Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Posts Tagged ‘Infusion

Dem Herrn Lehmann sein Kleinwagen

with 3 comments

Herr Lehmann ist wieder da.
Herr Lehmann ist Stammkunde: ein schmächtig gebauter Mittvierziger mit dicker Brille, dünnem, manchmal etwas fettigem Haar, Schnauzbart und Kunstlederjacke.
„Alles in Ordnung?“ frage ich.
„Alles in Ordnung!“ sagt Herr Lehmann und lässt sich auf einen der Wartestühle in der Notaufnahme fallen.
„Alles wie immer?“
„Alles wie immer!“
Wie immer hat er seine Butterbrotdose dabei und die Thermoskanne und eine Tageszeitung. Wie immer krempelt der den Hemdsärmel hoch und wie immer lege ich die Staubinde an, sprühe Desinfektionsmittel auf die Haut, reiße die Plastikverpackung der Injektionskanüle auf und steche zu. Herr Lehmann verzieht keine Miene. Die Venen auf seinem Unterarm kenne ich längst auswendig, mit Vor- und Zunamen.
Jenny hat die Infusionsflasche aus dem Kühlschrank geholt und einen Ständer gebracht, ich hänge das Zeug auf und schließe den dünnen Plastikschlauch an.
„Alles klar?“
„Alles klar!“
„Sie melden sich, wenn’s durchgelaufen ist?“
„Ich melde mich!“
Herr Lehmann beißt in sein Butterbrot und schlägt die Zeitung auf.
Herr Lehmann kommt dreimal pro Woche: immer Montags, Mittwochs und Freitags. Immer zwischen zwei und drei Uhr nachmittags. Nach einer knappen halben Stunde ist seine Infusion durchgelaufen.
„Wieder einen Kleinwagen verballert!“
„Wieder einen Kleinwagen!“
Herr Lehmann lacht.
Ich lache kurz.
Unser Standardwitz.
Dann steht Herr Lehmann auf, reicht mir die Hand und dreht sich um.
„Bis zum nächsten Kleinwagen!“
„Bis zum nächsten Kleinwagen!“
Immer die selben Worte. Dreimal pro Woche.
Man kennt sich.
„Was hat das mit dem Kleinwagen auf sich?“ hat Jenny einmal gefragt, damals, ganz am Anfang, als Herr Lehmann noch neu war.
Da hat mein Kollege Kalle ihr die Infusionsflasche gezeigt.
„Herr Lehmann leidet an einer extrem seltenen Stoffwechselerkrankung,“ hat Kalle erklärt, „…und bis vor ein paar Jahren hat es keine Möglichkeit der Heilung gegeben. Herr Lehmann wurde von einem berühmten Professor zum Nächsten gereicht. Überall war er die Sensation. Die Koryphäen waren begeistert, aber helfen konnten sie ihm nicht. Bis vor zwei Jahren. Da hat einer der Erleuchteten ein Mittel gefunden. Es gibt nur ein einziges Labor auf der Welt, welches in der Lage ist, dieses Medikament herzustellen. Dann wird das Zeug in einer Kühlbox aus Amerika mit dem Flugzeug eingeflogen, vom Flughafen per Taxi-Kurier zu uns gebracht und muss innerhalb weniger Stunden verabreicht werden. Jede Infusion kostet mehrere tausend Euro. Und das dreimal pro Woche!“
Jenny runzelte die Stirn
„Gibt es da wirklich keine Alternative?“
„Doch!“
„Und die wäre?“
Kalle grinste diabolisch.
„Man lässt das Zeug einfach weg!“
„Warum macht man das nicht?“
„Weil Herr Lehmann dann innerhalb von drei Monaten ins Gras beißen würde!“
Und weil Herr Lehmann das nicht möchte, kommt er weiter regelmäßig zu uns, dreimal pro Woche, immer Montags, Mittwochs und Freitags und pumpt sich den Wert eines Kleinwagens in die Venen.

Written by medizynicus

12. Januar 2015 at 05:30

Kurzinfusionen

with 12 comments

„Du sag mal,“ fragt Jeny, „kannst Du mir mal verraten, weshalb Ihr Ärzte das Furosemid immer als Kurzinfusion ansetzt?“
„Äh, wieso nicht?“
„Weil… irgendwo ist es doch widersinnig. Ein Diuretikum geben und gleichzeitig Flüssigkeit dazu!“
„Da hast Du Recht!“
Und ich bewundere Deinen scharfen Verstand. Also nochmal langsam, zum Mitdenken:
Furosemid ist ein Diuretikum. Ein Medikament, welches bewirkt, dass ein Patient vermehrt Wasser ausscheidet. Das gibt man zum Beispiel Patienten, die in ihrem Körpergewebe Flüssigkeitseinlagerunge, in den Beinen zum Beispiel oder in der Lunge oder anderswo. Oft sind es Patienten, deren Herz geschwächt ist, so dass das Blut nicht mehr richtig in den Kreislauf hinausgepumpt wird und sich stattdessen in der Lunge zurückstaut. Kurzatmigkeit bis hin zur Atemnot ist die Folge. Will man solchen Leuten rasch helfen, dann gibt man das entsprechende Medikamente – also zum Beispiel Furosemid – über die Vene. Da wirkt es am raschesten.
Nun wäre es logisch, dem Patienten einfach eine Spritze zu verpassen. Stattdessen bekommt er aber meist eine Infusion – das Medikament verdünnt in 100ml sterile Kochsalzlösung. Wozu das Ganze? Schließlich sollen die Patienten ja oft möglichst wenig Flüssigkeiten zu sich nehmen und man sagt ihnen, dass sie nicht mehr als eineinhalb Liter pro Tag trinken sollen. Wozu also zusätzlich Flüssigkeiten zuführen, wenn man doch genau das Gegenteil erreichen will?
„Der Grund,“ ich räuspere mich, „ist ebenso simpel wie logisch und hat nichts mit Medizin zu tun!“
Intravenöse Spritzen müssen wir Ärzte selber geben. Infusionen hingegen dürfen die Schwestern anhängen. Und wir wollen uns doch nicht mehr Arbeit machen als unbedingt nötig….

Written by medizynicus

25. Januar 2011 at 05:54