Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Archive for August 2007

Die Geschichte von Fusel-Franze

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Das Problem, welches die beiden Sanitäter soeben durch die Tür geschoben haben, ist etwa Mitte vierzig, männlich und riecht penetrant nach Ceh-zwei-Hah-fünf-Oh-Hah. Man könnte auch sagen, er ist strunzsternhagelvoll und stinkt fünf Meter gegen den Wind nach Alk.
„Das übliche?“ fragt Schwester Anna.
Die Sanis nickten.
„Dürfen wir vorstellen? Das ist Fusel-Franze. So eine Art Stammkunde von uns. Den sehen wir öfters!“
Anna grinst ihr fiesestes Grinsen.
„Lasst ihn mal für ’nen Moment da auf der Trage liegen, und die Trage lasst Ihr mal schön auf dem Flur, am besten da vorn, gleich beim Ausgang…“
„Die frische Luft wird ihm gut tun…“ sagt Horst, der ältere der beiden Sanis.
„Ihr kommt doch auf ’nen Kaffe rein, oder?!“ frage ich und suche zwei halbwegs saubere Tassen.
Fusel-Franze, so erfahre ich, ist im Grunde kein übler Kerl. Tagsüber wohnt er am Bahnhof und schnorrt die Reisenden an. Das Geld setzt er so gegen Nachmittag in Schnaps um und abends schläft er dann irgendwo seinen Rausch aus. Ab und zu hat er einen epileptischen Anfall. Ab und zu wird er dabei beobachtet. Zum Beispiel von jemandem, welcher nächtens seinen Waldi Gassi führt. So ein epileptischer Anfall sieht natürlich ziemlich dramatisch und gefährlich aus. Deswegen wählt dieser Jemand auch in der Regel brav per Handy die Notrufnummer und bestellt einen Krankenwagen. Und weil die Rettungsleitstelle und alle Sanitäter nun ihre Richtlinien und Dienstvorschriften haben, müssen sie Fusel-Franze dann einsammeln und ins Krankenhaus bringen. Dabei will Fusel-Franze gar nicht ins Krankenhaus.
„Keine Angst, Fusel-Franze bleibt normalerweise nicht lange!“ sagt Horst.
Fusel-Franze hasst Krankenhäuser. Schon allein deswegen, weil es dort kein Bier gibt.
Anna schlurft zu ihm hinüber und bemüht sich beflissen, den Blutdruck zu messen und ihm ein paar verwertbare verbale Äußerungen zu entlocken.
„Sonst alles in Ordnung?“ frage ich die beiden Sanis.
„Kann nicht klagen. War gerade im Urlaub,“ sagt Horst, „Skifahren in Bulgarien. Nicht schlecht.“
„Wusste gar nicht, dass man in Bulgarien Skifahren kann,“ sage ich.
„Doch, kann man. Schnee gut. Alkohol billig. Aber pass auf, was für Frauen Du ansprichst!“
„Warum?“
Er grinst.

Written by medizynicus

20. August 2007 at 16:00

Veröffentlicht in Das Buch

Bewerbungsgespräch in Bad Dingenskirchen

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Das Krankenhaus ist ein hässlicher Betonklotz und liegt gleich ein paar hundert Meter weiter.
Ich nehme meinen Mut zusammen und atme einmal tief durch.
Eine gläserne Schiebetür öffnet sich automatisch vor mir.
Ich trete ein.
Billiger Kunststeinfußboden, darauf ein paar Kunstledersitzbänke und Grünpflanzencontainer. Rechts das Treppenhaus, links die Pförtnerkabine.
„Chirurgie? Immer der roten Linie nach!“
Da ist tatsächlich eine rote Linie auf den Boden gemalt, wie eine Blutspur.
Die Blutspur führt durch düstere Korridore, um mehrere Ecken herum und endet in der Notaufnahme.
„Zum Chef wollen Sie? Nehmen sie einen Moment im Wartezimmer Platz!“
Die Schwester drückt mir eine pinkfarbene Wartenummer in die Hand.
„Moment mal, ich glaube, könnte es vielleicht sein, dass Sie mich missverstehen? Ich bin nämlich gar kein Patient…“
„Aber Sie wollen doch zum Chef, oder?“
Ich nicke.
„Also nehmen Sie schon Platz!“
Im Wartezimmer stehen mehrere Reihen verwüstungsresistenter Plastiksessel, dazwischen niedrige Tischchen mit zerfledderten Zeitschriften darauf. In dem Sessel rechts von mir schläft ein unrasierter und offensichtlich schwerstalkoholisierter Obdachloser seinen Rausch aus, ihm zur Seite sitzt eine alte Frau mit Gipsverband. Ein paar andere Gestalten sind angestrengt damit beschäftigt, schweigend aneinander vorbei zu schauen.
Ich setze mich neben den Alkoholiker und schließe die Augen. Ganz ruhig bleiben, nur nicht nervös werden. Wie viele Gründe gibt es, die nächsten Jahre meines Lebens ausgerechnet hier zu fristen? Es tut mir schrecklich leid, aber mir fallen keine ein.
Alle paar Minuten bellt eine krächzende Lautsprecherstimme und dann steht eine von den Gestalten neben mir auf.
„Nummer siebenundzwanzig in Zimmer eins bitte!“
Das bin ja ich!
Zaghaft klopfe ich an.
Zimmer eins enthält eine Untersuchungsliege, einen Schreibtisch und einen Ledersessel. Darauf sitzt der Chef. Der Chef sieht aus, wie man sich einen Chef vorstellt: Ende fünfzig, Übergewicht, schütteres graues Haar und Nickelbrille.
„Setzen Sie sich!“
Zwischen Schreibtisch und Untersuchungsliege steht ein wackeliger Schemel.
„Habe mir Ihre Unterlagen angeschaut. Ja, ich brauche einen neuen Mann. Die Stelle ist schon seit zwei Monaten frei…“
Er kramt in dem Papierstapel auf seinem Schreibtisch, schüttelt den Kopf, schaut mich an.
„Schießen Sie los: was können Sie?“
Ich druckse herum.
Er ist nicht überzeugt.
„Können Sie hart arbeiten?“
Er bemerkt mein Zögern.
„Hören Sie: Ich brauche wen, der zupackt! Wir sind ein kleines Haus und jeder neue Mann wird von Anfang an voll eingespannt. Zu tun gibt es genug. Wenn Sie keine Angst davor haben, hart zu arbeiten, dann können Sie bei mir anfangen!“
Er schaut mich scharf an.
„Und noch etwas: Bei uns schaut keiner auf die Uhr. Überstunden werden grundsätzlich nicht bezahlt. Verstanden?“
Ich weiche seinem Blick aus.
„Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann sind Sie für diesen Job nicht geeignet!“

Written by medizynicus

1. August 2007 at 16:45

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn