Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

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Morbus Bahlsen Reloaded

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Erinnert Ihr Euch noch an das denkwürdige Küchengespräch mit Jenny aus dem frühen Frühjahr?
Es ging um Morbus Bahlsen, zerebrale Flatulenzen und so. Heute ist nun ein geheimer Videomitschnitt des Gespräches aufgetaucht. Aber…. pssst… streng geheim alles!

(alternativ: hier – und herzlichen Dank an Herrn Hellimhals für die Idee!)

Written by medizynicus

23. Juli 2010 at 15:29

Alkohol? Was ist das? Nie gehört!

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…und wieder mal ein Geheimnis aus unserer streng geheimen Geheimsprache:
Heute geht’s um Alkohol. Für die Blitzmerker unter Euch: Alkohol – korrekterweise Äthanol genannt – ist die chemische Verbindung mit der Formel C2-H5-OH, welche als Endprodukt bei der sogenannten Alkoholischen Gärung entsteht. Für den menschlichen Verzehr ist sie – sagen wir mal – bedingt geeignet, steigert in kleinen Mengen durchaus das Wohlbefinden und ist in höheren Konzentrationen leicht flüchtig und brennbar. Und macht auf Dauer die Leber und das Hirn kaputt.
Aber genug der Theorie.
Vergegenwärtigen wir uns den guten Herrn Fusel-Franze. Wir erinnern uns: Fusel-Franze nimmt tagtäglich sein Fläschchen Wodka zu sich, oder manchmal Wein, Bier, Korn, Brennspiritus, was auch immer er in die Finger kriegt.
Wie nennt man solche bedauernswerten Gestalten?
Nein, nicht Schnapsdrosseln, das wäre beleidigend.
Und Alkoholiker gibt’s vielleicht bei den Anoynmen Ebensolchen aber nicht bei uns im Krankenhaus. Hier nennt man die Dinge nicht beim Namen. Zumindest nicht bei dem Namen, welcher in der unwissenden Zivilbevölkerung allgemein bekannt sein könnte.
Wir gehen wissenschaftlich an die Sache ran. Nicht Alkohol sondern C2-H5-OH, oder Zeh-Zwo-Hah-Fünf-Oh-Hah. Oder kurz: Zeh-Zwo. Und mit dem Zeug betreibt man auch keinen Missbrauch, sondern Abusus.
C2-Abusus.
Und wenn der Alk die Leber kaputt macht, dann redet man von einer Äthyltoxischen Schädigung.
Im Falle einer Magenschleimhautentzündung ist man sogar noch vornehmer: Da redet man von einer „ernährungsbedingten“ oder „alimentären“ Gastritis und nur der echte Insider weiß, welches leicht flüchtige, bedingt genießbare Nahrungsmittel sich dahinter verbirgt.
Ach ja, und noch etwas:
Sollte in der Krankenakte etwas stehen von „Foetor Äthylicus ex Ore“, dann ist das absolut nichts Feines oder Vornehmes. Was es bedeutet?
Die betreffende Person stinkt aus dem Hals.
Nach… ja was wohl?

Written by medizynicus

14. April 2010 at 07:39

Diagnosen und Nicht-Diagnosen

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Wer krank ist, braucht eine Diagnose. Das ist halt so und gehört zu den Eigentümlichkeiten des deutschen Gesundheitswesens. In anderen Ländern mag das anders sein, aber hier bei uns gilt: Ohne Diagnose keine Behandlung und vor allem: Ohne Diagnose keine Abrechnung. Vor allem um Letzteres geht es natürlich in Wirklichkeit.
Nun ist es aber oft so, dass wir gar nicht so genau wissen, was unserem Patienten eigentlich fehlt.
Es mag paradox klingen aber: in vielen Fällen ist das auch gar nicht notwendig.
Wir untersuchen den Patienten, schließen gefährliche Erkrankungen aus und lindern gleichzeitig die Beschwerden, so gut wir können. Und letzteres klappt oft ganz gut ohne dass wir genau wissen, wo die Beschwerden eigentlich herkommen.
Wenn der Patient uns fragt, könnten wir sagen: „Wir wissen nicht, was mit Ihnen los war, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass es nichts ernstes war!“
Wenn wir das sagen würden, würden wir aber keine gute Figur machen.
Zumindest glauben das die meisten von uns. Und deshalb umschreiben wir unser Nichtwissen mit vielen Worten. Die lateinische und die altgriechische Sprache ist uns dabei wieder sehr hilfreich.
Wie bastelt man sich also eine wohlklingende Nicht-Diagnose zurecht?
Ganz einfach: Zunächst einmal nehme man den Namen des betreffenden Organs oder der Körperregion und übersetze sie je nach Geschmack ins Lateinische oder Griechische.
Diesen verfeinern wir mit ein paar netten Zusätzen: „-itis“ zum Beispiel für ein akut entzündliches Geschehen oder „-ose“ für eine chronische Geschichte oder „-dynie“ oder „-algien“, wenn es um Schmerzen geht.
Aus Magenschmerzen werden auf diese Weise „Gastralgien“ und ein Zwicken in der Achillessehne wird zur „Achillodynie“.
Jetzt fügen wir noch ein hübsches Adjektiv hinzu: „funktionell“ zum Beispiel oder „kryptogen“ oder „idiopathisch“. Klingt toll und bedeutet alles in etwa das Gleiche, nämlich „aus unbekannter Ursache“.
Und, ehrlich gesagt: „Sie haben eine kryptogene Gastralgie“ klingt doch besser als: „Ich weiß auch nicht, woher Ihre Bauchschmerzen kommen“. Oder?

Written by medizynicus

10. April 2010 at 07:08

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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AZ-Verschlechterung: Nichts wissen, nichts tun, viel sagen

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So, liebe Leute, heute geht es mal wieder um unsere ärztliche Geheimsprache.
Was ein Morbus Bahlsen ist oder eine zerebrale Flatulenz, das wisst Ihr ja jetzt.
Manchmal haben wir Ärzte es halt prima drauf, unsere Patienten zu beleidigen.
Aber manchmal wollen wir das gar nicht. Manchmal geht es uns auch eher darum, unser Nichtwissen zu kaschieren. Und auch dazu haben wir unsere Tricks. Oft ist Angriff die beste Verteidigung. Und mit Nebel zu werfen – das ist eine herrliche Strategie.
Stürzen wir uns ins Getümmel: in Medias Res, wie der Lateiner sagt.
Und das ist unser Stichwort: Latein kommt immer gut. Zu früheren Zeiten, da war das Große Latinum eine Conditio Sine Qua Non, eine Bedingung ohne die nix.
Will sagen, wer Arzt werden wollte musste Latein sprechen und nach Möglichkeit auch ein wenig Griechisch. Altgriechisch natürlich. Nun sind diese beiden Idiome heutzutage etwas aus der Mode gekommen, seitdem sich herumgesprochen haben dass selbst exzellente Lateinkenntnisse nicht immer hilfreich sind, wenn man sich in einer römischen Trattoria ein Osso Bucco bestellen will, auch sind die Worte Gyros und Moussaka im Altgriechischen unbekannt.
Abgesehen davon sprechen die Bedienungen in den Hafentavernen von Mykonos heutzutage meistens fließend Englisch oder Deutsch und das wir die Ärzte auch.
Um uns dennoch vom Gemeinen Volk zu unterscheiden, verwenden wir Abkürzungen.
Zum Beispiel die gute, alte AZ-Verschlechterung.
Was bedeutet das?
Stellen wir uns also vor, der Hausarzt Dr. Schlechtgelaunt wird nachts aus dem eigenen Bett an die Schlafstätte eines Patienten zitiert.
Der Patient röchelt und stöhnt und es ist ganz offensichtlich, dass es ihm schlecht geht.
Dr. Schlechtgelaunt funzelt ein wenig mit seiner Taschenlampe im Hals des Patienten herum, drückt auf den Bauch, hört auf Herz und Lunge und stellt fest dass der Patient stöhnt und röchelt und es ihm nicht gut geht.
Schlecht genug, um ihn ins Krankenhaus zu schicken.
Dr. Schlechtgelaunt nimmt also einen jener postkartengroßen Einweisungszettel aus seiner Arzttasche und krakelt ein paar Schriftzeichen darauf.
Aber halt: Das Formular verlangt die Angabe einer “Einweisungsdiagnose”.
Was schreibt man da rein, wenn man nun wirklich absolut nicht weiß, was Sache ist?
“Az-Verschlechterung” – wobei „AZ“ für „Allgemeinzustand“ steht und das heisst dann: Lieber Krankenhauskollege, ich hab keine Ahnung, jetzt mach Du mal weiter!

Written by medizynicus

8. April 2010 at 07:23

Veröffentlicht in nicht so richtig ernst

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Morbus Bahlsen und Cerebrale Flatulenzen oder: die Geheimsprache der Ärzte

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Die Visite ist vorbei und ich sitze in der Stationsküche und blättere die Zeitung durch, welche eigentlich einem Privatpatienten gehört aber selbigem von Kalle entwendet wurde, da der Patient eh dement ist.
Die Tür geht auf und Jenny kommt rein.
„Du, sag mal, kannst Du mir was erklären?“
„Aber selbstverständlich!“ sage ich und bemühe mich um ein strahlendes Lächeln.
„Kannst du mir sagen, was ein Morbus Bahlsen ist?“
Ich unterdrücke ein Lachen.
„Wo hast Du denn das her?“
„Hat Kalle heute früh gesagt, auf Visite.“
„Er hat es zu einem Patienten gesagt?“
„Nee, ganz leise zu mir. Der Patient hat es nicht mitbekommen.“
„Und dann?“
„Dann wollte ich es in die Akte schreiben und Kalle hat so komisch gegrinst und mir den Stift aus der Hand genommen!“
„Hmmm.“
Ich setze die Kaffeetasse ab,weil ich mich sonst verschluckt hätte.
„Was bedeutet das denn jetzt?“
„Also, ‚Morbus‘ ist lateinisch und bedeutet ‚Krankheit’…“
„Aha?“
„Manche Krankheiten sind nach berühmten Ärzten benannt.“
„Und wer war nun…?“
„Was fällt Dir zum Thema Bahlsen ein?“
„…Gebäck… Kekse…“
„Bingo!“ sage ich feierlich, „Morbus Bahlsen heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass der Herr Kollege Kalle die Ansicht vertritt, jener Patient habe einen weichen Keks. Oder einen an der Waffel. Oder…“
Jenny verdreht die Augen.
„Kann man das nicht auch anders ausdrücken?“
„Natürlich. Du kannst zum Beispiel sagen: Flatus Cerebri.“
„Was bedeutet das jetzt wieder?“
„Blähungen im Hirn. Oder Furz im Kopf. Man kann auch hinzufügen: Duplex Incarceratus. Das ist dann doppelt eingeklemmt.“
Jenny schüttelt den Kopf.
„Ihr Ärzte habt wohl sonst nichts zu tun!“
Ich lächele sie an, nehme mir noch einen Kaffee und will sie eigentlich fragen, ob sie heute Abend schon was vorhat, aber sie ist schon wieder auf dem Flur verschwunden.

Written by medizynicus

24. Februar 2010 at 08:59

Suchbegriffmysterium: „vidit et dixit“

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Also, Medizynicus ist ja auch ein ziemlich eitler Mensch und schaut sich hin und wieder seine Suchbegriffe an, auch wenn er sein Publikum damit weitgehend verschont.
Aber diese Sache läßt mir doch keine Ruhe.
vidit et dixit
Immer wieder taucht dieser Begriff auf.
Dabei

  1. hat Medizynicus diesen Begriff seines Wissens noch niemals irgendwo erwähnt
  2. kann er zwar ein paar Brocken Lateinisch und weiß daher daß die Worte auf Deutsch soviel wie „Er sah und sprach“ bedeuten
  3. hat er aber keine Ahnung, was da für ein tieferer Sinn hinter stecken könnte
  4. Ist ihm dieser Spruch noch niemals irgendwo in seiner medynischen Laufbahn über den Weg gelaufen
  5. Steht er also völlig vor einem Rätsel.

Also Leute, bitte helft mir, wenn ihr könnt: Was bedeuten diese geheimnisvollen Worte? Google und Wikipedia haben mir nicht weiterhelfen können…

Written by medizynicus

3. November 2009 at 00:25

Wozu brauchen wir Ärzte eine Geheimsprache?

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Ganz klar: Damit die Patienten uns nicht verstehen.
Die Ärztegeneration der „alten Schule“ redet selbstverständlich Latein oder Griechisch, heutzutage hingegen redet man auch schon einmal englisch. Oder man erfindet Abkürzungen – wahrscheinlich der effizienteste Weg, denn Abkürzungen kann man nicht so ohne Weiteres im Wörterbuch nachschauen.
Nun gibt es verschiedene Arten von „Geheimbegriffen“.
Und nicht immer geht es darum, den Patienten zu beledidigen, wie oft gerne angenommen wird.
Es gibt in unserer Branche so manches Tabu. Wörter, die man nicht ausspricht weil sie Dinge bezeichnen, die unangenehm sind: Tod und Sterben etwa.
Zum Beispiel bösartige Tumorerkrankungen (ich könnte auch „Krebs“ sagen, aber das sagt man nicht im Krankenhaus). Die sind leider oft genug ein Todesurteil, man geht ihnen aus dem Weg, glaubt dass mit dem nicht-Nennen des Namens auch die Krankheit aus dem Weg geht. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es den Begriff „The Big C“, das Große C, C für Carcinom, ein Wort, das man nicht ausspricht.
Verständlich.
Manchmal nennt man einen Tumor auch eine „mitotische Wunde“ oder einfach nur „eine Geschwulst“. Metastasen – Tochtergeschwulste – werden als „filiae“ bezeichnet.
Aids ist auch so eine Sache. Man spricht oft verharmlosend von einem „Immundefekt“ oder kurz und diskret von „ID“.
Früher war Tuberkulose oft ein Todesurteil. Außerdem hatte die Krankheit hatte in früheren Zeiten ein soziales Stigma, galt als „Armeleutekrankheit“ und wurde verdrängt und tabuisiert, man redet einfach nur von „säurefesten Stäbchen“, oder „Morbus Koch“ oder nuschelt einfach etwas von „säurefest“.
Es gibt noch viele, viele weitere Beispiele…

Written by medizynicus

1. Juli 2009 at 07:01

Alkoholiker gibts nicht. Nicht beim Arzt und nicht im Krankenhaus.

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Visite. Zwei Ärzte stehen vorm Krankenbett, über die Akte gebeugt und unterhalten sich halblaut.
Nuschelnuschelnuschel.
Der Patient bemüht sich, etwas zu verstehen.
„Hä?“
„Kurzen Moment noch!“
„Könnt Ihr mir vielleicht sagen, was mit mir los ist?“
„Gleich. Sofort.2
Und es wird weitergenuschelt.
Der Patient spitzt seine Ohren und kann ein paar Worte auffangen:
Von „Zeh-Zwo“ ist da die Rede oder von „Zeh-Zwo-Abusus“, und dann von „alimentär bedingter Gastritis“ und „äthyltoxischen Leberveränderungen“.
Manche Dinge sind halt kompliziert, denkt der Patient, die Ärzte haben ja schließlich studiert.
Der Patient weiß nicht, daß „Zeh-Zwo“ die Kurzform für „ZehZwoHaFünfOhHah“ ist, wohinter sich C2H5OH verbirgt, die chemische Formel für Alkohol.
Würde man dieses Wort aussprechen, dann wäre der Patient im Bilde.
Er weiß, daß er ein Problem damit hat. Er weiß, dass er zuviel trinkt und deswegen etwas tun muß.
Aber da redet man ja nicht drüber. Auch nicht im Krankenhaus.
Der eine der beiden Weißkittel blickt auf.
„…und bei der Aufnahme, da bestand erheblicher Foetor…“
„Foetor aethylicus ex Ore?“ fragt der Andere.
Der Kollege nickt.
Foetor bedeutet „Gestank.“
Und „Foetor aethylicus ex Ore“ bedeutet: Der Patient stank aus dem Hals nach Alk.
Aber so etwas sagt man ja nicht.
Dazu ist man zu höflich.
Die beiden Ärzte grinsen den Patienten an.
„So, Herr Maier, wie gehts uns denn heute?“

Written by medizynicus

29. Juni 2009 at 08:24