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Zum Arzt wird man geboren oder man ist es nie… Kann man Arzt-sein wirklich lernen?
Arzt kann jeder werden.
Also, zumindest im Prinzip: wenn man Abitur hat, natürlich gut genug um den NC zu schaffen, und der liegt heutzutage bei… puh… einskommanull, fast überall, nicht wahr? Ehrlich gesagt, so gut war ich nicht, damals. Okay, die Hürden sind nicht ohne, wenn man einen Studienplatz erlangen will. Und das Studium selbst hat es ebenfalls in sich, zumindest die ersten Jahre, und dann muss man noch das Examen schaffen, aber dann ist man Arzt. Endlich!
Pustekuchen, sagen Diejenigen, die es unbedingt besser wissen müssen: Wer Medizin studiert hat, ist Mediziner. Ein Mediziner ist noch lange kein Arzt. Arzt kann man nicht werden, Arzt muss man sein: man ist es, oder man ist es nicht, und wer es ist, der war es immer schon, Punkt, aus basta!
„Zum Arzt wird man geboren oder man ist es nie. Gütige Götter legen ihm Gaben in die Wiege, die nur geschenkt, niemals aber erworben werden können.“ – das soll der Schlaumeier Erwin Liek einmal im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts behauptet haben (wobei interessant sein dürfte, welcher Religionsgemeinschaft er eigentlich angehört hat, da er ja von Göttern in der Mehrzahl spricht).
Arzt sein ist also etwas ganz Besonderes, das ist einem entweder in die Wiege gelegt oder halt nicht.
Hmm. Ich dachte bislang immer, Arzt sei ein ganz normaler Beruf wie jeder Andere auch – ein bisschen mehr Sozialprestige als ein Müllmann (womit ich nichts gegen Müllmänner und -Frauen gesagt haben möchte) und ein bisschen weniger Geld als Investmentbanker oder Top-Anwalt. Aber ehrlich gesagt, so ganz unter uns, bin ich mir ziemlich sicher, dass damals, als ich in die Windeln gemacht und im Kinderbettchen geschlafen habe (Wiegen waren, soweit ich weiß, zu meiner Zeit schon nicht mehr so verbreitet) noch kein Arzt war. Wirklich nicht. Seid ihr jetzt enttäuscht?
Ich wurde es erst während meines Studiums… oder vielleicht erst nachher?
Zugegeben: nicht jeder, der das ärztliche Staatsexamen erfolgreich besteht, wird ein guter Arzt. Es mag sogar Kollegen geben, die das Examen mit Bravour und Bestnote bestanden haben und trotzdem (oder gerade deswegen?) furchtbare Ärzte sind.
Es gibt sogar furchtbare Verbrecher, Mörder und sogar Massenmörder in unserem Berufsstand: Leute – ich schäme mich hier, das Wort „Kollegen‟ in den Mund zu nehmen – also miese Typen, die ihr Gewissen an der Garderobe abgegeben haben.
Womit wir beim Thema wären: ein Arzt sollte so etwas wie ein Gewissen haben. Er sollte so etwas wie Wertschätzung für seine Patienten (und andere Mitmenschen) empfinden. Ein Arzt sollte ethisch handeln.
Das Zauberwort heißt „Empathie‟. Empathie ist die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich in andere Menschen hineinzudenken.
Nicht jeder Mensch ist empathisch. Es gibt Menschen, denen jede Empathie fehlt – eng verbunden damit ist das Krankheitsbild der Dissiozialen Persönlichkeitsstörung, in seiner schweren Form auch als „Psychopathie‟ bezeichnet. Nun liegt es auf der Hand, dass Psychopathen in der Regel keine guten Ärzte sind – wobei es durchaus Fachgebiete gibt, in denen Empathie nicht ganz so wichtig ist – ich denke da zum Beispiel an Pathologen und Labormediziner (bitte keine Chirurgenwitze an dieser Stelle!). In diesen Disziplinen kommt man weitgehend ohne Patientenkontakte aus.
Wer mit Patienten zu tun haben will – und das dürfte die weit überwiegende Mehrheit aller Kolleginnen und Kollegen sein – der sollte sich irgendwann einmal ein paar Gedanken zum Thema Empathie gemacht haben.
Nun darf man Empathie nicht mit Mitleid verwechseln. Zwar gehört laut Wikipedia zur Empathie auch „die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen‟, wie eben Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft, aber es geht vor allem darum, Gefühle – seine eigenen und die seiner Mitmenschen – wahrnehmen und auch richtig einschätzen zu können. Ein Arzt, der beim Anblick eines jeden schwerkranken Patienten sofort in Tränen ausbricht mag zwar ein wesentlich sympathischerer Mensch sein als ein fieser Psychopath, ob er seinen Patienten damit weiterhilft, steht aber auf einem anderen Blatt.
Empathie fällt nicht vom Himmel. Empathie kann man lernen, so wie man anatomische Strukturen, physiologische Abläufe und die Entstehung und Behandlung von Krankheiten lernen kann.
Empathie wird übrigens auch tatsächlich gelehrt – zumindest gibt es für engagierte Studenten/innen und Jung-Ärzte genügend Möglichkeiten, empathisches Handeln lernen. Wenn man denn will. Ob man das will und ob es einen in seiner Karriere wirklich weiterbringt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Aber, um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Ja, Arzt sein kann man wirklich lernen – und man muss es auch tun, denn es wird einem eben nicht in die Wiege gelegt.