Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Frau Flatschmeier will nicht

with 8 comments

„Herr Doktor!“
Wie bitte?
„Hallo Herr Doktor, hier bin ich?“
Wer bitte?
„Herr Doktor, fast hätte ich Sie gar nicht erkannt!“
Na bitte!
Ich bin gut getarnt. Meine gammeligste Jeans habe ich an, ein knallbuntes T-Shirt, dazu Basecap und eine dunkle, dunkle Sonnenbrille. So sitze ich, hinter einer Zeitung versteckt bei Gepetto auf der Terrasse und schlürfe meinen obligatorischen doppelten Espresso… inkognito, wie ich dachte… zu früh gedacht…
„…Sie haben ja nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze, ja?“
Vieleicht doch? Zu spät! Schon geschehen.
„…wie gut, dass ich Sie hier treffe, Herr Doktor, ich wollte sowieso heute noch mit Ihnen sprechen, ich war ja gerade bei meiner Mutter…“
Hallo?
„…ja, und wir hatten doch darüber gesprochen, dass meine Mutter vielleicht noch ein paar Tage bei Ihnen bleiben kann, weil…“
„Wer ist Ihre Mutter?“
Ich bemühe mich, möglichst eisig zu klingen. Nicht eisig genug. Meine neue Tischgenossin schaut mich leicht irritiert an.
„Hermine Flatschmeier, Sie wissen doch?“
Natürlich weiß ich.
Flatschmeier, Hermine, achtundsechzig Jahre, entgleister Diabetes, dazu ungefähr ein Dutzend internistischer Vordiagnosen und ein Lebendgewicht von hundertsechtzig Kilogramm. Geschätzt, denn gewogen haben wir sie noch nicht. Weil sie sich noch nicht aus dem Bett hinausbewegt hat. Weil sie das nämlich gar nicht mehr kann. Unsere Pflegekräfte können auch nicht mehr, wenn Frau Flatschmeier unser Haus nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden verläßt, droht der offene Bürgerkrieg.
„Die geht ja morgen nach Hause!“ sage ich in betont optimistischer Stimmungslage.
„Nein!“
Ich beiße mir auf die Zunge.
„Richtig! Die geht in ein Heim zur Kurzzeitpflege. Damit Sie mal ein wenig Ruhe haben!“
Frau Flatschmeier wird nämlich von Frau Flatschmeiertochter gepflegt. Wie die das mehr oder weniger alleine schafft, ist mir ein Rätsel. Und um ihr eine Atempause zu gönnen, haben wir die Kurzzeitpflege organisiert.
Frau Flatschmeiertochter seufzt.
„Nein!“ sagt sie.
„Was nein?“
„Ich habe soeben im Heim angerufen und den Platz abgesagt!“
Wie bitte? Jetzt in der Urlaubszeit kann man Kurzzeitpflegeplätze bei uns in Bad Dingenskirchen mit der Laterne suchen!
„Warum?“
„Meine Mutter will nicht!“
„Was will sie nicht?“
„Sie will nicht ins Pflegeheim!“
„Aha?“
„Sie will nach Hause!“
„Hmm.“
„Aber ich kann nicht mehr, Herr Doktor! Ich kann einfach nicht mehr! Verstehen Sie das?“
Sehr wohl verstehe ich das?
…oder… Äh, doch nicht so ganz?

Written by medizynicus

25. Juli 2012 um 22:20

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

8 Antworten

Subscribe to comments with RSS.

  1. Ein klassischer Fall von Waschmichabermachmichnichtnass. Da hilft nur eine eiskalte Dusche.

    Mr. Gaunt

    25. Juli 2012 at 23:11

  2. „Patientengespräche“ sind ab und zu nicht so einfach! Aber wieder gut geschrieben!

    Stephan

    26. Juli 2012 at 01:04

  3. Flatschmeiers kenne ich auch, egal ob mit „ei“, „ai“ oder „ay“ geschrieben 😉 es ist immer das Gleiche. Grenzenlos.. in beide Richtungen. Den Medizynicus bedrängt man in dessen Freizeit mit Klinikgedönse, und so wenig Rücksicht man auf anderer Belange nimmt, so wenig achtet man die eigenen. Wenn da die gesammelten Pfunde der Mutter aus dem Klinkbett drängeln.. dann wird die eigene Erschöpfung wieder ignoriert, bis zum absoluten geht-nicht-mehr..

    Kunst und Buntes

    26. Juli 2012 at 08:29

  4. Das nächste Mal vielleicht noch ein Haarteil und eine größere Zeitung? Oder einfach steif und fest behaupten, den Patienten/den Angehörigen noch niemals in deinem Leben gesehen zu haben.

    gotsassaufeinemast

    26. Juli 2012 at 10:35

  5. Ort: Krankenhausflur, KH am Rande einer Großstadt
    Assistenzärztin vs Patientinnentochter:
    Ä:“Frau XY wann können wir ihre Mutter ENTLASSEN? (Pat. liegt erst seit 30 Min. im KH Bett, wartet auf OP)
    PT: „Sofort, wenn sie operiert worden ist:“
    Ä: „Wieso sofort, meinen sie das jetzt ironisch?“
    PT: „Nein, wörtlich“
    Ä: „Aber sie brauchen ein Pflegebett.“
    PT: „Ist bereits da und frisch überzogen.“
    Ä:“ Und einen Toilettenstuhl.“
    PT:“ Ist ebenfalls da.“
    Ä: „Und einen Pflegedienst.“
    PT: „Habe ich die letzten drei Jahre selbst gemacht. Wo ist das Problem?“
    Ä:“ Das … haben wir aber selten.“

    Buxinchen

    26. Juli 2012 at 11:22

  6. Wie wärs mit „Guten Tag Frau Flatschmeier, können wir uns darüber bitte in der Sprechstunde unterhalten?“
    Oder „Ich brauche meine Pause, damit ich mich Ihnen später wieder so widmen kann, wie Sie es verdient haben“ 😉

    stellinchen

    26. Juli 2012 at 14:02

  7. Frau Flatschmeier scheint unter enormen Druck zu stehen. Deshalb auch die sicher nicht bewusste Grenzüberschreitung, dich in deiner Freizeit mit der für sie so brennenden Frage zu behelligen. Ich halte viel von Stellinchens Vorschlag. Und auch davon, ihr dann noch einmal zu erklären, das und warum auch sie regelmäßige Auszeiten von der Pflege ihrer Mutter braucht. Aus einem medizinischen Mund klingts vielleicht für sie glaubwürdig.

    Stratege

    27. Juli 2012 at 15:57

  8. Naja, Stratege,
    so einfach ist das nicht. Theoretisch klingt das alles ganz einfach. Und theoretisch ist ja auch alles irgendwie gesetzlich geregelt. Wenn da nur nicht die Krankenkassen/Pflegekassen wären, die das bewilligen und bezahlen müss(t)en. Und sich damit dann auch noch einen K(r)ampf zu liefern wollen und können viele dann einfach nicht mehr. Und akzeptieren das, was gegeben/bewilligt wird.

    Und moralisch siehst du dich als Elternteil oder als Kind eben in der Verantwortung. Da magst du selbst auch noch irgendwie checken, dass du Auszeiten brauchst – du bekommst es einfach nicht geregelt. Sind zumindest so meine Erfahrungen bzw. Essenzen aus Erzählungen.

    Das mit dem Hinweis an die Patienten, wie von stellinchen geschrieben, halte ich auch für angebracht. Allerdings gibt es halt Patienten, die es nicht akzeptieren können und wollen und andererseits Patienten, die sich nicht anders zu helfen wissen, weil der Druck einfach da ist. Da hilft dann zuhören und dann noch ein extra Termin in der Sprechstunde.

    ednong

    28. Juli 2012 at 00:40


Hinterlasse einen Kommentar