Archive for Februar 2015
Der Kugelschreiber (Gruß ans Salzamt)
Der Brief muss unbedingt noch weg! Heute noch! Und zwar per Einschreiben, weil … damit Don Corleone ein für alle Male kapiert, dass ich sein Angebot abgelehnt habe, und zwar ein für alle Male, aber weil Don Corleone halt so ist wie er ist, hat er mir eine Frist gesetzt und die ist Morgen zu Ende und bis dahin muss der Brief bei ihm angekommen sein.
So, und jetzt wird’s Zeit: schnell das Ding ausgedruckt, aus dem Sekretariat einen Briefumschlag stibitzt und dann nix wie los zum Postamt, das ist nämlich nur bis achtzehn Uhr geöffnet und inzwischen ist es schon fast zwanzig vor.
Ich hechte also die Straße entlang, am Bahnhof vorbei zu dem wuchtigen Behördenklotz, der dort immer schon stand, seit Kaiser Wilhelms Zeiten schon. Ich sprinte die Freitreppe hoch, durch das Portal in den Vorraum und … Dong!
Die Glastür, die mich jetzt noch von der ehemals kaiserlichen Briefmarkenverkaufsanstalt trennt, ist geschlossen. Blick auf die Uhr: Fünf Minuten vor sechs. Blick auf die Glastür: Geschlossen. Blick auf das Schild daneben: Geöffnet werktags bis achtzehn Uhr. Blick auf die Glastür: Immer noch geschlossen. Blick auf das kleine Schildchen über dem Reklameplakat: Heute geschlossen wegen Istnicht. Istnicht? Betriebsversammlung ist. Höre ich von drinnen leises Kichern, Gläserklirren und Schlager-Polonäse-Musik? Kann auch Einbildung sein. Aber die Tür ist zu.
Und mein Brief muss morgen früh bei Don Corleone sein.
Okay, dann halt nicht per Einschreiben.
Immerhin, einen Briefmarkenautomaten gibt es ja hier im Vorraum und ein Briefkasten ist auch vorhanden. Also hole ich meinen stibizten Briefumschlag aus der Tasche, dazu den inzwischen etwas zerknitterten Ausdruck und ein paar Münzen im Wert von fünfundachtzig Cent, schnell ist die Briefmarke beleckt und auf den stibitzten Umschlag gepappt und den Brief in den selbigen gesteckt, muss ich nur noch schnell Don Corleones Adresse draufkritzeln, Momentmal, schnell einen Kugelschreiber finden…..
Äh…. einen Kugelschreiber?
Handy, Laptop, Ipad samt Ladegeräten ist alles vorhanden, aber einen Kugelschreiber….? Wozu braucht man sowas? Wer schreibt heutzutage denn noch auf Papier? Nur weil Don Corleone keine Kündigungen per Email akzeptiert muss ich doch noch lange nicht Papierschreibgeräte mit mir herumführen! Aber jetzt muss ich irgendwie seine Adresse aus dem Handy-Adressverzeichnis aufs Papier gebrannt kriegen, und das geht in diesem Umfeld hier nur mit der Hilfe eines schnöden Kugelschreibers. Und da hab ich keinen. Hilft alles nix. In meiner Dienstkleidung steckt jetzt mit Sicherheit ein halbes Dutzend davon und in der obersten Schublade meines Schreibtisches liegen die Dinger kiloweise herum, aber hier vor Ort… Fehlanzeige.
Und der öffentliche Kugelschreiber – also so ein abgegriffenes Ding mit Kette fest an der Wand verdübelt gibt’s hier nicht, wurde wegvandalisiert, hängt nur noch die Kette von herum.
Zaghaft klopfe ich an die Glastür. Ob sich einer der Betriebsversammelten vielleicht erbarmen mag…?
Aber nein, die hören mich gar nicht.
Verzweifelt suchend schaue ich mich um.
Und dann … hey, presto, wir sind doch modern, kundenorientiert, haben ein Qualitätsmanagement und ein offenes Ohr für die Anliegen unserer Kunden … und dieses Offene Ohr hängt in Form eines Telefonhörers in einer Nische herum. Man muss auf einen Knopf drücken, dann meldet sich nach dreimaligem Tuten eine menschliche Stimme.
„Hier ist die Serviceinformationszentrale, stets zu Diensten, was können wir für Sie tun?“
„Ich brauche einen Kugelschreiber!“
„Äh… wo sind Sie denn?“
„Hier in der Post.“
„Äh… ich meine, in welcher Stadt? Sie sprechen mit der Serviceinformationszentrale in Ganzweitweg, da müssen Sie uns schon sagen, wo Sie sich gerade befinden!“
„Äh… in Bad Dingenskirchen…“
„Bad Dingenskirchen am Pieselbach? In welcher Straße?“
„Im Postamt, sagte ich doch, also gegenüber vom Bahnhof!“
„Gegenüber vom Bahnhof, das sagt mir nichts… ich brächte schon den genauen Straßennamen!“
Wie das hier wohl heißen mag? Vermutlich Bahnhofsplatz?
„Gut, am Bahnhofsplatz sind Sie, jetzt hab ich’s gefunden! Was genau ist Ihr Anliegen?“
„Ich bräuchte mal eben einen Kugelschreiber!“
„Einen Kugelschreiber?“
„Ja, um die Adresse auf einen Brief zu schreiben!“
„Warum fragen Sie nicht die Kollegen am Schalter?“
„Weil da geschlossen ist obwohl eigentlich offen sein müsste!“
„Ah, verstehe, vermutlich Betriebsversammlung. Das machen wir öfters, wissen Sie…“
„Können Sie nicht einfach da drinnen mal fragen, ob einer vielleicht mal eben an die Tür kommt und…“
„Bedaure, Sie sprechen mit der Serviceinformationszentrale in Ganzweitweg, wir haben keinerlei Kontakt zu den Filialen vor Ort, wir können nur per Internet….“
„Entschuldigung, aber Internet habe ich selbst. Ich brauche einen Kugelschreiber!“
„….ich sehe gerade, im Gewerbegebiet an der Autobahn gibt es eine Postfiliale…“
„Mit Kugelschreiber?“
„…die welche bis Achtzehn Uhr dreißig geöffnet ist. Und die haben erst morgen Betriebsversammlung. Wenn Sie sich also beeilen….“
Und wie soll ich da hinkommen? Das sind immerhin sieben Kilometer und ohne Auto…. aber bevor ich weiter fragen kann, hat die Serviceinformationszentrale auch schon aufgelegt.
Vor der verschlossenen Glastür steht eine junge Frau mit einem großen Paket und tippt hektisch auf ihrem Handy herum.
„Wenn ich Ihnen einen Tipp geben kann: die Filiale im Gewerbegebiet an der Autobahn….“
„Da komme ich gerade her. Die nehmen keine Pakete. Sie haben mich hierher geschickt!“
Immerhin hat sie einen Kugelschreiber.
Und so schafft es mein Brief vielleicht doch noch bis morgen früh auf Don Corleones Schreibtisch.
Warum einen Gruß ans Salzamt?
Spätestens seitdem die Tage von Kaiser Franz Joseph und Sissi Vergangenheit sind, gibt es auch auf dem Territorium der ehemaligen Donaumonarchie keine Salzämter mehr.
Wenn sich heute zwischen Bregenz und Wien jemand über irgendwas aufregt und erzählt, wie furchtbar dies oder jenes sei, dann sagt man zu ihm: „Jo mei, geh, do konnst Di beim Salzamt beschwern!“ Das kann man auch sein lassen. Oder man belästigt halt seine Blogleser mit der Geschichte…
Written by medizynicus
24. Februar 2015 at 22:17
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Hausarzt vernachlässigt seine Pflicht
Also, der alte Dr. Pömpel, der liegt jetzt im Krankenhaus.
Er hatte nämlich einen Herzinfarkt. Immerhin, er hat’s überlebt. Wie sagt man bei uns im Dorf? Unkraut vergeht nicht, jawoll, nä? Hahaha!
Also, das mit dem Herzinfarkt vom Dr. Pömpel, die Leute sagen ja, das wäre alles nur psychisch. Also weil er ja letztens zum Gericht musste, weil der Schwiegersohn von der alten Strunzbichler, der hat ihn ja angezeigt. Also, die alte Strunzbichler, die ist doch damals gestorben, weil der Dr. Pömpel nicht rechtzeitig gekommen ist. Wisst ihr das nicht?
Ja, also das war doch so: Dr. Pömpel hatte Mittagspause. Also die Sprechstunde war zu Ende und da ist da in der Praxis nur noch der Anrufbeantworter gelaufen. Mit so einer ellenlangen Ansage: „Sie rufen außerhalb unserer Sprechstundenzeiten an. Unsere Sprechstunden sind… blablabla…“ Und am Ende, also ganz am Ende, da kam dann die Handy-Nummer vom Dr. Pömpel. Und die alte Strunzbichler, die ist doch hingefallen zu Hause. Einfach so hingefallen, hat sich nicht mehr gerührt und gar nichts mehr gemacht. Die Tochter ist natürlich gleich los und hat den Doktor gerufen. Aber der Doktor ist ja nicht ans Telefon gegangen. Weil er nämlich im Funkloch war. Hat er zumindest behauptet, aber behaupten kann man ja viel.
Also, der Dr. Pömpel, der hat gesagt, er sei gerade auf dem Weg zu einem Hausbesuch gewesen, irgendwo in der Pampa, wo es keinen Handy-Emfpfang gibt, aber in Wirklichkeit war er wohl schon fertig mit dem Hausbesuch und war auf dem Weg zurück in die Praxis. Möglicherweise war er aber auch beim Metzger, und hat sich ein Leberkäsbrötchen gekauft, also mit Senf und Gürkchen, es gibt jedenfalls Leute, die ihn da gesehen haben wollen, und das kann auch stimmen, denn da beim Metzger in der Ecke, da ist der Handy-Empfang wirklich nicht sonderlich gut. Also, das hätte der Dr. Pömpel ja wissen müssen, wenn er Dienst hat, nicht wahr? Die Tochter von der alten Strunzbichler jedenfalls, die hat es drei Mal versucht und dann, nach fünf Minuten hat sie entnervt aufgegeben und den Rettungsdienst angerufen. Also die Eins-Eins-Zwo.
Hat aber alles nichts genützt. Die alte Strunzbichler ist zwar noch lebend ins Krankenhaus gekommen, dann aber nach zwei Tagen verstorben. Ja. Und der Schwiegersohn von ihr, der ist ja Rechtsanwalt, und der hat dann den Doktor Pömpel verklagt, weil der nicht ans Handy gegangen ist, weil das hätte er ja wissen müssen, das mit dem Funkloch, und wenn er gleich hergekommen wäre, dann wäre die alte Frau Strunzbichler vielleicht heute noch am Leben.
Also ehrlich gesagt, da ist ja schon was dran, an der Sache. Also, der Dr. Pömpel, der hatte in der letzten Zeit verdächtig oft den Anrufbeantworter laufen.
Obwohl der doch Dienst hatte! Also, so ein Hausarzt, der muss doch erreichbar sein, zumindest tagsüber, da kann man doch nicht einfach ins Funkloch gehen, oder?
Naja, das hat er sich wohl auch gedacht, der alte Dr. Pömpel und hat sich schwere Vorwürfe gemacht, aber die nutzen der alten Strunzbichler jetzt auch nicht mehr, möge sie in Frieden ruhen, nach ihren fünfundneunzig Jahren…..
Written by medizynicus
19. Februar 2015 at 08:24
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
Warum es bei uns im Dorf keinen Arzt mehr gibt
Also, der alte Doktor Pömpel, der war toll. Der war so’n richtiger Arzt, wie es sich gehört. War immer da, wenn man ihn brauchte, hatte immer Zeit und das Wartezimmer war brechend voll. Ja, und jetzt hat’s ihn erwischt. Mitten aus der Sprechstunde heraus hat’s ihn erwischt. Dem Herrn Franselhuber hat er noch schnell die Krankschreibung unterschrieben, für’s Amt, weil sonst hätte der kein Geld mehr bekommen, weil er kann ja nicht arbeiten, schon wegen seiner Psyche nicht.
Doktor Pömpel ist jedenfalls mitten in der Sprechstunde einfach so zusammengeklappt und dann war er tot. Der Herr Franselhuber hat seinen Krankenschein eingesteckt und ist rausgegangen.
„Kuck mal einer nach dem Doktor!‟ hat er gesagt, „Vielleicht braucht der selbst nen Doktor, hahaha!‟
Stimmte aber gar nicht. Doktor Pömpel brauchte keinen Doktor mehr.
Und all die vielen Leute, die da noch im Wartezimmer saßen, die haben jetzt keinen mehr.
Ja, ist schon schlimm, bei uns im Dorf. Jetzt wissen wir gar nicht mehr, wo wir hingehen sollen. Weil, zu dem Neuen, der wo der Witwe vom Pömpel die Praxis abgezockt hat, zu dem kann man nicht gehen. Weil der ist nicht von hier. Der spricht nämlich nur Hochdeutsch. Und der integriert sich einfach nicht. Der ist in keinem Verein drinnen, nicht bei der freiwilligen Feuerwehr und schon gar nicht beim Stammtisch. Und seine Frau auch nicht. Weil der hat nämlich gar keine Frau. Das muss man sich mal vorstellen: ein Doktor ohne Frau! Der ist doch bestimmt vom anderen Ufer, obwohl, man erzählt sich, dass er jedes Wochenende in die Stadt fährt, da hat er nämlich so’n unehrliches Kind. Also ein Kind, obwohl er gar nicht verheiratet ist! Also, so einer ist das, anstatt sich um seine Patienten zu kümmern, fährt der zu seinem Liebchen in die Stadt, fast jedes Wochenende, egal ob bei uns Schützenfest ist oder Feuerwehrball. Und neulich, da ist er noch nichtmal ans Telefon gegangen, obwohl er daheim war, jawoll, das haben wir genau gesehen, da brannte nämlich noch Licht, abends um zehn, und er ist nicht ans Telefon gegangen obwohl der Franselhuber wieder dringend einen Krankenschein brauchte, weil sonst hätte er nämlich am nächsten Morgen aufs Amt gemusst, aber das konnte er ja nicht, wegen der Psyche, und darum brauchte er dringend wieder einen neuen Schein und der neue Doktor wollte ihm keinen geben, ja, der ist noch nichtmal ans Telefon gegangen, obwohl er zu Hause war, was alle ganz genau gesehen haben! Ach, und überhaupt, wenn man mal was von ihm will, dann macht der da immer eine Riesensache draus. Der alte Pömpel, der war da einfach und geradeaus. Hatte man Rückenschmerzen, dann ist man hin zu ihm, zum alten Pömpel und der hat einem die Spritze gegeben, zack, und gut war! Der hatte immer Zeit gehabt, der alte Pömpel. In dreißig Sekunden war man wieder draußen: Spritze rein, und fertig, was will man mehr? Gut, man hat halt ein bisschen warten müssen im Wartezimmer, so zwei, drei Stunden, das war normal, aber so ist das halt, darum heißt es ja auch Wartezimmer, außerdem hatte er gute Zeitschriften da und es war immer was los. Jetzt bei dem Neuen, da ist das Wartezimmer leer. Kein Wunder. Der vergibt ja auch Termine. Das muss man sich mal reintun: Termine! Muss man anrufen, und wenn man dann einen Termin hat, dann kommt man sofort dran. Ist klar, der hat ja nix zu tun, der Neue! Und wenn man dann drin ist bei ihm, dann fängt der an zu diskutieren, will genau wissen, wie das ist mit den Rückenschmerzen und ob man Stress hat und so und dann diskutiert man eine halbe Stunde mit dem und die Spritze kriegt man trotzdem nicht…. So isser halt, tut nix, macht nix, hat keine Zeit und darum gehen wir da nicht hin und darum brauchen wir unbedingt einen neuen Arzt bei uns im Dorf!
Written by medizynicus
4. Februar 2015 at 08:41
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn