Archive for the ‘Palliativmedizin’ Category
Eine Bloggerin ist nicht mehr unter uns
Es passiert nicht häufig, aber wenn es geschieht, dann trifft es mich und macht mich sprachlos.
Tina – bekannt als Skryptoria ist nicht mehr unter uns.
Sie ist bereits am 2. Februar dieses Jahrs verstorben.
Ich habe es mehr oder weniger durch Zufall erfahren, in
Marianne’s Blog. Es gibt auch eine Traueranzeige in der lokalen Tageszeitung.
Tina alias Skritptum/Skryptoria hat insgesamt zwölf Kommentare zu Artikeln meines Blogs geschrieben, zuletzt am 1. März 2013.
Inhaltlich spannend sind aber ihre Kommentare zu Beiträgen über palliativmedizinische Themen, etwa am 14.9.2012 und am 16./17.9.2012 und am 18.9.2012.
Diese Kommentare haben zweimal längere Diskussionen ausgelöst.
Im letzten Beitrag von Tinas Blog ist zu lesen, dass Ihr Sterben wohl vor zwei Jahren begann – das lässt auf eine schwere, langwierige Krankheit schließen, möglicherweise auf eine Tumorerkrankung.
Unter diesem Aspekt haben ihre Kommentare eine ganz andere Bedeutung.
Ist Medizin spirituell?
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Ein Patient, der an einer schweren Krankheit leidet, von der er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr genesen wird, braucht Trost dringender als blinden Aktionismus im Sinne von verzweifelten, aber im Grunde von vorne herein zum Scheitern verurteilten Heilungsversuchen.
Darüber gibt es sogar wissenschaftliche Studien, die das mehr oder weniger gut zu beweisen versuchen.
Sofern man da überhaupt irgendwas beweisen kann.
Lehrbücher, Publikationen und Fortbildungskurse über Palliativmedizin widmen der Spiritualität viel Raum.
Auf Palliativstationen sind die Seelsorger ganz selbstverständlich Teil des Teams – oder sollten es jedenfalls sein.
Nur…
…was für eine Art von Spiritualität brauchen unsere Patienten?
Was für eine Art von Spiriualität wollen sie?
Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war die Anwesenheit von Ordensschwestern in Krankenhäusern ein alltägliches Bild.
Diese Ordensschwestern haben nicht nur in der Pflege mitgearbeitet, sondern auch mit den Patienten gebetet. Das war einfach so.
Auch heute noch sind viele Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft.
Aber mindestens ein Drittel unserer Bevölkerung sind konfessionslos… und dann gibt es mehrere Millionen Moslems… Angehörige anderer Religionen, Esoteriker….
Welche Art von Spiritualität ist heute zeitgemäß?
Palliativmedizinische Kasuistik – Teil 3
Unser palliativmedizinisch geschulter Kollege hat sich also auf den Weg zur Station gemacht, auf der Frau Müller liegt. Er hat noch einmal die Krankenakte durchgeblättert und mit Stationsärztin und Pflegepersonal gesprochen. Jetzt klopft er an der Zimmertür, wartet einen Moment, tritt ein, stellt sich höflich vor und setzt sich zu Frau Müller ans Krankenbett.
„Guten Tag Frau Müller, zu Beginn unseres Gespräches würde ich gerne von Ihnen erfahren, was Sie über die ganze Sache (manchmal ist es sinnvoll, den Begriff „Krankheit“ zu vermeiden, aber das ist Geschmacksache. Platte Euphemismen sind sicher genauso fehl am Platz.) wissen. Was haben die Kollegen Ihnen denn bereits gesagt?“
Die Patientin zuckt mit den Achseln. Schaut ins Leere.
„Eigentlich gar nichts!“
Gut, wir wissen inzwischen, dass das nicht stimmt. Mehrere Kollegen haben mehrfach ausführlich mit ihr gesprochen. Das ist in der Krankenakte gut dokumentiert.
„Gut, Frau Müller, aber Sie wissen, warum Sie hier sind?“
Die Patientin nickt.
„Ja, wegen einer Leberpunktion…“
„Sie wissen, was dabei herausgekommen ist?“
Die Patientin nickt.
„Ich soll eine Chemo bekommen. Und Bestrahlung.“
Aha, also doch! Sie erinnert sich. Was weiß sie? Wie viel von dem, was man ihr in den letzten Tagen gesagt hat, hat sie behalten? Was will sie wissen? Was will sie nicht wissen?
Hat sie nicht auch ein Recht dazu, bestimmte Dinge nicht wissen zu wollen? Oder gibt es so etwas wie eine ärztliche Pflicht, ihr jetzt hier und heute und morgen und immer wieder reinen Wein einzuschenken und dies nach Möglichkeit auch schriftlich zu dokumentieren, schon aus „rechtlichen Gründen“?
Für heute zumindest belässt es unser Kollege bei Unverbindlichkeiten.
Mit dem Versprechen, wieder zu kommen, verabschiedet er sich.
Palliativ-Kasuistik – Teil 2
Unsere Patientin – nennen wir sie der Einfachheit einfach Frau Müller – liegt also im Klinikum der Zentralversorgung auf einer orthopädisch / unfallchirurgischen Station. Inzwischen hat man herausgefunden, dass der Primärtumor in der linken Brust zu suchen ist (damit spinne ich das Fallbeispiel einfach weiter und hoffe, Orthopaedix ist mir nicht böse deswegen).
Außerdem hat man auch die Art der Zellen genauer bestimmen können. Anhand dessen hat man dem ganzen Geschehen einen Namen geben können. Genau gesagt handelt es sich dabei um eine ziemlich lange und für den Laien eher abstrus wirkende Formel. Die soll uns jetzt nur am Rande interessieren.
Wichtiger ist das Ergebnis der Tumorkonferenz:
Aufgrund des fortgeschrittenen Geschehens kommt eine Operation nicht mehr in Frage.
Möglich sind noch eine Chemotherapie, sowie eine palliative Bestrahlung der Skelett-Metastasen, insbesondere der Wirbelsäule. Ergänzend kommen noch eine Hormontherapie sowie eine Behandlung mit sogenannten Bisphosphonaten in Frage.
Und außerdem – da sind sich alle Teilnehmer der Tumorkonferenz einig – soll das Palliativ-Team frühzeitig mit eingebunden werden.
Noch am selben Nachmittag führt die junge Stationsärztin ein langes Gespräch mit der Patientin. Diese starrt die meiste Zeit über nur geradeaus und nickt wie geistesabwesend.
Zur selben Zeit füllt der engagierte PJ-Student am Stationscomputer ein Formular aus und bittet um ein palliativmedizinisches Konsil (wir unterstellen mal, dass wir uns in einem von den ganz wenigen fortschrittlichen Krankenhäusern befinden, wo die EDV-Abteilung tatsächlich eine Unterstützung ist und so etwas möglich macht – in geschätzten 99 Prozent aller deutschen Krankenhäuser werden diese Formulare noch handschriftlich auf Papier ausgefüllt).
Wenige Minuten später ruft der Kollege von der Palliativstation zurück. Er verspricht, gleich heute noch vorbeizukommen und schaut sich inzwischen schon einmal die elektronische Krankenakte der Patientin an:
Müller, Erna, geboren am geboren am 13. Juli 1962.
Und unser Kollege liest weiter: Natürlich hat der aufmerksame PJ’ler eine ausführliche Sozialanemnese erhoben und alles schön dokumentiert (in unserem Krankenhaus wird so etwas bekanntlich immer gleich in den PC eingegeben, handgeschmierte Anamnesebögen gibt’s schon lange nicht mehr): Unsere Patientin ist gelernte Frisörin und Inhaberin eines eigenen Salons mit mehreren Angestellten.
Sie ist geschieden und hat zwei gerade erwachsene Kinder. Der neunzehnjährige Sohn hat gerade sein Studium begonnen, die zweiundzwanzigjährige Tochter hat letztes Jahr ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin abgeschlossen, vor ein paar Wochen geheiratet und ist jetzt schwanger. Außerdem kümmert die Patientin sich um um ihre pflegebedürftige, grenzwertig demente, fünfundachtzigjährige Mutter.
Wichtige Vorerkrankungen sind nicht dokumentiert.
Frau Müller war anscheinend bislang immer gesund gewesen. Jedenfalls ist sie offenbar jahrzehntelang nicht zum Arzt gegangen. Ach ja, natürlich, bevor wir es vergessen: sie raucht. Zwanzig Zigaretten am Tag, seit ihrem sechzehnten Lebensjahr.
Unser Kollege überfliegt noch kurz die Informationen zur aktuellen Behandlung – Schmerzmedikation wegen der Rückenschmerzen, ein Antidepressivum, ein Schlafmittel – und macht sich dann auf den Weg… und dabei überlegt er sich, was ihn wohl sonst noch interessieren könnte…
Palliativmedizin ist anders: erstes Fallbeispiel
Liebe Leute,
heute wird’s mal ein bisschen trockener und vielleicht nicht ganz so lustig wie sonst.
Wie Ihr vielleicht gemerkt habt, geht es seit einigen Tagen hier im Blog schwerpunktmäßig um die Palliativmedizin.
Heute möchte ich ein erstes Fallbispiel (oder wie wir Mediziner sagen: eine Kasuistik) vorstellen.
Der Fall stammt nicht von mir: Ich habe ihn geklaut, und zwar von Orthopädix (Tolles Blog übrigens, aber mehr dazu später).
Also, los geht’s:
Der Fall:
Eine fünfzigjährige Patientin, Raucherin, deutlich vorgealtert wirkend, wird aus einem peripheren Krankenhaus zur weiteren Diagnostik in die orthopädische / unfallchirurgische Abteilung einer großen Zentralversorgungs-Klinik verlegt.
Seit einigen Wochen hatte sie über therapieresistente Schmerzen in der linken Schulter geklagt. Es wurden mehrere Röntgenbilder und ein CT angefertigt, darauf fanden sich tumorverdächtige Befunde im Schulterblatt, im Schultergelenk und in der Leber sowie in den Nebennieren, an der Halswirbelsäule, am rechten Hüftgelenk, am rechten Oberschenkelknochen, in der Brust und am Gesäß.
Bei Aufnahme wirkt die Patientin agitiert, möchte auf keinen Fall im Krankenhaus bleiben, am liebsten möchte sie heute noch wieder heim oder, falls unbedingt notwendig, spätestens am folgenden Morgen.
Sie habe schließlich ein eigenes Geschäft und müsse sich um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern. Außerdem habe sie Angst davor, dass ihr bei einer Chemotherapie die Haare ausfallen könnten. Ob es denn nicht so etwas wie eine „Soft-Chemo“ gebe?
Der aufnehmende Arzt bzw. PJ’ler – also Orthopaedix – ist von der Verhaltensweise der Patientin offenbar mehr als irritiert.
Wie geht es (normalerweise) weiter?
Zunächst muss die Diagnostik verfollständigt werden, um dann eine Entscheidung über Therapiemöglichkeiten treffen zu können. Hierzu ist es wichtig, herauszufinden, aus welcher Art von Zellen der Tumor besteht. Idealerweise möchte man wissen, wo der ursprüngliche Tumor herkommt. Außerdem möchte man einen Überblick über alle Metastasen gewinnen.
Aus diesem Grund muss man an (mindestens) einer Stelle eine Probe gewinnen. Geplant ist deshalb offenbar (so schreibt Orthopädix) eine Punktion der Leber. Außerdem gehört eine CT-Untersuchung von (mindestens) Schädel, Thorax und Abdomen zur üblichen Routine (bzw. es ist auch nicht unüblich, dass man den ganzen Patienten vom Scheitel bis zur Sohne einmal komplett durchs CT schiebt) sowie eine Knochenszintigraphie. Außerdem werden verschiedene Blutuntersuchungen durchgeführt. Diesen Prozess nennt man „Staging“, man möchte wissen, in welchem „Stadium“ sich der Tumor befindet, bzw. wie ausgedehnt die Erkrankung ist.
Das sollte natürlich so rasch wie möglich geschehen, kann aber ein paar Tage dauern.
Nach Abschluss des „Stagings“ wird der Patient in der Regel in einer „Tumorkonferenz“ (bzw. auf Neudeutsch: „Tumorboard“) vorgestellt.
Hier sitzen alle behandelnden Kollegen zusammen: In diesem Fall zum Beispiel Orthopäden, Internisten, Onkologen, Radiologen, Strahlentherapeuten und auch (vielleicht) Palliativmediziner.
Im Tumorboard wird entschieden, welche Behandlungsformen in Betracht kommen und – vor allem – was das Behandlungsziel ist: Kann man den Tumor prinzipiell noch operieren, also im Idealfall komplett entfernen oder doch zumindest die Tumormasse reduzieren? Ist eine Operation sinnvoll? Welche Rolle spielen Chemotherapie, Bestrahlung und ggf. Antikörper- oder Hormontherapien?
Vor allem aber geht es um eine ganz wichtige Entscheidung:
Kann man den Patienten noch „heilen“ (wir Ärzte reden von „kurativer“ Behandlung) oder geht es allein darum, die Leiden des Patienten bestmöglich zu lindern?
Im letzteren Fall muss man davon ausgehen, dass der Tumor weiter wachsen wird. Der Patient wird irgendwann einmal daran versterben. Ziel der Behandlung ist es, den Patienten bis dahin so gut wie möglich zu begleiten. Das ist es, was man unter „palliativer“ Betreuung versteht.
Wie sind die Aussichten?
Es ist davon auszugehen, dass es sich hier um ein weitest fortgeschrittenes Tumorleiden handelt.
Eine Heilung ist extrem unwahrscheinlich.
Aus diesem Grund sollte das palliativmedizinische Team so früh wie möglich eingebunden werden.
Und wie das funktioniert…
…darum geht es in der nächsten Fortsetzung.