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Werde! Land! Arzt!
In Deutschland gehen die Lichter aus. Äh… echt jetzt?
Jedenfalls gibts hier bald keine Ärzte mehr. Dafür aber viele, viele alte und Kranke Menschen, die einen Arzt brauchen. Vor allem auf dem Land, denn da leben die Alten und Kranken und die jungen dynamischen Ärzte wollen da nicht hin. Also müssen wir die jungen Leute dazu bringen, Arzt werden zu wollen und aufs Land zu gehen, sagen Politiker und Standesfunktionäre, ist doch echt super toll da auf dem Land, kommt her, schaut Euch um, könnt Ihr eine Menge Kohle machen und ist doch gar nicht so schlimm, da draußen gibts inzwischen auch schon elektrischen Strom und fließend Wasser aus der Leitung. Und wenn man Euch nachts mal rausklingelt… jo mei, des passt scho, wegen so’n büschen Tüddelskram, da macht Euch mal nicht ins Hemd, ja?
Ist alles Quatsch, sagen die Krankenkassen, wir haben genug Ärzte, sogar viel zu viele davon. Ist klar.
Aber was stimmt denn jetzt?
Lohnt sich das Landarztdasein, auch dann, wenn man nicht mit Leib und Seele mit der heimischen Scholle verbunden ist und auch mal Feierabend haben will und Zeit für die eigene Familie oder das eine oder andere abstruse Hobby (zum Beispiel Blogs schreiben)?
Alte Hasen – zum Beispiel Der Andere Hausarzt sind optimistisch – diejenigen, um die es geht, hingegen sind eher kritisch… und nicht ohne Grund, wie der Erfahrungsbericht einer werdenden Allgemeinmedizinerin aus Brandenburg zeigt.
Mehr zum Lesen:
- Deutsches Ärzteblatt: bis 2020 werden 74000 Ärzte gebraucht
- Spiegel Online: Land ohne Arzt
- Der Andere Hausarzt: Zehnteiliges Plädoyer für das Landarztleben
- Spiegel Online: Regierung will mehr Ingenieure und Ärzte ins Land holen
- Spiegel Online: Zuwanderung: Deutschland, was bietest du?
- Praxis und Familie – eine Werbeseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
- Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO): Ärzteatlas 2011
- Nochmal Spiegel Online: Ärzte aus dem Osten anwerben?
- Junge Allgemeinmdiziner Deutschlands
- Erfahrungsbericht einer Ärztin in Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin in Brandenburg
Hausarzt stellt Blanko-Rezepte aus
Neue Wege beschreitet ein Hausarzt in Visselhövede, um seinen Protest gegen die jüngsten Vorgaben von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung auszudrücken.
Nach seinen Angaben verpflichten ihn diese Vorgaben dazu, immer mehr Zeit für Bürokratie und Verwaltungstätigkeit aufwenden zu müssen, wobei der Sinn dieser Tätigkeiten oft mehr als Zweifelhaft sei.
„Jeden Tag verbringe ich ein bis zwei Stunden damit, Formulare zu unterschreiben, die ich nicht verstehe und von denen ich keine Ahnung habe, wozu sie gut sein sollen!“ sagte er gegenüber der örtlichen Presse.
Deshalb wird er heute, am traditionell arbeitsreichen ersten Tag des neuen Quartals Blanko-Rezepte ausstellen. Die mit Unterschrift und Datum versehenen Rezeptformulare werden von seiner Helferin vorgehalten und an die Patienten verteilt.
Die Patienten können sich dann selbst aussuchen, welches Medikament sie haben möchten. Auch Anforderungen für Überweisungen zu Fachärzten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Wünsche nach Massagen und Krankengymnastik werden auf gleiche Weise bearbeitet.
Wer möchte, hat Gelegenheit, mit dem Arzt über die aktuelle Gesundheitspolitik zu diskutieren.
Viele Patienten begrüßen diese Maßnahmen: „Meistens wissen wir doch selbst genau, was wir brauchen!“ sagte Frau K, 76 Jahre, „und so kommen wir viel schneller an unsere Tabletten und brauchen nicht mehr stundenlang im Wartezimmer zu sitzen!“
Will keiner mehr Hausarzt werden?
Es war einmal, vor langer, langer Zeit… da war die Welt noch in Ordnung.
Draußen auf dem Lande waren die Leute glücklich und zufrieden und wenn man sich bei der schweren, harten Arbeit auf dem Feld einmal verhoben oder den Fuß verstaucht hat, dann ging man zum Doktor.
Der Herr Doktor war immer da, wenn man ihn brauchte und wusste eine Lösung für jedes Problem. Hatte man Schmerzen, gab’s eine Spritze, litt man Seelenqualen, dann fand er ein tröstendes Wort. Und den Simulanten und Hypochondern, den sagte der Herr Doktor auch schonmal mit klaren und deutlichen Worten, dass sie sich einfach mal ein wenig zusammenreißen sollten.
Ach ja, das waren noch Zeiten…
Der Herr Doktor bewohnte das größte Haus im Dorf und jeden Freitag Abend traf er sich zum Stammtisch mit dem Herrn Pfarrer, dem Lehrer und dem Bürgermeister und da wurden dann die Geschicke des Dorfes bestimmt.
So war das halt, damals. Aber die Zeiten sind vorbei. Niemand will mehr Hausarzt werden. Ärzteverbände und Funktionäre schlagen Alarm. In den einschlägigen Gazetten ist von tatsächlichem oder drohendem Ärztemangel die Rede.
Was ist los?
Natürlich ist es viel cooler, Neurochirurg zu sein oder Kardiologe. Dann kann man abends in der Szene-Bar spannende Stories aus OP oder Herzkatheter vom Stapel lassen. Und ein dickeres Auto als der Landarzt-Dackel kann man sich allemale leisten…
Aber liegt es wirklich daran?
Oder gibt es vielleicht ganz andere Gründe?
Krankschreibung Under Cover
Tja, ist doch gar nicht so schwer, das Krankfeiern, nicht wahr?
Deutschlands größte Zeitung, die mit den roten vier Buchstaben hat den Test gemacht: Under Cover hat sie einen Reporter losgeschickt: Ganz dreist ist der zu mehreren Doktors hingegangen und hat gesagt, er will einfach nur einen Krankenschein haben. Einfach nur so. Obwohl er kerngesund ist, wie er gleich dazu behauptet. Und sieh einmal an, was passiert: Er kriegt seinen gelben Urlaubsschein.
Von allen drei Ärzten, die er besucht.
Sind Deutschlands Hausärzte also allesamt korrupt?
Anstatt um das Wohl der Gesellschaft bemüht, der sie egentlich dienen sollen, geben sie sich dem schnöden Mammon hin und prellen die Volkswirtschaft um Millionen, ach was sage ich, um Milliarden, und das alles nur, um selber ein paar Kröten zu verdienen…. denn: ein Patient, der eigentlich gesund ist und nur einen Krankenschein will, ist ein guter Patient. Er macht keine Arbeit und spült den armen, am Hungertuche nagenden Hausärzten Geld in die Kassen. Einmal Karte duchziehen, Arbeitsunfähigkeit unterschreiben, dreißig Sekunden Arbeit, Vierzig Euro verdient. Macht hochgerechnet einen Stundensatz von…
So zumindest sieht es Deutschlands größte Zeitung, die mit den vier roten Buchstaben und die hat ja bekanntlich immer Recht.
Und die Moral von der Geschicht: Den Ärzten gehört mal wieder heftig auf die Finger geklopft. Vor allem den Hausärzten. Jawoll!
Kräksjuka oder: die schwedische Kotzkrankheit
Eine stürmische Winternacht irgendwo in Deutschland. Beim Diensthabenden Hausarzt klingelt das Telefon.
„Herr Doktor! Sie müssen rauskommen. Sofort!“
„Äh…. worum geht es denn?“
„Mein Kind ist krank. Sie kommen doch, oder?“
„Darf ich vielleicht fragen…?“
„Das erzähle ich Ihnen gleich, wenn Sie bei uns sind. Telefonieren kostet schließlich Geld und Sie sind ja eh in zehn Minuten hier, oder?“
Der Herr Doktor ist ein guter Hausarzt vom alten Schlag und steigt deshalb – wenn auch nach einem leichten Seufzer – unverzüglich ins Auto.
Im Hausflur des Patienten stellt er dann ein paar Fragen und erfährt von den besorgten Eltern, dass das Kind heute früh aus dem Kindergarten heimgeschickt worden ist weil es erbrochen hat und jetzt hat es immer noch Durchfall. Nach ein paar weiteren Fragen ist der Herr Doktor sich sicher, dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht. Und nachdem er dann – da er ja nun einmal da ist – einen Blick auf das friedlich schlafende Kind geworfen hat, bestätigt sich diese Meinung und mit ein paar guten Ratschlägen kann der Herr Doktor die Eltern beruhigen.
Szenenwechse.
Dieselbe stürmische Winternacht, ein paar hundert Kilometer weiter nördlich.
In einer schwedischen Notdienstzentrale klingelt das Telefon.
„Herr Doktor, mein Kind ist krank….“
Der Herr Doktor stellt ein paar Fragen, ist sich daraufhin sicher dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht und gibt am Telefon die entsprechenden Ratschläge.
So läuft das da oben. Kräksjuka heißt die Kotzkrankheit in Schweden und eine gute Beschreibung findet sich bei Gunnar Herrmann: „Elchtest“ – ein Jahr in Bullerbü“.
Handelt der schwedische Doktor fahrlässig? Was wäre, wenn das Kind doch unter extremem Flüssigkeitsmangel leidet oder sich hinter der vermeintlichen Magen-Darm-Grippe gar eine lebensgefährliche Meningokokkensepsis versteckt?
Schwedische – und auch britische – Notdienstzentralen haben in jahrelanger Arbeit ein exaktes telefonisches Triagesystem entwickelt, welches solche seltenen, aber gefährlichen Verläufe mit erstaunlicher Treffsicherheit aufspüren kann. Und im Internet findet sich gutes Informationsmaterial.
Haben deutsche Kinder also mehr Glück als britische oder schwedische Kinder?
Schwedische oder britische Kinder sterben nicht häufiger an den Folgen einer Gastroenteritis.
Und der Herr Doktor?
Der ist auf dem Rückweg bei vierzig Zentimeter Neuschnee auf der ungeräumten Straße ins Schleudern gekommen und im Straßengraben gelandet. Hat Glück gehabt. Das Auto ist zwar nur noch Schrott, aber ihm selbst ist außer ein paar Prellungen nichts passiert.