Posts Tagged ‘Palliativmedizin’
Palliativmedizin ist anders: erstes Fallbeispiel
Liebe Leute,
heute wird’s mal ein bisschen trockener und vielleicht nicht ganz so lustig wie sonst.
Wie Ihr vielleicht gemerkt habt, geht es seit einigen Tagen hier im Blog schwerpunktmäßig um die Palliativmedizin.
Heute möchte ich ein erstes Fallbispiel (oder wie wir Mediziner sagen: eine Kasuistik) vorstellen.
Der Fall stammt nicht von mir: Ich habe ihn geklaut, und zwar von Orthopädix (Tolles Blog übrigens, aber mehr dazu später).
Also, los geht’s:
Der Fall:
Eine fünfzigjährige Patientin, Raucherin, deutlich vorgealtert wirkend, wird aus einem peripheren Krankenhaus zur weiteren Diagnostik in die orthopädische / unfallchirurgische Abteilung einer großen Zentralversorgungs-Klinik verlegt.
Seit einigen Wochen hatte sie über therapieresistente Schmerzen in der linken Schulter geklagt. Es wurden mehrere Röntgenbilder und ein CT angefertigt, darauf fanden sich tumorverdächtige Befunde im Schulterblatt, im Schultergelenk und in der Leber sowie in den Nebennieren, an der Halswirbelsäule, am rechten Hüftgelenk, am rechten Oberschenkelknochen, in der Brust und am Gesäß.
Bei Aufnahme wirkt die Patientin agitiert, möchte auf keinen Fall im Krankenhaus bleiben, am liebsten möchte sie heute noch wieder heim oder, falls unbedingt notwendig, spätestens am folgenden Morgen.
Sie habe schließlich ein eigenes Geschäft und müsse sich um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern. Außerdem habe sie Angst davor, dass ihr bei einer Chemotherapie die Haare ausfallen könnten. Ob es denn nicht so etwas wie eine „Soft-Chemo“ gebe?
Der aufnehmende Arzt bzw. PJ’ler – also Orthopaedix – ist von der Verhaltensweise der Patientin offenbar mehr als irritiert.
Wie geht es (normalerweise) weiter?
Zunächst muss die Diagnostik verfollständigt werden, um dann eine Entscheidung über Therapiemöglichkeiten treffen zu können. Hierzu ist es wichtig, herauszufinden, aus welcher Art von Zellen der Tumor besteht. Idealerweise möchte man wissen, wo der ursprüngliche Tumor herkommt. Außerdem möchte man einen Überblick über alle Metastasen gewinnen.
Aus diesem Grund muss man an (mindestens) einer Stelle eine Probe gewinnen. Geplant ist deshalb offenbar (so schreibt Orthopädix) eine Punktion der Leber. Außerdem gehört eine CT-Untersuchung von (mindestens) Schädel, Thorax und Abdomen zur üblichen Routine (bzw. es ist auch nicht unüblich, dass man den ganzen Patienten vom Scheitel bis zur Sohne einmal komplett durchs CT schiebt) sowie eine Knochenszintigraphie. Außerdem werden verschiedene Blutuntersuchungen durchgeführt. Diesen Prozess nennt man „Staging“, man möchte wissen, in welchem „Stadium“ sich der Tumor befindet, bzw. wie ausgedehnt die Erkrankung ist.
Das sollte natürlich so rasch wie möglich geschehen, kann aber ein paar Tage dauern.
Nach Abschluss des „Stagings“ wird der Patient in der Regel in einer „Tumorkonferenz“ (bzw. auf Neudeutsch: „Tumorboard“) vorgestellt.
Hier sitzen alle behandelnden Kollegen zusammen: In diesem Fall zum Beispiel Orthopäden, Internisten, Onkologen, Radiologen, Strahlentherapeuten und auch (vielleicht) Palliativmediziner.
Im Tumorboard wird entschieden, welche Behandlungsformen in Betracht kommen und – vor allem – was das Behandlungsziel ist: Kann man den Tumor prinzipiell noch operieren, also im Idealfall komplett entfernen oder doch zumindest die Tumormasse reduzieren? Ist eine Operation sinnvoll? Welche Rolle spielen Chemotherapie, Bestrahlung und ggf. Antikörper- oder Hormontherapien?
Vor allem aber geht es um eine ganz wichtige Entscheidung:
Kann man den Patienten noch „heilen“ (wir Ärzte reden von „kurativer“ Behandlung) oder geht es allein darum, die Leiden des Patienten bestmöglich zu lindern?
Im letzteren Fall muss man davon ausgehen, dass der Tumor weiter wachsen wird. Der Patient wird irgendwann einmal daran versterben. Ziel der Behandlung ist es, den Patienten bis dahin so gut wie möglich zu begleiten. Das ist es, was man unter „palliativer“ Betreuung versteht.
Wie sind die Aussichten?
Es ist davon auszugehen, dass es sich hier um ein weitest fortgeschrittenes Tumorleiden handelt.
Eine Heilung ist extrem unwahrscheinlich.
Aus diesem Grund sollte das palliativmedizinische Team so früh wie möglich eingebunden werden.
Und wie das funktioniert…
…darum geht es in der nächsten Fortsetzung.
Bitte keine Sterbenden in meinem Vorgarten!
Der Tod ist Böse.
Natürlich wissen wir, dass wir ihm nicht entgehen können, irgendwann, irgendwann einmal , aber weil wir alle hoffen, dass es bis dahin noch ziemlich weit hin ist, denken wir besser nicht dran. Und allem, was uns daran erinnert, gehen wir am liebsten aus dem Weg.
Wenn beim Nachbarn der Leichenwagen vorfährt, dann bleibt uns vor Schreck das Frühstücksbrötchen im Hals stecken. Und wenn das mit dem Leichenwagen jeden Tag passiert?
Böse, böse! Besser nicht….
Nun gibt es Menschen, die schwer krank sind. So schwer krank, dass das unvermeidbare Ende keine Frage von Jahren oder Jahrzehnten, sondern eher von Wochen und Tagen ist. Und es ist möglich, dafür zu sorgen, dass auch diese Menschen in ihren letzten Tagen mitten im Leben stehen…. ein bißchen zumindest…. oder dass man ihnen die letzten Tage so angenehm wie möglich gestaltet.
Zwar ist Deutschland in Bezug auf Palliativmedizin fast noch ein Entwicklungsland, aber allmählich passiert hier etwas… zumindest hier und dort.
Im Hamburger Süden soll ein neues Hospiz entstehen. Zwei Anwohner klagen dagegen. Die Argumente erscheinen an den Haaren herbeigezogen: man mache sich Sorgen um den Wert der umliegenden Immobilien, redet von Belästigung durch erhöhten Leichenwagen-Verkehr und wenn schon, dann soll sich das Ding zumindest hinter einer hohen Mauer verstecken….
Die gute Nachricht: fünfundneunzig Prozent der Anwohner teilen die Bedenken offenbar nicht.
Kein Geld für teures Krebs-Medikament: Wie viel darf ein Menschenleben kosten?
Das Prostata-Karzinom gehört zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen des Mannes. In Großbritannien zum Beispiel erhalten jedes Jahr etwa 35000 Männer die Diagnose – und ein beachtlicher Teil davon wird daran sterben.
An Behandlungsmethoden wird kräftig geforscht – und jetzt ist wieder einmal ein neues Medikament auf den Markt gekommen: Cabazitaxel. Das neue Mittel soll bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung eingesetzt werden und kann – angeblich – die mittlere Überlebenszeit um etwa drei Monate verlängern.
Der Nachteil: Die Behandlung kostet etwa fünfundzwanzigtausend Euro.
Das ist ziemlich viel Geld.
Zu teuer – und damit ein viel zu schlechtes Preis-Leistungsverhältnis, sagt das britische „National Institute of Clinical Excellence (NICE)“, welches für die Bewertung von neuen Therapieformen zuständig ist. Der staatliche Gesundheitsdienst in Großbritannien (NHS) soll die neue Behandlung nicht finanzieren.
Der Aufschrei ist groß und manch eine Boulevardzeitung bläst zum großen Halali und manch eine Selbsthilfegruppe bläst in dasselbe Horn. Kann man – nur des schnöden Mammons wegen – einem schwerstkranken Menschen die letzte Chance nehmen, sein Leben zu verlängern?
Viele Ärzte sehen das hingegen differenzierter.
Die finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen sind begrenzt. Für dasselbe Geld, was eine einzige Cabazitaxel-Behandlung kostet könnte man eine komplette Palliativstation oder ein Hospiz eine ganze Weile lang betreiben. Was also brauchen diese Schwerstkranken am Ende ihres Lebens notwendiger? Ein Medikament – und ein bißchen Hoffnung oder intensive pflegerische Betreuung und Behandlung ihrer Symptome?
In Deutschland wird es wohl noch eine Weile dauern, bis solche Diskussionen offen geführt werden….
- Gesundheits-ökonomie-Blog der Uni Sheffield
- Prostate Cancer Info Link – offenbar eine Art Selbsthilfegruppe (von wem finanziert?
- Offizielle Begründung für die Ablehung von einer regionalen Gesundheitsorganisation in Südengland
- Artikel in der „Daily Mail“, einer Boulevardzeitung
Angeklagte Palliativärztin ist tot
Vor ein paar Tagen habe ich über eine Ärztin berichtet, welche vor Gericht stand, weil sie mehrere Patienten durch Überdosen von Medikamenten getötet haben soll.
War es einfach nur hochdosierte Schmerzbehandlung bei schwerstkranken Tumorpatienten? War es aktive oder passive Sterbehilfe? Oder war es gar heimtückischer Mord?
Wir wissen es nicht und wir werden es auch nicht mehr erfahren. Sie ist tot. Heute wurde bekannt, dass sie sich vermutlich das Leben genommen hat.
Schuldeingeständnis? Oder einfach nur Ausweglosigkeit?
Auch das werden wir nicht mehr erfahren
(Dank an Monsterdoc für den Link via Twitter)