Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Archive for Juli 2012

Frau Flatschmeier will nicht

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„Herr Doktor!“
Wie bitte?
„Hallo Herr Doktor, hier bin ich?“
Wer bitte?
„Herr Doktor, fast hätte ich Sie gar nicht erkannt!“
Na bitte!
Ich bin gut getarnt. Meine gammeligste Jeans habe ich an, ein knallbuntes T-Shirt, dazu Basecap und eine dunkle, dunkle Sonnenbrille. So sitze ich, hinter einer Zeitung versteckt bei Gepetto auf der Terrasse und schlürfe meinen obligatorischen doppelten Espresso… inkognito, wie ich dachte… zu früh gedacht…
„…Sie haben ja nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze, ja?“
Vieleicht doch? Zu spät! Schon geschehen.
„…wie gut, dass ich Sie hier treffe, Herr Doktor, ich wollte sowieso heute noch mit Ihnen sprechen, ich war ja gerade bei meiner Mutter…“
Hallo?
„…ja, und wir hatten doch darüber gesprochen, dass meine Mutter vielleicht noch ein paar Tage bei Ihnen bleiben kann, weil…“
„Wer ist Ihre Mutter?“
Ich bemühe mich, möglichst eisig zu klingen. Nicht eisig genug. Meine neue Tischgenossin schaut mich leicht irritiert an.
„Hermine Flatschmeier, Sie wissen doch?“
Natürlich weiß ich.
Flatschmeier, Hermine, achtundsechzig Jahre, entgleister Diabetes, dazu ungefähr ein Dutzend internistischer Vordiagnosen und ein Lebendgewicht von hundertsechtzig Kilogramm. Geschätzt, denn gewogen haben wir sie noch nicht. Weil sie sich noch nicht aus dem Bett hinausbewegt hat. Weil sie das nämlich gar nicht mehr kann. Unsere Pflegekräfte können auch nicht mehr, wenn Frau Flatschmeier unser Haus nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden verläßt, droht der offene Bürgerkrieg.
„Die geht ja morgen nach Hause!“ sage ich in betont optimistischer Stimmungslage.
„Nein!“
Ich beiße mir auf die Zunge.
„Richtig! Die geht in ein Heim zur Kurzzeitpflege. Damit Sie mal ein wenig Ruhe haben!“
Frau Flatschmeier wird nämlich von Frau Flatschmeiertochter gepflegt. Wie die das mehr oder weniger alleine schafft, ist mir ein Rätsel. Und um ihr eine Atempause zu gönnen, haben wir die Kurzzeitpflege organisiert.
Frau Flatschmeiertochter seufzt.
„Nein!“ sagt sie.
„Was nein?“
„Ich habe soeben im Heim angerufen und den Platz abgesagt!“
Wie bitte? Jetzt in der Urlaubszeit kann man Kurzzeitpflegeplätze bei uns in Bad Dingenskirchen mit der Laterne suchen!
„Warum?“
„Meine Mutter will nicht!“
„Was will sie nicht?“
„Sie will nicht ins Pflegeheim!“
„Aha?“
„Sie will nach Hause!“
„Hmm.“
„Aber ich kann nicht mehr, Herr Doktor! Ich kann einfach nicht mehr! Verstehen Sie das?“
Sehr wohl verstehe ich das?
…oder… Äh, doch nicht so ganz?

Written by medizynicus

25. Juli 2012 at 22:20

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

Ruhender Verkehr

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„Hallo, sind Sie das?“
Der Schalldruck aus dem Lautsprecher des Diensthandys hätte mir fast das Trommelfell weggeblasen.
„Selbstverständlich bin ich das. Wer sonst?“
„Ich meine…. sind Sie der mit dem Auto?“
„Darf ich fragen, mit wem ich gerade das Vergnügen habe…“
„Ja, hier Schuster von der Klinikdirektion. Und das ist wirklich Ihr Auto?“
„Nun ja, ich bin Halter eines Kraftfahrzeuges…“
„…dieser verbeulte blaue Golf da draußen? Mit der Nummer…“
„Möglich.“
„Also, das geht natürlich nicht!“
„Natürlich geht das. Den Wagen habe ich rechtmäßig erworben, und zwar vor…“
„Ich meine, das mit dem Parken geht nicht!“
„Doch, das geht ganz einfach: Man tritt auf die Bremse, nimmt den Gang raus, dreht den Zündschlüssel um und…“
„Da können Sie doch nicht stehen bleiben!“
„Ich will da auch gar nicht stehen. Und, um ehrlich zu sein, stehe ich ja auch längst nicht mehr dort. Die können mir glauben, dass ich ziemlich froh bin, mein Auto endlich verlassen haben zu können, nachdem ich so lange herumgekurvt…“
„Ihr Auto steht im absoluten Halteverbot!“
„Hmm.“
„Das muss da weg!“
„Hmmm.“
„Und zwar sofort. Sonst riskieren Sie einen saftigen Strafzettel.“
„Nein.“
„Doch!“
„Nein. Mein Auto befindet sich auf krankenhauseigenem Boden. Da hat die Stadt oder das Ordnungsamt gar nichts zu suchen. Das Einzige, was ich riskiere, ist ein böser Anruf von der Direktion!“
„Wenn Sie Ihr Auto nicht sofort wegfahren, lassen wir Sie abschleppen!“
„…das kann allerdings dauern. Sie müssen zunächst einmal nachweisen, dass ich den Verkehr behindere, was ich nicht tu, weil die Rasenfläche vor dem Haupteingang…“
„Hören sie, ich werde jetzt nicht mit Ihnen diskutieren…“
„Brauchen Sie auch gar nicht. Ich fahre den Wagen ja weg. Sagen Sie mir nur kurz, wohin…“
„Auf den Mitarbeiterparkplatz?“
„Der ist leider voll. Bei geschätzten hundert Plätzen für fünfhundert Mitarbeiter auch gar kein Problem.“
„Dann halt ein Stück weiter weg…“
„Im Umkreis von drei Kilometern alles Halteverbot. Oder Anwohnerzone. Oder…“
„Dann nehmen Sie halt den Bus!“
„…der alle zwei Stunden kommt und früh morgens oder abends gar nicht? Sie sind lustig!“
„Gehen Sie doch zu Fuß!“
„Sieben Kilometer?“
„Fahrrad?“
„Gerne, wenn Sie Duschen zur Verfügung stellen. Im Sommer nämlich…“
„Ist mir trotzdem egal. Wenn Ihre Rostlaube in zehn Minuten nicht weg ist…“
Schon okay.
Muss halt Martin Bückling die drei Zugänge aufnehmen und Oma Müllermeier kann auch bis morgen auf ihren Entlassbrief warten und die Angehörigen von Opa Kasuppke, die unbedingt heute noch einen Doktor sprechen wollen, die kann man ja auch problemlos noch einmal vertrösten.

Written by medizynicus

14. Juli 2012 at 21:48

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn