kreative Aktentherapie zwischen den Jahren
Richtig gemütlich ist es heute auf Station. Derzeit sind immer noch gerade einmal die Hälfte unserer Betten belegt, und zwar überwiegend mit harmlosen Christkindern. Die betüttelt man ein wenig, gibt ihnen hier mal ein wenig Lasix, mal dort ein wenig Krankengymnastik und vor allem viel, viel Zuneigung. Denn heute können wir uns ja Zeit lassen mit der Visite. So macht das Arbeiten richtig Spaß. Warum könnte es bloß nicht immer so sein?
Am Nachmittag wartet dann der große Aktenstapel auf mich. Ganz böse grinst der mich an. Ein knapper Vertikalmeter geballtes Papier. Krankenakten von in der Adventszeit entlassenen Patienten, die jetzt diktiert werden müssen… eigentlich habe ich ja Zeit… also keine Ausflüchte und ran an den Speck! Ich hole mir noch einen frischen Kaffee und eine dicke Scheibe von Schwester Paulas selbstgebackenem Christstollen und dann stelle ich mich dem Feind.
Ich schlage die Akte auf, blättere und blättere…. kratze mich am Kopf… spiele mit dem Diktiergerät herum… tja… warum hat Frau Schulte eigentlich kein Antibiotikum bekommen, obwohl sie zwischendurch drei Tage lang Fieber hatte und im Labor erhöhte Entzündungszeichen? Und Frau Meiers Langzeit-EKG, das war ganz und gar nicht „weitgehend unauffällig“, wie ich im vorläufigen Brief vollmundig behauptet habe, im Gegenteil, fast durchgehend Vorhofflimmern, die bräuchte eigentlich Marcumar…. Und Frau Müller, die war fast vier Wochen hier, und in diesen vier Wochen haben wir eigentlich kaum etwas gemacht, haben bloß darauf gewartet, dass sie einen Platz im Pflegeheim ihrer Wahl bekam, dachdem es zuvor weder mit Reha noch mit Kurzzeitpflege geklappt hatte…. kurz und gut: jetzt heisst es kreativ sein.
Ich hole mir ein zweites Stück Christstollen und noch einen Kaffee und dann lege ich los.
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Written by medizynicus
28. Dezember 2010 um 05:01
Veröffentlicht in Alltagswahnsinn
11 Antworten
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…ja ja, das kennt man!!
Beim Briefeschreiben fällt plötzlich auf, was vorher aus irgendwie unerfindlichen Gründen nicht aufgefallen ist. Wir hatten mal vergessen, bei einem Patienten die Laborwerte abzunehmen. Es vergingen Stationsarztvisite, Oberarztvisite, Chefarztvisite…keiner hat’s gemerkt. Bis ich nach Entlassung des Patienten anfing, den Brief zu schreiben und die Laborwerte suchte…
docangel
28. Dezember 2010 at 10:05
Kann durchaus verstehen dass im normalen Krankenhausalltag mal das ein oder andere übersehen wird. Ehrlich. Trotzdem bin ich beruhigt dass die Geschichten hier alle erstunken und erlogen sind 😀
Hoffe du hattest schöne Feiertage.
optruma
28. Dezember 2010 at 10:57
@optruma
Mal ehrlich, wir sind doch hier nicht in der komplementären Medizinwelt. Hier geht alles mit rechten oder linken Dingen zu, nicht irgendwas dazwischen!
Ob etwas stinkt, lässt sich derzeit weder mit einem Fenster- noch einem Apfel-PC beweisen!!!!
Mit dem Lügen haben es wirkliche Ärzte ja gar nicht, das nennt man höchstens eine Abberation von der landläufigen Meinung, und das wiederum ist Kunst!
REALM
28. Dezember 2010 at 18:23
Wie sagte schon Scarlett O’Hara in Vom Winde verweht?
Verschieben wir’s auf morgen!
Jetzt werde ich mir mal einen Vitaminreichen Obstsalat anfertigen, damit ich schön gesund bleibe und nicht versehentlich noch in Eurer Klinik lande….
sweetkoffie
28. Dezember 2010 at 18:59
@sweetkoffie:
Du glaubst doch nicht etwa, das wäre anderswo besser? 😉
Shlomo
28. Dezember 2010 at 22:27
@REALM:
Vielleicht hätte ich doch den: 😉 anstatt den 😀 verwenden sollen damit ein Jeder versteht dass ich einen kleinen, schwarzhumorig angehauchten Pfeil auf den Disclaimer abgeschossen habe ?
Hiermit ist das hoffentlich behoben 😉
Wie du nun darauf kommst das hier irgendwer, irgendwas beweisen will entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Hab auch nicht den Anspruch alles zu verstehen.
Und nein, ich möchte hier keine Diskussion starten!
optruma
29. Dezember 2010 at 00:36
@ Shlomo:
nee, so weltfremd bin ich denn dann doch nicht 😉 😉
sweetkoffie
29. Dezember 2010 at 08:13
Wieviel Stück selbstgebackenen Stollen hast Du denn pro Arztbrief verdrückt? Kann mich selbst noch gut daran erinnern. Bin deshalb Hausarzt geworden, da muss man (fast) keine Arztbriefe schreiben (nur nervige Sozial-Gerichts-, Rentenversicherungs- Krankenversicherungs-, und private Versicherungsanfragen).
der Landarsch
29. Dezember 2010 at 08:31
@ Der Landarsch:
Und wie schauts bei dir mit dem Stollen aus? Meines Wissens werden Landärsche doch zum Fest reichlich mit Naturalien versorgt
Meine Mutter und ihre Damen kochen und backen immer wie die Weltmeister für ihre Dok.
sweetkoffie
29. Dezember 2010 at 08:57
@sweetkoffie, bei mir gabs nur von 1 Pat. selbstgebackene Plätzchen, von einem alten Bäcker Plätzchen aus der Bäckerei, ansonsten nur eher mittelmäßigen Wein und Sekt. Die Zeiten haben sich deutlich geändert. Ja früher …
Hab noch während des Studiums mal einen Kollegen aus dem hinteren Bayerischen Wald kennen gelernt, der mir glaubhaft versicherte, dass er für die Grundnahrungsmittel (Eier, Brot, Gemüse, Fleisch) kein Geld bräuchte, das bekäme er alles umsonst von seinen dankbaren Patienten. Und an Weihnachten gabs (neben Gebäck) Gans, Ente, Reh, Fische u.v.m.. Das war aber 1975.
der Landarsch
29. Dezember 2010 at 11:59
@ der Landarsch:
die Patienten sind scheinbar auch nicht merh das, was sie mal waren;-)
Hier bei uns ist das was anderes, da pflegen die Leute IHREN Dok, denn hier gibt es noch Landärsche, die kennen die Patienten-Familien seit Generationen und kommen auch ins Haus.Eier, Kartoffeln, Wild und Fisch gehören zum Standardprogramm, ebenso die tollsten Torten.
Mir , als Kosmetikerin und Fußpflegerin, geht es da kaum anders. Seit Jahren brauche ich mir um das Weihanchtsessen keine Gedanken machen und einen Geburtstagkuchen muß ich auch nicht selber backen.
Fettes Leben, gell? 😉
sweetkoffie
29. Dezember 2010 at 13:19