Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

betr.: Herr Schlapplinski (Teil 6)

with 19 comments

Sehr geehrter Herr Kollege Retterspitz,
wir bedanken uns für die freundliche Zuweisung von Herrn Schlappliniski, Johann, der sich letztens kurzzeitig in unserer stationären Behandlung befand und berichten über den Verlauf der Behandlung in unserem Hause.
Diagnose:
Kognitiver Abbauprozess
Ungeklärte häusliche Versorgungssituation
Anamnese:
Der Patient berichtet, nicht im Krankenhaus bleiben zu wollen.
Fremdanamnestisch ist zu erfahren, dass angeblich pathologische Laborwerte erhoben worden sind, außerdem sei der Blutdruck recht hoch.
Vegetative Anamnese:
(Fremdanamnese durch Ehefrau): In der letzten Zeit zunehmende Verwirrtheit, außerdem Gewichtsverlust.
Sozialanamnese:
Der Patient lebt mit seiner Ehefrau. Nach Angaben der Ehefrau ist die Versorgungssituation nicht geklärt.
Therapie und Verlauf:
Bereits kurz nach dem Eintreffen hat sich der Patient mit unbekanntem Ziel von der Station entfernt, ist jedoch glücklicherweise eine Stunde später wieder aufgetaucht.
Am Nachmittag verschwand er erneut. Trotz Ausschwärmens aller Mitarbeiter konnte er auf dem Klinikgelände nicht gefunden werden. Die Angehörigen wurden unverzüglich benachrichtigt.
In Anbetracht der kühlen Außentemperaturen und der drohenden Dunkelheit baten wir in Sorge um den Patienten die Polizei um ihre Mithilfe bei der Personensuche.
Letzendlich erfuhren wir von der Ehefrau, dass der Patient unversehrt zu Hause aufgetaucht war.
Die Angehörigen wurden darüber informiert, dass die Abklärung der marginal pathologischen Laborparameter sowie des mäßig erhöhten Blutdruckes durchaus auch ambulant durch den Hausarzt erfolgen kann. Sollten Sie diesbezüglich überfordert sein, bieten wir gerne unsere Hilfe an.
Die Abklärung einer unklaren Versorgungssituation und einer fortschreitenden Demenz mit zusätzlichem Gewichtsverlust ist selbstverständlich ein legitimer Einweisungsgrund. Nur wären wir in diesem Fall dankbar für eine kurze Kommunikation – gerne auch telefonisch – über die Erwartugen und Ziele des geplanten Klinikaufenthaltes.
Letztendlich möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir weder ein Gefängnis noch eine geschlossene Anstalt sind. Wenn Sie uns einen Patienten schicken, klären Sie bitte im Vorfeld ab, dass er auch bei uns bleibt.
Auch mit dementen Menschen kann man reden.
mit kollegialen (ja, von mir aus auch freundlichen Grüßen),
Dr. Benno Armschlag,
Stationsarzt

Written by medizynicus

31. Oktober 2012 um 08:04

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

19 Antworten

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  1. Schön formuliert. Vielleicht versteht es der Kollege sogar.

    Thomas

    31. Oktober 2012 at 08:22

  2. Aller-, allerschönst: You made my day!

    Noga (Alzheimerblog)

    31. Oktober 2012 at 09:20

  3. Zusammenfassend sieht das alles so einfach und klar aus 🙂
    und ich bin sicher, die nicht ganz so versteckten Hinweise sind angekommen ….
    oder?

    Pharmama

    31. Oktober 2012 at 10:51

  4. Ich liebe Zynismus! *g

    skriptum/skryptoria

    31. Oktober 2012 at 13:42

  5. Klingt alles einleuchend, nur woher wissen wir ob Herr Schlappinski nicht spontan seine Meinung geändert hat im Krankenhaus (wie so manche Patienten) und woher weiss der Kollege Stationsarzt welche „Kräfte“ auf den Hausarzt eingewirkt haben? Klarer Fall von „der will ich nicht, der macht Arbeit, der ist unkooperativ“, so was wird gerne von allen Beteiligten so lange hin und her geschoben bis es sich von selber erledigt hat, traurig aber wahr. Die Situation überforderte Familie, dementer, aggressiver, uneinsichtiger Patient mit möglicherweise wirklich abklärungsbed. Befund kommt regelmässig vor. Eine Heimunterbringung ist in kurzer Zeit oft unrealistisch zu organisieren, die Familie ist oft durchaus berechtigterweise am Ende mit den Kräften und alle sagen zum Hausarzt: „es muss doch jetzt endlich was passieren“, aber keiner ist bereit sich des Patienten anzunehmen (und der HA kann ihn auch nicht nach HAuse nehmen), klar so jemand bedeutet ja nur Stress für alle Beteiligten und für alles was „nur sozial“ bedingt ist fühlen wir uns nicht zuständig . Dein Brief zeugt genau davon, auch wenn Du ihn sicher anders gemeint hast, formal ist das Problem damit für Dich erledigt, dem PAt. und seiner Familie ist trotzdem nicht geholfen

    Moby

    31. Oktober 2012 at 13:58

  6. 😀
    Das ist mal ein ehrlicher Arztbrief! Eigentlich sollte man ihn dem betreffenden Hausarzt um die Ohren hauen, damit er mal begreift, dass turfen Konsequenzen hat und nicht mit der Sache an sich erledigt ist.
    *Duck und weg*

    Maia Schwan

    31. Oktober 2012 at 14:25

  7. @Moby: Nein, darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass der Patient diesen Patienten zu uns eingewiesen hat, sondern darum, WIE er es getan hat. Nämlich einfach Patienten ins Taxi gesetzt (bzw. Krankenwagen gerufen) und auf den Einweisungsschein ein paar nichtssagende Floskeln geschmiert und das ganze mit der Pseudobegründung von angeblichem Abklärungsbedarf bei marginal pathologischen Laborwerten.
    Hätte er mich angerufen und mir die Lage geschildert und mir am Telefon klar gemacht, worum es geht – nämlich eine unklare Versorgungssituation – dann wäre die Sache ganz anders gewesen. Hätte er mir dann auch noch fairerweise von der Weglauftendenz berichtet (- was ihm möglicherweise bekannt war und wenn nicht, dann hätte ich ihn danach gefragt -), dann hätte ich ihm sicherlich helfen können. Man hätte zum Beispiel die Ehefrau (oder auch die Enkelin) bitten können, mitzukommen und die ersten Stunden gemeinsam im Krankenhaus zu verbringen. Oder man hätte von vornherein als Alternative eine Einweisung in die Gerontopsychiatrie in Erwägung ziehen können – wenn Weglauftendenz und Aggressivität vorher bekannt waren.
    Oder… oder… oder…. Man hätte jedenfalls eine Lösung finden können.
    Aber man hätte kommunizieren sollen, allein darum geht es!

    medizynicus

    31. Oktober 2012 at 16:09

  8. also ich bin ja nicht vom medizinischen fach, aber ich hatte beruflich ausreichend
    mit pflegschaften wegen demenz zu tun.
    ich habe hier so eine lücke. Wer hat wann und wie eine Demenz festgestellt?
    Herr schlappinksi ist letztlich dadurch aufgefallen, dass er
    a) nicht besonders freundlich war
    b) nicht im krankenhaus bleiben wollte, behufst des aufenthalts es
    c) auch keine medizinische indikation gab.
    ( zwei von drei fakten, die auf den – derzeit hoffentlich noch nicht dementen – landkrauter
    ebenfalls zutreffen)
    und er hat
    d) zwanglos den heimweg gefunden.
    mit verlaub, dement ist irgendwie anders.
    Ferner gab es offensichtlich keine Beschluss eines Gerichts, dass
    ein Betreuer mit Aufenhthaltsbstimungsrecht eingesetzt worden wäre.
    Folglich waren des Medizynicus‘ und des Kalles‘ Entscheidung sachlich wie auch rechtlich richtig.
    Einen Arztbrief hätte ich dafür aber nicht geschrieben, sondern am nächsten Tag ebenso
    freundlich wie nachdrücklich des ärztlichen Kollegens Scheitel geföhnt.
    na ja, siehe halt unter a)
    gruss landkrauter

    landkrauter

    31. Oktober 2012 at 21:54

  9. Total der Fake, der Brief!!einself11!111elf! 😉
    Man kann den verstehen, auch als Normalleser. Sowas schreiben keine Ärzte. Und „Sollten Sie diesbezüglich überfordert sein“ sagt kein Arzt zum anderen! Da würde doch irgendetwas stehen wie „Im Falle einer akuten medizinisch-fachlichen Kapazitätsdekompensation…“ oder ähnlich nettes. Also völlig unglaubwürdig der Brief, ächt jetzt.

    Mr. Gaunt

    31. Oktober 2012 at 22:32

  10. @mr Gaunt: natürlich ist der Brief in Wirklichkeit nicht in diesem Wortlaut rausgegangen.
    Aber das, was rausgegangen ist, war schon vom Tonfall und von der Aussage her ziemlich….. Naja, eindeutig.

    medizynicus

    31. Oktober 2012 at 22:50

  11. sehr schöner Brief…gefällt mir 🙂

    Lee

    1. November 2012 at 11:02

  12. OT-Frage: wie kann man in diesem Blog ältere Beiträge lesen, ohne sich von einem Beitrag zum nächsten hangeln zu müssen?
    (andere Blogs haben unten oft einen Link a la „ältere Beiträge“, aber bei auf wordpress.com gehosteten fehlt der oft…).

    Ein Mehrlesenwoller 😉

    nadar

    8. November 2012 at 04:48

  13. Na, ja, die Situation geht aus Deinen Schilderungen nicht eindeutig hervor und letztlich hast Du keinerlei Ahnung was den Hausarzt dazu veranlasst hat den Patienten einzuweisen, Vermutungen sind natürlich genug da. Hier wäre in der Tat nicht ein Brief die Lösung, sondern der Griff zum Telefonhörer. Bezüglich der Weglauftendenz: selbst mental völlig gesunde Menschen zeigen nach Ankunft im Krankenhaus manchmal eine akute Weglauftendenz 🙂 , das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht vorher gewillt waren in einem Krankenhaus Hilfe zu suchen. Bei dementen Patienten im Vorhinein eine Weglauftendenz ausschliessen zu wollen ist ungefähr so realistisch wie durch Kaffeesatzlesen die Zukunft rausfinden zu wollen. Wenn, dann wäre hier der Fehler, durch eine nicht erfolgte Begleitung des Patienten durch Angehörige zu sehen, wie Du ja schon richtigerweise amerkst. Letztlich bleibe ich dabei, dass Problem ist: auf solche Patienten hat kein Mensch Bock und jeder will sie nur so schnell wie möglich (und möglichst lange/endgültig) von der Pelle haben. Dieses Problem ist aber auf allen beteiligten Seiten (Familie, Krankenhaus, Hausarzt) vorhanden, das wird interessanterweise gerade durch Deinen Brief deutlich, vielleicht ging es dem Hausarzt genauso (schon mal drüber nachgedacht)?
    Ein interessanter Fall für eine Balintgruppe finde ich….

    Moby

    8. November 2012 at 15:24

  14. Darf man auch einen Blick auf den „echten Brief“ im Vergleich werfen???

    Die Gerontopsychiatrie ist für viele Familien vermutlich ein „no-go“ aufgrund allgemeiner Vorurteile gegenüber Psychiatrien. Leider gibt es auch erhebliche Qualitätsunterschiede bei solchen Einrichtungen und ich finde man sollte sie wirklich nur im äußersten Notfall ansteuern. Wenn das hier indiziert gewesen sein sollte und der Patient wirklich so ‚gestört‘ war, dann müsste man sehr viel Überzeugungsarbeit der Familie gegenüber leisten.
    Aber ich finde in diesem Beispiel haben sich alle: INKLUSIVE der Klinik daneben benommen…

    Zur Übergangslösung – bis man einen Heimplatz gefunden hat – oder eine bessere ambulante Versorgung und Entlastung für die Familie – wäre es schön, wenn Krankenhäuser solche Patienten trotz der Fallpauschale LÄNGER aufnehmen würden…Ich finde es eine echte Katastrophe, dass alte Leute zeitweise zwischen 4 Einrichtungen hin- und hergeschoben werden: Krankenhaus, Gerontopsychiatrie, Kurzzeitpflege bzw. Heim…

    Für viele Familien wäre eine zeitweise Einweisung ins Krankenhaus ja auch schon GENUG Entlastung…, was ja auch einige Krankenhäuser immer noch bedingt mitmachen. (Wenn sie es irgendwie abrechnen können) Es ist eben doof, dass es hier nicht besonders gute ,andere und flexiblere Versorgungsformen gibt…

    blogwesen

    9. November 2012 at 02:04

  15. @nadar: man kann einfach nach unten scrollen – dann werden automatisch die nächsten 10 oder 20 Beiträge nachgeladen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob dieses Skript immer und überall mit allen Browsern und Betriebssystemen funktioniert.
    Ansonsten über die Kategorien probieren… ich habe in der Vergangenheit mal probiert, Blogarchive einzurichten…. aber derzeit fehlt mir dazu die Zeit!

    medizynicus

    10. November 2012 at 21:05

  16. @moby: Genau um die Kommunikation geht es doch! Was ich dem Hausarzt vorwerfe ist ja nicht, dass er diesen Patienten eingewiesen hat.
    Was ich ihm vorwerfe ist, dass er es getan hat, ohne mit uns zu kommunizieren.
    Hätte er gesagt, dass es sich um einen dementen Patienten ohne „richtige“ klare, dingfeste Diagnose handelt, jedenfalls mit nichts, worauf man den Finger legen kann, aber fortschreitende Demenz und ungeklärte Versorgungsproblematik – dann hätte man gemeinsam eine Lösung finden können. Und wenn die Lösung ein vorübergehender Aufenthalt in einer geschlossenen gerontopsychiatrischen Einrichtung wäre…
    Wahrscheinlich hätte es aber schon geholfen, wenn man den Patienten nicht einfach in einen Krankenwagen gesteckt hätte sondern in Begleitung von Angehörigen hergebracht hätte und diese auch noch eine Weile dageblieben wären…

    medizynicus

    10. November 2012 at 21:10

  17. @Blogwesen: Moment mal, wo haben wir uns daneben benommen? Wir hatten doch gar keine Gelegenheit dazu… der Patient war doch gar nicht lange genug da…
    Ja, der Brief war nicht sonderlich nett. Aber er gibt die Fakten wieder (okay, die eine oder andere böse Stichelei hätte man sich streng genommen sparen können…).
    Und zum Thema Fallpauschale: Wäre der Patient zwei oder drei Wochen bei uns geblieben, dann hätte die Gefahr bestanden, dass die Kasse uns die Kosten komplett gestrichen hätte. Das heißt: wir kriegen nix. Null. Niente.

    medizynicus

    10. November 2012 at 21:15

  18. @medizynicus Eben genau: Sich NICHT-Verhalten ist eben auch Verhalten…Wie in der gesamten Kette typisch hat sich auch in eurer Klinik niemand um den Patienten und die Familie aktiv bemüht…Man hat der Familie nahegelegt den Patienten doch jetzt bitte zuhause zu behalten, obwohl man doch bemerkt hat, dass hier das gesamte Familiensystem erheblich überfordert zu sein scheint…(Mal unabhängig: ob das jetzt EURE Zuständigkeit ist oder nicht. Das Problem ist, dass jede Fachrichtung Alters-demenzkranke Patienten verschiebt und sich für nicht zuständig erklärt. Obwohl ein Patient evtl. für eine Familie schon eine erhebliche Belastung darstellt, ist nicht immer unbedingt schon eine geschlossene gerontopsychiatrischen Einrichtung indiziert. (Auch die Psychiatrien fühlen sich bei einer „milden Symptomatik“ noch nicht unbedingt angesprochen, raten Familien sogar ab und nehmen Patienten i.d.R. erst auf, wenn die Situation schon total entgleist ist und sedierende Medikamente eingesetzt werden müssen…

    In dem Zusammenhang hilft es dann auch nicht einen zynischen/bösen Brief an den Hausarzt zu schreiben, denn das befördert eben auch KEINE kollegiale Zusammenarbeit…Woher soll der denn wissen, dass deine Haltung eigentlich wäre eine angemessene Lösung für dieses Patientenklientel zu finden, wenn der Hausarzt die ungeklärte Versorgungsproblematik telefonisch vorher abgesprochen hätte. (Nicht alle Kliniksärzte würden dieses Vorgehen vermutlich so teilen und dann versteift man sich als Hausarzt auf marginal auffällige Blutwerte…, um diese Familie mal 3 Tage nicht in der Praxis sehen zu müssen)

    PS: Bei der Fallpauschale wäre ich für mehr zivilen Ungehorsam von Seiten der Ärzte oder kreativen Umgang mit ICD Nummern…Ersteres bürgt natürlich die Gefahr 1) Schließung oder 2) Privatisierung des Krankenhauses…3) bzw. impliziert internen Druck v. Seiten des Oberarztes….Wenn aber alle Krankenhäuser sich endlich wieder darauf verstehen würden ihre Patienten erst dann zu entlassen, wenn es ihnen gut geht und nicht nach Bettensituation und sie haben ihre Fallpauschale abgelegen, entscheiden würden – sprich einfach es auf die roten Zahlen drauf ankommen lassen, dann würde man von Seiten der Politik auch gezwungen zu handeln. Leider unterstützen die Mediziner derzeit das System, weil sie sich gnadenlos der Konzern- oder Hauspolitik unterordnen…

    blogwesen

    11. November 2012 at 21:10

  19. Lieber Medizynicus,

    ich widerspreche doch gar nicht, dass es seitens des Hausarztes und der Familie hier ein Versäumnis gab, ich sehe das Versäumnis nur bei allen Beteiligten inklusive der Klinik und warum dies bei allen Beteiligten so ist liegt mA nach auf der Hand (ja und Du und das Krankenhaus sind da explizit nicht aussen vor, sondern reihen sich nahtlos ein in den Reigen!).

    Moby

    12. November 2012 at 16:30


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