Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Ich bleibe aber nicht im Krankenhaus!

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Herr Wanzengruber starrt mich mit eisgrauen Augen an.
Die Herren in Rot, die ihn gebracht haben, sind wieder um die Ecke gebogen und gerade höre ich draußen einen startenden Diesel und das Geräusch des wegfahrenden Krankenwagens.
In meiner Hand halte ich den zerknitterten Einweisungszettel des Dienst habenden Hausarzt-Kollegen.
„häuslicher Sturz, fragliche Synkope, bitte um Abklärung!“ darauf.
Der Dienst habende Kollege kennt Herrn Wanzengruber nicht. Sonst hätte er gewusst, daß wir erst vor zwei Wochen alles abgeklärt haben.
„Ich bleibe aber nicht hier!“ schnarrt der Patient und seinen Blick könnte man durchaus als „hasserfüllt“ bezeichnen.
„Schauen wir mal!“ nuschele ich, streife mir Gummihandschuhe über und greife routiniert an die rechte Ellenbeuge des Patienten um ihm Blut abzunehmen.
„Gibt jetzt einen kurzen Pieks!“ sage ich.
Herr Wanzengruber läßt es geschehen.
Ich kann nicht behaupten, dass er mir sonderlich sympathisch ist. Herr Wanzengruber ist der Prototyp des stets schlechtgelaunten, knorrigen alten Mannes von gegenüber, welcher die Polizei ruft, wenn man die Musik zu laut aufgedreht hat.
Für seine fünfundachtzig Jahre ist er erstaunlich rüstig. Jeden Morgen um Schlag sieben geht er aus dem Haus, trippelt tief über seinen Stock gebeugt die paar Schritte zum Bäcker wo er zwei Brötchen und eine Zeitung kauft. Natürlich die mit den vier Buchstaben und den großen Schlagzeilen, was anderes als die Schlagzeilen kann er nicht mehr lesen, selbst mit Brille nicht.
So war es zumindest bis vor kurzem.
Dann ist er einmal beim Trippeln umgefallen. Oberschenkelhalsbruch. Operation plus anschließende Reha hat er halbwegs gut vertragen.
Also wieder heim und drei Wochen später macht er erneut seine Aufwartung bei uns. Schon wieder vertrippelt, aber diesmal nur multiple Prellungen, keine Fraktur, also nix für die Chirurgen.
Nach dem nächsten Sturz wurde er dann internistisch abgeklärt, von vorn bis hinten, von oben bis unten. EKG, Echo, Ergometrie, Langzeit-EKG, Carotisdoppler, alles in Ordnung. Zumindest wenn man sein biblisches Alter in Betracht zieht. Wir entließen ihn und nahmen ihn kurz darauf wieder in unserem gastlichen Hause auf. Dann entließen wir ihn erneut.
Und jetzt?
Schauen wir mal. Irgendeine Diagnose wird uns schon einfallen.
„Schicken Sie mich nach Hause, Herr Doktor!“
„Gerne Herr Wanzengruber, aber erst wenn Sie gesund sind!“ sagt Schwester Anna.
Der Patient dreht seinen Kopf zur Seite und grummelt etwas Unverständliches.

Written by medizynicus

29. April 2010 um 00:01

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

4 Antworten

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  1. Tja, so sind sie mitunter 😉 Verstehe aber durchaus was du meinst.
    Btw….die Sache mit „Gibt jetzt einen kurzen Pieks“…aktiviert das Schmerzgedächtnis 😉
    Mir persönlich sind die Ärzte lieber, die nicht lange herum „faseln“ sondern einfach tun, was sie tun müssen. Und manches mal wundert es mich dann, das es schon vorbei ist 😀

    Klinkenputzer

    29. April 2010 at 00:20

  2. Hm, wenn ein solcher Herr Wanzengruber zum wiederkehrenden Gast wird, dann mag das auch daran liegen, dass sich niemand für gestürzte hochbetagte Personen zuständig fühlt und auch die Beratungsstellen der Pflegedienste auf den Krankenwagen verweisen.
    Es gibt keine „Aufhebdienste“ und wenn nicht ein kräftiger Angehöriger oder Nachbar behilflich sein kann, dann landen die Wanzengrubers im Krankenhaus, wo sie – für mich durchaus verständlich – überhaupt nicht hinwollen. Und ihnen in vielen Fällen ja auch gar nicht wirklich geholfen werden kann….

    Sabine

    29. April 2010 at 09:22

  3. Hachja, im Alter werden wir doch vermutlich alle was seltsam und schrullig 😉 Aber wenn sich dann später mal nette gutaussehende Ärzte und sexy Pfleger um mich kümmern, dann bleib ich gern da 😀

    Sparky's Blog

    29. April 2010 at 09:31

  4. Ja, das ist wirklich eines der frustierendes Nachtdienstsachen – diese völlig sinnlosen aufnahme (sinnlos in jedem Sinn: Das Haus hat nix davon -fallzusammenlegung; der Patient hat nix davon, außer daß ihm die ohnehin recht knappe lebenszeit gestohlen wird und der Arzt hat schon gar nix davon – weil alter ist halt nicht heilbar…)
    Aber Rezept dagegen hab ich auch keines. Und auch als Notarzt einige solcher Pat. eingewiesen – in Ermangelung besserer Ideen…

    LordMyschkin

    29. April 2010 at 14:53


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