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Doktor hinter Gittern
Neulich habe ich meinen Kollegen Dr. Gutmensch im Knast besucht.
Da brummt er gerade fünf Jahre ab, wegen Verstoß gegen das Betäubungsmitelgesetz.
Was hat er getan? Vielleicht heimlich zur Aufbesserung seiner Kasse nachts hinterm Bahnhof bunte Pillen verkauft? Oder einen notorischen Querulanten mit einer gehörigen Dosis Morphium um die Ecke gebracht? Nein, nichts dergleichen.
Bei meinem letzten Besuch hatte mein Kollege den Tathergang ungefähr so beschrieben:
„Es war in einer kalten, stürmischen Winternacht: Dreißig Zentimeter Neuschnee und Windstärke acht. Ungefähr gegen drei Uhr nachts klingelt mein Handy, der Sohn von Frau Leidemann ist dran. Seine Mutter hat metastasierenden Darmkrebs im Endstadium und leidet höllische Schmerzen. Also bin ich hingefahren, hinaus nach Einödshofen, fünfzehn Kilometer über ungeräumte Landstraßen. Ich habe angeboten, ihr eine Spritze zu geben, aber das wollte sie nicht, denn sie hat wahnsinnige Angst vor Nadeln. Also habe ich ihr eine Tablette Morphium gegeben. Die hat sie gleich genommen und sie hat gut geholfen. Da hat sie mich gefragt, ob ich ihr nicht zwei oder drei Tabletten dalassen könnte. Das habe ich dann auch getan.“
„Und?“ fragte ich, „Was kam dann?“
„Nichts!“ sagt mein Kollege, „das war es. Das war mein Vergehen. Der Sohn hat die Polizei gerufen und die haben mich noch in derselben Nacht verhaftet!“
Okay, das stimmt nicht.
Natürlich ist die Geschichte (wie so vieles hier in diesem Blog) erstunken und erlogen. Aber sie ist möglich. Es klingt verrückt, aber es ist wahr: ein Hausarzt, welcher einem schwerkranken Patienten in einer Notsituation ein paar Tabletten Morphium überlässt, handelt illegal und riskiert eine Haftstrafe und wäre vermutlich auch im Falle einer Bewährungsstrafe erstmal seine Approbation los.
Weil nun die meisten Ärzte keine Lust haben, im Knast zu landen erhalten viele schwerstkranke Patienten nicht die Behandlung, die sie brauchen.
Wer diesen Zustand ändern möchte, kann eine Petition an den Deuschen Bundestag unterschreiben. Hier ein Auszug aus der Begündung dieser Petition:
Aus gutem Grund dürfen in Deutschland Betäubungsmittel nur durch den Apotheker an Patienten abgegeben werden. Dieses gilt derzeit leider auch in besonderen Notfällen von vernichtenden Schmerzen oder schwerster Atemnot außerhalb der Öffnungszeiten von Apotheken, so dass es hier häufig zu einer Versorgungslücke kommt. Ärzte müssen Betäubungsmittel vorab schriftlich rezeptiert haben. Das Rezept muss vor Auslieferung in der Apotheke vorliegen.
Ärzte dürfen Betäubungsmittel nur unmittelbar persönlich am Patienten anwenden, dürfen sie dem Patienten aber auch im Notfall niemals zur dringend notwendigen weiteren Anwendung überlassen. Dies gilt auch, wenn die erreichbaren Apotheken diese Medikamente nicht vorrätig haben und die Medikamente damit auf dem gesetzlich vorgesehenen Wege nicht ausreichend zeitnah in der Häuslichkeit verfügbar sind. Die Überlassung von z. B. Opioiden – auch im Notfall gegen schwerstes Leiden – ist nach § 29 Abs. 1 Ziffer 1 Betäubungsmittelgesetz immer noch ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft wird.
Dank an die Leserin „Tänzerin“ für den Tipp und den Link!
Kräksjuka oder: die schwedische Kotzkrankheit
Eine stürmische Winternacht irgendwo in Deutschland. Beim Diensthabenden Hausarzt klingelt das Telefon.
„Herr Doktor! Sie müssen rauskommen. Sofort!“
„Äh…. worum geht es denn?“
„Mein Kind ist krank. Sie kommen doch, oder?“
„Darf ich vielleicht fragen…?“
„Das erzähle ich Ihnen gleich, wenn Sie bei uns sind. Telefonieren kostet schließlich Geld und Sie sind ja eh in zehn Minuten hier, oder?“
Der Herr Doktor ist ein guter Hausarzt vom alten Schlag und steigt deshalb – wenn auch nach einem leichten Seufzer – unverzüglich ins Auto.
Im Hausflur des Patienten stellt er dann ein paar Fragen und erfährt von den besorgten Eltern, dass das Kind heute früh aus dem Kindergarten heimgeschickt worden ist weil es erbrochen hat und jetzt hat es immer noch Durchfall. Nach ein paar weiteren Fragen ist der Herr Doktor sich sicher, dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht. Und nachdem er dann – da er ja nun einmal da ist – einen Blick auf das friedlich schlafende Kind geworfen hat, bestätigt sich diese Meinung und mit ein paar guten Ratschlägen kann der Herr Doktor die Eltern beruhigen.
Szenenwechse.
Dieselbe stürmische Winternacht, ein paar hundert Kilometer weiter nördlich.
In einer schwedischen Notdienstzentrale klingelt das Telefon.
„Herr Doktor, mein Kind ist krank….“
Der Herr Doktor stellt ein paar Fragen, ist sich daraufhin sicher dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht und gibt am Telefon die entsprechenden Ratschläge.
So läuft das da oben. Kräksjuka heißt die Kotzkrankheit in Schweden und eine gute Beschreibung findet sich bei Gunnar Herrmann: „Elchtest“ – ein Jahr in Bullerbü“.
Handelt der schwedische Doktor fahrlässig? Was wäre, wenn das Kind doch unter extremem Flüssigkeitsmangel leidet oder sich hinter der vermeintlichen Magen-Darm-Grippe gar eine lebensgefährliche Meningokokkensepsis versteckt?
Schwedische – und auch britische – Notdienstzentralen haben in jahrelanger Arbeit ein exaktes telefonisches Triagesystem entwickelt, welches solche seltenen, aber gefährlichen Verläufe mit erstaunlicher Treffsicherheit aufspüren kann. Und im Internet findet sich gutes Informationsmaterial.
Haben deutsche Kinder also mehr Glück als britische oder schwedische Kinder?
Schwedische oder britische Kinder sterben nicht häufiger an den Folgen einer Gastroenteritis.
Und der Herr Doktor?
Der ist auf dem Rückweg bei vierzig Zentimeter Neuschnee auf der ungeräumten Straße ins Schleudern gekommen und im Straßengraben gelandet. Hat Glück gehabt. Das Auto ist zwar nur noch Schrott, aber ihm selbst ist außer ein paar Prellungen nichts passiert.