereit fürs Nächste Umsteigen.
Wenn Sie anderthalb Stunden Aufenthalt haben, dann haben Sie ja Zeit genug, um sich das Erstattungsformular zu besorgen, gibt mir die Dame noch mit auf den Weg.
Ich steige aus.
Vor dem Informationsschalter ist eine lange Schlange. Ein junger Mann – gepflegtes Äußeres, Nickelbrille, politisch korrekte Outdoorjacke – diskutiert mit den Sicherheitsleuten. Das ist doch eine Unverschämtheit, eine Sauerei, das darf man sich doch nicht bieten lassen…
Ich bin der falsche Ansprechpartner, sagt der Sicherheitsmensch und schickt ihn freundlich, aber bestimmt zum Ende der Schlange.
Ich gehe in die Stadt und gönne mir ein Bierchen in einem netten Straßencafe. Im Fernseher laufen die Nachrichten: Bilder vom Streik. Ein Gewerkschaftsmensch bittet um Verständnis. So ein Idiot!
Als ich wieder am Bahnhof zurück bin, steht der Regionalexpress nach Bad Dingenskirchen schon bereit. Jetzt habe ich gewonnen! Mit zweieinhalb Stunden Verspätung erreiche ich das heimische Sofa.
Wie gesagt: Respekt habe ich vor den Bahn-Mitarbeitern, die unter hohem Druck hochprofessionell ihren Job getan haben – und vor der entspannten Einstellung meiner Mitreisenden.

Written by medizynicus

19. Oktober 2014 at 22:32

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Oma Müller und der Bahnstreik

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Oma Müller ist glücklich.
Oma Müller ist nämlich gerade nochmal Oma geworden, zum vierten Mal. Und um ihrer Tochter, die in Bad Sowienoch wohnt, ein wenig zu helfen – die ist nämlich alleinerziehend mit drei kleinen Kindern – ist Oma Müller also hingefahren. Mit der Bahn, denn Oma Müller hat keinen Führerschein.
Jetzt aber muss Oma Müller wieder nach Hause fahren, um dort ein wenig nach dem Rechten zu sehen, außerdem hat sie morgen einen wichtigen Arzttermin wegen ihrer Hüfte und neue Tabletten muss sie sich auch verschreiben lassen.
Natürlich hat sie sich lange vorher die Fahrkarte besorgt, natürlich an alles gedacht, auch an die Reservierung…. ja, und jetzt ist sie mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren, mit dem Taxi, und extra eine halbe Stunde vorher…. und dann steht sie da.
Kein Zug.
Das Taxi ist wieder weggebraust und Oma Müller wartet da am zuglosen Bahnhof im strömenden Regen am Sonntagmorgen. Die Bahnhofshalle und den Wartesaal hat man ja schon vor zehn Jahren wegrationalisiert und die einzige Sitzbank hat man kapputtvandalisiert.
Aber Oma Müller hat ja Zeit. Sie wartet geduldig. Im Regen. Im Stehen. Irgendwann wird schon ein Zug kommen.
Irgendwann kommt auch ein Zug, der ist brechend voll und Oma Müller bekommt natürlich keinen Sitzplatz und sie muss stehen, obwohl ihr inzwischen schwindelig ist.
Dann muss sie umsteigen. Da am Bahnsteig stehen viele hundert Leute. Oma Müller ist inzwischen ein wenig kurzatmig, und die Schmerzen in der Brust sind auch wieder da, aber was soll’s, damals in der Schlechten Zeit nach dem Krieg, da war alles noch viel, viel schlimmer.
Dann kommt der Zug und alles drängt zu den Türen und Oma Müller passt einen Moment lang nicht auf und…
Schenkelhalsfraktur.
Operation.
Nix mehr mit Babysitten. Stattdessen hat Frau Müller Junior nicht nur drei Kinder, sondern auch noch eine pflegebedürftige Mutter am Hals.
Aber:
„Wir können auf solche bedauernswerten Einzelschicksale leider keine Rücksicht nehmen,“ sagt der Gewerkschaftsboss, „Wo gehobelt wird, da fallen Späne!“

Written by medizynicus

19. Oktober 2014 at 12:50

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Keine andere Wahl

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Nee, sorry…..
….nee, geht wirklich nicht…
Ja, ich weiß, Du bist blutüberströmt weil Du gerade zusammengeschlagen wurdest von einer wütenden Menschenmenge….
….neee, aber ich habe leider keine andere Wahl, lieber Lokführer, ich kann dich wirklich nicht behandeln!

Damit wir uns nicht missverstehen: Nein, das hat nichts mit unterlassener Hilfeleistung zu tun.
Aber meine Arbeitskraft ist nun einmal begrenzt. Und die stelle ich zunächst bevorzugt den vielen gestrandeten Reisenden zur Verfügung, die dehydriert und unterkühlt auf irgendwelchen Bahnhöfen herumhängen mussten oder womöglich dort kollabiert sind. Abgesehen davon: habe ich eigentlich kein Recht, zu streiken?

Wir können an der Stelle keine Rücksicht darauf nehmen, dass Urlaub ist oder dass etwa die Schulferien zu Ende gehen“, sagte GDL-Chef (…) Die Mitglieder hätten „keine andere Wahl, als in den Streik zu treten“

Written by medizynicus

18. Oktober 2014 at 19:15

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