Posts Tagged ‘Geheimsprache’
AZ-Verschlechterung: Nichts wissen, nichts tun, viel sagen
So, liebe Leute, heute geht es mal wieder um unsere ärztliche Geheimsprache.
Was ein Morbus Bahlsen ist oder eine zerebrale Flatulenz, das wisst Ihr ja jetzt.
Manchmal haben wir Ärzte es halt prima drauf, unsere Patienten zu beleidigen.
Aber manchmal wollen wir das gar nicht. Manchmal geht es uns auch eher darum, unser Nichtwissen zu kaschieren. Und auch dazu haben wir unsere Tricks. Oft ist Angriff die beste Verteidigung. Und mit Nebel zu werfen – das ist eine herrliche Strategie.
Stürzen wir uns ins Getümmel: in Medias Res, wie der Lateiner sagt.
Und das ist unser Stichwort: Latein kommt immer gut. Zu früheren Zeiten, da war das Große Latinum eine Conditio Sine Qua Non, eine Bedingung ohne die nix.
Will sagen, wer Arzt werden wollte musste Latein sprechen und nach Möglichkeit auch ein wenig Griechisch. Altgriechisch natürlich. Nun sind diese beiden Idiome heutzutage etwas aus der Mode gekommen, seitdem sich herumgesprochen haben dass selbst exzellente Lateinkenntnisse nicht immer hilfreich sind, wenn man sich in einer römischen Trattoria ein Osso Bucco bestellen will, auch sind die Worte Gyros und Moussaka im Altgriechischen unbekannt.
Abgesehen davon sprechen die Bedienungen in den Hafentavernen von Mykonos heutzutage meistens fließend Englisch oder Deutsch und das wir die Ärzte auch.
Um uns dennoch vom Gemeinen Volk zu unterscheiden, verwenden wir Abkürzungen.
Zum Beispiel die gute, alte AZ-Verschlechterung.
Was bedeutet das?
Stellen wir uns also vor, der Hausarzt Dr. Schlechtgelaunt wird nachts aus dem eigenen Bett an die Schlafstätte eines Patienten zitiert.
Der Patient röchelt und stöhnt und es ist ganz offensichtlich, dass es ihm schlecht geht.
Dr. Schlechtgelaunt funzelt ein wenig mit seiner Taschenlampe im Hals des Patienten herum, drückt auf den Bauch, hört auf Herz und Lunge und stellt fest dass der Patient stöhnt und röchelt und es ihm nicht gut geht.
Schlecht genug, um ihn ins Krankenhaus zu schicken.
Dr. Schlechtgelaunt nimmt also einen jener postkartengroßen Einweisungszettel aus seiner Arzttasche und krakelt ein paar Schriftzeichen darauf.
Aber halt: Das Formular verlangt die Angabe einer “Einweisungsdiagnose”.
Was schreibt man da rein, wenn man nun wirklich absolut nicht weiß, was Sache ist?
“Az-Verschlechterung” – wobei „AZ“ für „Allgemeinzustand“ steht und das heisst dann: Lieber Krankenhauskollege, ich hab keine Ahnung, jetzt mach Du mal weiter!
Wozu brauchen wir Ärzte eine Geheimsprache?
Ganz klar: Damit die Patienten uns nicht verstehen.
Die Ärztegeneration der „alten Schule“ redet selbstverständlich Latein oder Griechisch, heutzutage hingegen redet man auch schon einmal englisch. Oder man erfindet Abkürzungen – wahrscheinlich der effizienteste Weg, denn Abkürzungen kann man nicht so ohne Weiteres im Wörterbuch nachschauen.
Nun gibt es verschiedene Arten von „Geheimbegriffen“.
Und nicht immer geht es darum, den Patienten zu beledidigen, wie oft gerne angenommen wird.
Es gibt in unserer Branche so manches Tabu. Wörter, die man nicht ausspricht weil sie Dinge bezeichnen, die unangenehm sind: Tod und Sterben etwa.
Zum Beispiel bösartige Tumorerkrankungen (ich könnte auch „Krebs“ sagen, aber das sagt man nicht im Krankenhaus). Die sind leider oft genug ein Todesurteil, man geht ihnen aus dem Weg, glaubt dass mit dem nicht-Nennen des Namens auch die Krankheit aus dem Weg geht. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es den Begriff „The Big C“, das Große C, C für Carcinom, ein Wort, das man nicht ausspricht.
Verständlich.
Manchmal nennt man einen Tumor auch eine „mitotische Wunde“ oder einfach nur „eine Geschwulst“. Metastasen – Tochtergeschwulste – werden als „filiae“ bezeichnet.
Aids ist auch so eine Sache. Man spricht oft verharmlosend von einem „Immundefekt“ oder kurz und diskret von „ID“.
Früher war Tuberkulose oft ein Todesurteil. Außerdem hatte die Krankheit hatte in früheren Zeiten ein soziales Stigma, galt als „Armeleutekrankheit“ und wurde verdrängt und tabuisiert, man redet einfach nur von „säurefesten Stäbchen“, oder „Morbus Koch“ oder nuschelt einfach etwas von „säurefest“.
Es gibt noch viele, viele weitere Beispiele…