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Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

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Was macht Herr Zwackelmann im Krankenhaus?

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Zwackelmann Jakob, einundneunzig Jahre, Einweisungsdiagnose…?
Steht nichts in der Akte. Schon wieder nicht. Also gut, dann werde ich ihn also selbst fragen müssen!
Anklopfen, Eintreten, Hand hinstrecken, Lautstärke meiner Stimme dem Geburtsjahrgang meines Gegenübers anpassen.
„Guten Tag, was führt Sie denn zu uns?“
„Hä?“
Okay, Lautstärke nochmal erhöhen.
„Guten Tag…“
„Moment, Herr Doktor, mein Hörgerät!“
Hektisches Kramen in der Nachtkästchenschublade. Das wohlbekannte Pfeifen eines übersteuerten Hörgerätes.
„So, Herr Doktor, Sie müssen entschuldigen…“
„Was führt Sie denn zu uns?“
Der Patient zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, Herr Doktor…“
Also gut, ich werde die Taktik ändern müssen.
„Erzählen Sie mir doch einfach mal in aller Ruhe, was da gestern Abend passiert ist, bevor Sie hierher gekommen sind!“
Hilfloses Schulterzucken.
Noch eine andere Verhörstrategie?
„Können Sie mir sagen, wo wir hier sind? Und welchen Wochentag wir haben?“
Vermutlich ist er also dement.
„Dienstag, der siebte Dezember Zweitausendelf. Und wir sind natürlich im Krankenhaus Bad Dingenskirchen auf Station Zwei, Zimmer…“
Sieh einmal an!
„Schon gut. Und Sie wissen auch, warum Sie hier sind?“
„Man hat mich hierher geschickt!“
„Wer hat Sie denn geschickt?“
„Ja, eigentlich wollte ich ja gar nicht. Mir war einfach nur ein bisschen schummerig. Da habe ich meinen Hausarzt angerufen, aber da ist keiner ans Telefon gegangen!“
„Wirklich nicht?“
„Also, da lief nur dieses Band… und nachher war ständig besetzt!“
„Und dann?“
„Dann lief wieder nur das Band.“
„Sie haben Ihren Hausarzt also nicht erreicht.“
„Ja, aber da ging es mir schon wieder etwas besser. Aber später, als meine Enkelin kam, war mir wieder etwas schummerig. Die hat dann den Notdienst angerufen, und die haben gleich den Krankenwagen geschickt“
Aha!
„Und jetzt? Wie geht es Ihnen?“
Keine Antwort. Er versucht, von meinen Lippen abzulesen. Also noch einen Tick lauter.
„Ist Ihnen noch schummerig?“
„Herr Doktor? Kann ich heim?“
Schauen wir mal!

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6. Dezember 2011 at 14:15

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Werde! Land! Arzt!

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In Deutschland gehen die Lichter aus. Äh… echt jetzt?
Jedenfalls gibts hier bald keine Ärzte mehr. Dafür aber viele, viele alte und Kranke Menschen, die einen Arzt brauchen. Vor allem auf dem Land, denn da leben die Alten und Kranken und die jungen dynamischen Ärzte wollen da nicht hin. Also müssen wir die jungen Leute dazu bringen, Arzt werden zu wollen und aufs Land zu gehen, sagen Politiker und Standesfunktionäre, ist doch echt super toll da auf dem Land, kommt her, schaut Euch um, könnt Ihr eine Menge Kohle machen und ist doch gar nicht so schlimm, da draußen gibts inzwischen auch schon elektrischen Strom und fließend Wasser aus der Leitung. Und wenn man Euch nachts mal rausklingelt… jo mei, des passt scho, wegen so’n büschen Tüddelskram, da macht Euch mal nicht ins Hemd, ja?
Ist alles Quatsch, sagen die Krankenkassen, wir haben genug Ärzte, sogar viel zu viele davon. Ist klar.
Aber was stimmt denn jetzt?
Lohnt sich das Landarztdasein, auch dann, wenn man nicht mit Leib und Seele mit der heimischen Scholle verbunden ist und auch mal Feierabend haben will und Zeit für die eigene Familie oder das eine oder andere abstruse Hobby (zum Beispiel Blogs schreiben)?
Alte Hasen – zum Beispiel Der Andere Hausarzt sind optimistisch – diejenigen, um die es geht, hingegen sind eher kritisch… und nicht ohne Grund, wie der Erfahrungsbericht einer werdenden Allgemeinmedizinerin aus Brandenburg zeigt.

Mehr zum Lesen:

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28. Juli 2011 at 00:55

Veröffentlicht in Nachdenkereien

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Die Ehre des Hausarztes

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Frau Wilbur ist unglücklich. Sie sitzt neben ihrem Bett ihm Stühlchen, schaut auf den Boden und schnieft.
„Guten Morgen!“ sage ich betont fröhlich und strecke ihr meine Hand entgegen. Sie reicht mir ihr Vorderpfötchen welches so schlaff ist wie ein Salatblatt in unserer Kantine kurz vor Betriebsschluss.
„Wie geht es Ihnen?“ frage ich noch betonter und noch höflicher. Als Antwort kriege ich nur einen Schniefer.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Frau Wilbur?“
Sie schaut kurz auf.
„Können Sie gar nicht!“ sagt sie kurz.
„Aha?“
Zurückhaltung. Empathie zeigen. Oder zumindest so tun als ob.
„Das können Sie sich gar nicht vorstellen!“
Oh, hast Du eine Ahnung, was ich mir alles vorstellen kann! Wenn Du wüsstest, was man hier tagtäglich erlebt…
„Was kann ich mir nicht vorstellen, Frau Wilbur?“
„Zweiunddreißig Jahre, Herr Doktor. Und jetzt so etwas. Sie wissen gar nicht, was das bedeutet…“
„Ich weiß nicht, was… was genau bedeutet?“
„Er hat mich enttäuscht!“
Okay, jetzt kommen wir der Sache näher. Eine Frau, die von einem Mann enttäuscht wurde. Da diese Frau auf knapp neunundsiebzig Jahre zurückblicken kann ist anzunehmen, dass der zugehörige Mann ein ähnliches Alter auf dem Buckel hat. Donnerlüttchen!
„Ja, wissen Sie, Frau Wilbur, so etwas kann vorkommen…“
Die Patientin starrt mich an.
„Mein Hausarzt! Zweiunddreißig Jahre lang habe ich ihm vertraut! Und jetzt so etwas!“
Äh… was jetzt?
„Er hat die Lungenentzündung nicht erkannt!“
Moment mal…
„Ich habe ihn am letzten Samstag Abend angerufen, weil ich Fieber hatte. Er ist rausgekommen und hat mich ins Krankenhaus geschickt. Und hier haben Sie mir gesagt, ich hätte eine Lungenentzündung!“
„Das ist richtig, Frau Wilbur. Auf dem Röntgenbild kann man sehen…“
„Und die hat mein Hausarzt nicht erkannt, wissen Sie?“
Äh… Momentmal… jetzt nochmal von vorn…

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12. Juli 2011 at 22:37

Uwe und der Nobelpreis

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Manchmal hatte ich Uwe beneidet. Er hatte immer schon genau gewusst, was er wollte. Schon vom ersten Semester an. Da war ihm klar, dass er später einmal ein großer Chirurg werden wollte, einer von denen die mal eben vor dem Frühstück ein offenes Herz zusammenflicken und nachmittags dann zwei Siamesische Zwillinge auseinanderdividieren bevor sie abends noch ein kaputtes Hirn wieder zurechtbasteln. Und genau deshalb war er seinerzeit nach Bad Dingenskirchen gekommen.
„Kleines Haus, netter Chef, kannste viel machen, idealer Job für den Anfang!“ hatte er gesagt. Kurz darauf war dort unerwarteterweise eine weitere Stelle freigeworden und die hat er mir dann zugeschustert, nett wie er war, obwohl ich den Job eigentlich gar nicht haben wollte.
Aber das ist lange her. Und jetzt?
„Chirurgie ist out. Hausarzt ist in!“ sagt er und grinst mich über sein Bierglas hinweg an.
„Woher dieser plötzliche Meinungswandel?“ frage ich.
„Gar kein plötzlicher Meinungswandel. Ich habe es ja schon immer gewusst!“
„Du hast… was?“
Eine von Uwes Angewohnheiten ist, dass er nie Fehler macht. Und wenn mal er seine Meinung ändert, dann ist er felsenfest davon überzeugt, dass es vorher immer schon so war.
„Ich habe immer schon gewusst, dass ich mal mein eigener Chef sein will!“
Damit könnte er sogar Recht haben.
„Und außerdem brauche ich einen familienfreundlichen Job!“ fährt er fort.
„Äh…. warum das?“
„Na, wegen der Marion…“
Jetzt werde ich rot. Die Marion habe ich gemocht. Uwe allerdings auch.
„…dass wir geheiratet haben, weißt Du?“
„…äh… Glückwunsch, nee, wusste ich nicht?“
Woher denn auch.
„Ja, und als dann der Luka zur Welt gekommen ist und nachher dann die Leonie…“
Ich trinke mein Bier schnell aus und verschlucke mich dabei.
“ Lass uns gehen!“ sagt Uwe, „Ich muss heim, hab ja schließlich Familie!“
Himmel, dieser Kerl ist einfach so furchtbar schrecklich normal!
„Solltest Du übrigens auch mal allmählich dran denken, Benno,“ sagt Uwe und klopft mir im Rausgehen auf die Schulter, „Alt genug bist Du ja inzwischen!“

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11. Mai 2011 at 07:43

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Hausarzt stellt Blanko-Rezepte aus

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Neue Wege beschreitet ein Hausarzt in Visselhövede, um seinen Protest gegen die jüngsten Vorgaben von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung auszudrücken.
Nach seinen Angaben verpflichten ihn diese Vorgaben dazu, immer mehr Zeit für Bürokratie und Verwaltungstätigkeit aufwenden zu müssen, wobei der Sinn dieser Tätigkeiten oft mehr als Zweifelhaft sei.
„Jeden Tag verbringe ich ein bis zwei Stunden damit, Formulare zu unterschreiben, die ich nicht verstehe und von denen ich keine Ahnung habe, wozu sie gut sein sollen!“ sagte er gegenüber der örtlichen Presse.
Deshalb wird er heute, am traditionell arbeitsreichen ersten Tag des neuen Quartals Blanko-Rezepte ausstellen. Die mit Unterschrift und Datum versehenen Rezeptformulare werden von seiner Helferin vorgehalten und an die Patienten verteilt.
Die Patienten können sich dann selbst aussuchen, welches Medikament sie haben möchten. Auch Anforderungen für Überweisungen zu Fachärzten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Wünsche nach Massagen und Krankengymnastik werden auf gleiche Weise bearbeitet.
Wer möchte, hat Gelegenheit, mit dem Arzt über die aktuelle Gesundheitspolitik zu diskutieren.
Viele Patienten begrüßen diese Maßnahmen: „Meistens wissen wir doch selbst genau, was wir brauchen!“ sagte Frau K, 76 Jahre, „und so kommen wir viel schneller an unsere Tabletten und brauchen nicht mehr stundenlang im Wartezimmer zu sitzen!“

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1. April 2011 at 07:22

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Will keiner mehr Hausarzt werden?

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Es war einmal, vor langer, langer Zeit… da war die Welt noch in Ordnung.
Draußen auf dem Lande waren die Leute glücklich und zufrieden und wenn man sich bei der schweren, harten Arbeit auf dem Feld einmal verhoben oder den Fuß verstaucht hat, dann ging man zum Doktor.
Der Herr Doktor war immer da, wenn man ihn brauchte und wusste eine Lösung für jedes Problem. Hatte man Schmerzen, gab’s eine Spritze, litt man Seelenqualen, dann fand er ein tröstendes Wort. Und den Simulanten und Hypochondern, den sagte der Herr Doktor auch schonmal mit klaren und deutlichen Worten, dass sie sich einfach mal ein wenig zusammenreißen sollten.
Ach ja, das waren noch Zeiten…
Der Herr Doktor bewohnte das größte Haus im Dorf und jeden Freitag Abend traf er sich zum Stammtisch mit dem Herrn Pfarrer, dem Lehrer und dem Bürgermeister und da wurden dann die Geschicke des Dorfes bestimmt.
So war das halt, damals. Aber die Zeiten sind vorbei. Niemand will mehr Hausarzt werden. Ärzteverbände und Funktionäre schlagen Alarm. In den einschlägigen Gazetten ist von tatsächlichem oder drohendem Ärztemangel die Rede.
Was ist los?
Natürlich ist es viel cooler, Neurochirurg zu sein oder Kardiologe. Dann kann man abends in der Szene-Bar spannende Stories aus OP oder Herzkatheter vom Stapel lassen. Und ein dickeres Auto als der Landarzt-Dackel kann man sich allemale leisten…
Aber liegt es wirklich daran?
Oder gibt es vielleicht ganz andere Gründe?

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7. März 2011 at 05:08

Veröffentlicht in Nachdenkereien

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Eingeschneit

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Der Dienst ist ruhig. Verdächtig ruhig. Draußen schneit es in dicken Flocken. Bis halb zwei habe ich Briefe diktiert und dann habe ich mich in mein Dienstzimmerkabuff zurückgezogen, mich in voller Kleidung aufs Bett gelegt, die Decke hochgezogen und den Piepser neben mich auf den Nachttisch gelegt. Gerade habe ich die erste Tiefschlafphase erreicht, da geht das Ding los.
„Ja?“
Die Zentrale ist dran, Gespräch von draußen.
Den Namen des Anrufers verstehe ich nicht.
„Meine Frau hat Bauchschmerzen,“ berichtet er.
„Okay…“
„Ich habe unseren Hausarzt angerufen… also den Notdienst. Aber der meldet sich nicht. Geht keiner ran. Schon seit einer Stunde nicht. Nur die Mailbox. Und keiner ruft zurück…“
Was soll ich jetzt noch lange diskutieren?
„…ist gut, dann kommen Sie halt zu uns!“ sage ich schnell.
Dafür sind wir schließlich da, unser Lokal ist immer geöffnet, vierundzwanzig Stunden am Tag, egal ob’s stürmt oder schneit!
Der Anrufer ist einverstanden. Er hatte einen Ortsnamen genannt, von dorther bis zu uns braucht man unter normalen Umständen vielleicht eine knappe halbe Stunde, mit etwas Glück kann ich also nochmal die Augen zumachen… ich drehe mich auf die Seite und bin ruckzuck eingeschlafen.
Das übliche Geräusch schreckt mich wieder hoch. Blick auf die Uhr, kurz nach halb fünf.
„Ja?“
„Noch ein Gespräch von draußen.“
Es ist derselbe Anrufer wie vorhin.
„Wo sind Sie?“
„In meiner Garage. Wir kommen nicht raus. Alles voller Schnee.“
Wie wär’s mit einer Runde Schneeschaufeln? Eine vorsichtige Bemerkung in diese Richtung findet aber keinen Anklang.
„Unsere Straße geht steil bergauf. Und da ist auch noch nichts geräumt!“
„„Und jetzt?“
„Was sollen wir tun?“
Okay, also Versuch einer Ferndiagnose: Fieber hat sie nicht, erbrochen auch nicht, Puls scheint normal und die Schmerzen derzeit halbwegs erträglich…
„Haben Sie ein Schmerzmittel daheim?“
„Nur Paracetamol.“
„Geben Sie ihr zwei Tabletten. Und wenn’s schlimmer wird, rufen Sie einen Krankenwagen!“
Ob der bei dem Wetter wohl  durchkommt?
Ist auch egal. Ich schlafe jedenfalls ungestört bis sieben Uhr früh.
Den Dienst habenden Hausarzt beneide ich nicht.

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27. Januar 2011 at 05:31

Krankschreibung Under Cover

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Tja, ist doch gar nicht so schwer, das Krankfeiern, nicht wahr?
Deutschlands größte Zeitung, die mit den roten vier Buchstaben hat den Test gemacht: Under Cover hat sie einen Reporter losgeschickt: Ganz dreist ist der zu mehreren Doktors hingegangen und hat gesagt, er will einfach nur einen Krankenschein haben. Einfach nur so. Obwohl er kerngesund ist, wie er gleich dazu behauptet. Und sieh einmal an, was passiert: Er kriegt seinen gelben Urlaubsschein.
Von allen drei Ärzten, die er besucht.
Sind Deutschlands Hausärzte also allesamt korrupt?
Anstatt um das Wohl der Gesellschaft bemüht, der sie egentlich dienen sollen, geben sie sich dem schnöden Mammon hin und prellen die Volkswirtschaft um Millionen, ach was sage ich, um Milliarden, und das alles nur, um selber ein paar Kröten zu verdienen…. denn: ein Patient, der eigentlich gesund ist und nur einen Krankenschein will, ist ein guter Patient. Er macht keine Arbeit und spült den armen, am Hungertuche nagenden Hausärzten Geld in die Kassen. Einmal Karte duchziehen, Arbeitsunfähigkeit unterschreiben, dreißig Sekunden Arbeit, Vierzig Euro verdient. Macht hochgerechnet einen Stundensatz von…
So zumindest sieht es Deutschlands größte Zeitung, die mit den vier roten Buchstaben und die hat ja bekanntlich immer Recht.
Und die Moral von der Geschicht: Den Ärzten gehört mal wieder heftig auf die Finger geklopft. Vor allem den Hausärzten. Jawoll!

Written by medizynicus

13. Januar 2011 at 05:21

Kräksjuka oder: die schwedische Kotzkrankheit

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Eine stürmische Winternacht irgendwo in Deutschland. Beim Diensthabenden Hausarzt klingelt das Telefon.
„Herr Doktor! Sie müssen rauskommen. Sofort!“
„Äh…. worum geht es denn?“
„Mein Kind ist krank. Sie kommen doch, oder?“
„Darf ich vielleicht fragen…?“
„Das erzähle ich Ihnen gleich, wenn Sie bei uns sind. Telefonieren kostet schließlich Geld und Sie sind ja eh in zehn Minuten hier, oder?“
Der Herr Doktor ist ein guter Hausarzt vom alten Schlag und steigt deshalb – wenn auch nach einem leichten Seufzer – unverzüglich ins Auto.
Im Hausflur des Patienten stellt er dann ein paar Fragen und erfährt von den besorgten Eltern, dass das Kind heute früh aus dem Kindergarten heimgeschickt worden ist weil es erbrochen hat und jetzt hat es immer noch Durchfall. Nach ein paar weiteren Fragen ist der Herr Doktor sich sicher, dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht. Und nachdem er dann – da er ja nun einmal da ist – einen Blick auf das friedlich schlafende Kind geworfen hat, bestätigt sich diese Meinung und mit ein paar guten Ratschlägen kann der Herr Doktor die Eltern beruhigen.
Szenenwechse.
Dieselbe stürmische Winternacht, ein paar hundert Kilometer weiter nördlich.
In einer schwedischen Notdienstzentrale klingelt das Telefon.
„Herr Doktor, mein Kind ist krank….“
Der Herr Doktor stellt ein paar Fragen, ist sich daraufhin sicher dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht und gibt am Telefon die entsprechenden Ratschläge.
So läuft das da oben. Kräksjuka heißt die Kotzkrankheit in Schweden und eine gute Beschreibung findet sich bei Gunnar Herrmann: „Elchtest“ – ein Jahr in Bullerbü“.
Handelt der schwedische Doktor fahrlässig? Was wäre, wenn das Kind doch unter extremem Flüssigkeitsmangel leidet oder sich hinter der vermeintlichen Magen-Darm-Grippe gar eine lebensgefährliche Meningokokkensepsis versteckt?
Schwedische – und auch britische – Notdienstzentralen haben in jahrelanger Arbeit ein exaktes telefonisches Triagesystem entwickelt, welches solche seltenen, aber gefährlichen Verläufe mit erstaunlicher Treffsicherheit aufspüren kann. Und im Internet findet sich gutes Informationsmaterial.
Haben deutsche Kinder also mehr Glück als britische oder schwedische Kinder?
Schwedische oder britische Kinder sterben nicht häufiger an den Folgen einer Gastroenteritis.
Und der Herr Doktor?
Der ist auf dem Rückweg bei vierzig Zentimeter Neuschnee auf der ungeräumten Straße ins Schleudern gekommen und im Straßengraben gelandet. Hat Glück gehabt. Das Auto ist zwar nur noch Schrott, aber ihm selbst ist außer ein paar Prellungen nichts passiert.

Written by medizynicus

26. November 2010 at 07:27

Psyche, Herz oder Rücken?

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Es klopft an der Tür zum Arztzimmer.
„Herein!“
Die Tür öffnet sich zaghaft. Davor steht Herr Lanzberger, Herbert.
„Was können wir für Sie tun, Herr Lanzberger?“
„Ich… ich hätte ein paar Fragen an Ihre Kollegin…“
Sarah verdreht die Augen und atmet laut hörbar aus. Dann steht sie auf und reicht dem Patienten die Hand.
„Bei der Visite hatte ich Ihnen doch schon alles erklärt!“
„Aber ich weiß nicht…“
„Sie können heute nach Hause gehen, Herr Lanzberger!“
„Wirklich?“
„Wirklich!“
„Also, letzte Nacht, da hatte ich wieder…“
„Ihre Schwindelattacken haben wir doch längst abgeklärt!“
„Und was habe ich dann?“
„Herz und Lunge sind völlig in Ordnung!“
„Ja, und meine Schmerzen?“
„Die könnten… die könnten vielleicht vom Rücken her kommen…“
„Und was mache ich da?“
„Gehen Sie am besten gleich morgen zum Hausarzt. Der kann Sie dann zum Orthopäden überweisen, und der schickt Sie dann zum Kernspin, also in die Röhre…“
Herr Lanzberger bleibt unschlüssig in der Tür stehen.
„Jetzt machen Sie sich mal keinen Kopf! Gehen Sie mal erst mal heim. Da wird Ihnen schon nicht der Himmel auf den Kopf fallen.“
Der Patient zögert eine Weile, dann nickt er.
„Danke, Frau Doktor!“
Langsam schließt er die Tür hinter sich.
„Glaubst Du wirklich, dass er etwas am Rücken hat?“ frage ich.
„Selbstverständlich nicht!“ sagt Sarah, „der hat eine Somatisierungsstörung, wie aus dem Lehrbuch!“
„Warum hast Du ihm das nicht gesagt?“
Sarah zuckt hilflos die Schultern.
„Einen Herzinfarkt haben wir halbwegs sicher ausgeschlossen. Deswegen war er hier! Und alles Andere…“
„Ist nicht Dein Job? Was soll denn der arme Hausarzt tun?“
„Der wird ihm ja wohl die Wahrheit schonend beibringen!“
„Und ihn zum Orthopäden schicken?“
Sarah steht auf, schüttelt den Kopf und verdreht abermals die Augen.
„Vergiss es einfach!“ sagt sie und geht hinaus.

Written by medizynicus

16. November 2010 at 05:11

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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