Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Bewertungsplage: Auch unser Krankenhaus wird bewertet…

with 8 comments

Im Netz und anderswo grassiert das Bewertungsfieber, seit Neuestem auch bei uns im Krankenhaus.
Jeder Patient bekommt bei uns vor Entlassung einen Feedback-Bogen.
Keine Ahnung, wer das beschlossen hat, hat wahrscheinlich etwas mit Qualitätsmanagement oder so zu tun.
Tatsache ist, daß die Schwester jetzt jedem zur Entlassung anstehenden Patienten diesen Wisch aushändigen muss.
Das Ding ist eng beschrieben, in kleiner Schrifttype und strotzt vor wunderschön-behördendeutschen Stilblüten.
Auf einer Skala von eins bis zehn soll der sehr geehrte, liebe Patient da bewerten wie ihm der Aufenthalt in unserem Hause gefallen hat.
Letztens bin ich deswegen mal in die Verwaltung zitiert worden.
Mit eisigem Blick wies unser Oberverwalter mich an, Platz zu nehmen.
Dann sagte er erstmal nichts.
Und dann schob er mir wortlos einen dieser Zettel über den Schreibtisch.
„Der war doch bei Ihnen, nicht?“
Ich brauche eine Sekunde.
„Freundlichkeit und Qualität der Aufnahmeuntersuchung: Null von zehn Punkten. Ärztliche Betreuung auf Station: Null von zehn Punkten. Alles andere hat gute Noten bekommen. Sogar das Essen.“
Ich brauche eine Sekunde, um zu begreifen.
Der Patient war eigentlich ein netter Kerl, ich bin gut mit ihm klargekommen. Allerdings war er ein Nörgler, das ist richtig. Ein ziemlicher Nörgler. Über den Chef hat er sich aufgeregt, über die Schwestern, und am allermeisten über das Essen. Kein Tag, an dem er nicht über das Essen gemeckert hat. Und trotzdem zehn Punkte? Und acht Punkte für die Sauberkeit im Zimmer, obwohl er ständig darüber geklagt hat, wie dreckig es hier sei?
Das kann ich nicht glauben.
„Herr Direktor… ich glaube, das muss ein Irrtum sein… vielleicht hat er es genau andersherum angekreuzt?“
Der Direktor schüttelt den Kopf.
Seit der Sache bin ich vorsichtig geworden.
Bei der letzten Visite am Entlassungstag helfe ich den Patienten ein wenig beim Ausfüllen der Bögen.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Written by medizynicus

24. Juni 2009 um 12:00

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

8 Antworten

Subscribe to comments with RSS.

  1. Schade, wenn da der Chaf nicht erst mal fragt, was der Hintergrund sein mag oder wie es sich aus Sicht des Arztes gestaltet hat… Der flüchtige Patient kann einem doch nicht näher sein, als der eigene Mitarbeiter.
    Erst eine seltsame Häufung von 0-en kann doch ein Indiz für Zweifel oder ein Tribunal sein…

    Kristina

    24. Juni 2009 at 13:32

  2. @Kristina: na, bei uns Ärzten halten sie sich noch etwas zurück, aber gegenüber dem Pflegepersonal werden diese Bögen schon immer wieder mal als Druckmittel eingesetzt und sind entsprechend verhasst.

    medizynicus

    24. Juni 2009 at 13:58

  3. Grundsätzlich kann ich Kristina da nur zustimmen, man sollte erstmal fragen bevor man beschuldigt, erst recht wenn sowas das erste mal vorgekommen ist. Auf der anderen Seite, als Patient, sehe ich es positiv das eine Klinik diese Bögen ernst nimmt und sie nicht nur in die Archivablage flattern lässt.

    Vielleicht gehöre ich auch nur zu den wenigen Patienten die diese Bögen (ja, bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt gabs die auch) gewissenhaft ausfüllen, ohne sie als Druckmittel oder Rache zu verwenden.

    Vielleicht liegt es aber auch daran das ich weis wie viel ein Arzt heutztage schultern muß und das der Pflegeberuf auch kein Zuckerschlecken ist. Und am Essen muß man im Krankenhaus eh… „andere“ Maßstäbe anlegen. 😉

    Denis

    24. Juni 2009 at 14:25

  4. Wir haben dies Bögen schon lange. Sie werden einen Monat gesammelt und kommen dann zur Auswertung. Ziemlich nervig diese Bögen und nicht wirklich aussagekräftig.

    Frauke

    24. Juni 2009 at 14:39

  5. @Frauke: Eine Auswertung vieler gesammelter Bögen scheint mir aber wenigstens eine vernünftige Variante, hier fallen die Ausreißer, wie in dem von Medizynicus zitierten Fall, nicht so ins Gewicht. Das tragische ist ja eben, dass in dem geschilderten Fall womöglich schon diverse positive Bewertung von Medizynicus´ Arbeit vorliegen, zur Kenntnis genommen wird aber nur der eine miese. Die Bewertung an sich scheint mir also gar nicht so sehr das Problem zu sein. Vielmehr sollte ihre Rezeption durch die Verwaltung verändert werden, beispielsweise durch die beschriebene Sammelauswertung.

    moechtegernlebensretter

    24. Juni 2009 at 18:35

  6. Das ist Qualitätsmanagement. Jeder muss Patientenbefragungen durchführen. Die Auswertungen folgen dann auf den Fuss.
    Also ich bin momentan vor lauter „Bewertereien-Artikel“ ganz kirre. Daher bewerte ich Dich jetzt mal: Note 1- Setzen, weiter so.

    chefarzt

    24. Juni 2009 at 21:58

  7. Hmmm… wenn das QM ist….. trifft das dann auf den RettDienst auch bald zu? Hätte ich meinem bewusstlosen Nierenstein heute Nacht vielleicht einen Feedbackbogen unter die Viggo klemmen sollen???

    Nee… nee… man kann schon auch alles übertreiben. Ich muss zugeben, dass ich als Patient im KH so einen Bewertungsbogen nie ausgefüllt habe… weil wenn mich was gestört hat, hab ich es gleich gesagt… und wenn alles gut war, gabs als Dankeschön nen Zuschuss in die Kaffeekasse und irgendwas zum Naschen… bilde mir ein, da haben die – kurzfristig betrachtet – mehr davon…. langfristig werden wohl die blanken Zahlen mehr aussagen werden…

    Mayla

    25. Juni 2009 at 12:23

  8. Aus Patientensicht hab ich so einen Wisch auch schon mal gekriegt.
    Durchgestrichen (komplett) und dann drübergemalt: „Siehe Anhang“.

    Und dann ahb ich mal aufgezählt, was mir so aufgefallen ist: Dass Jahrespraktikantinnen, Praktikantinnen aus Schulen und ähnliches in der Überzahl waren. Dass ich pro Schicht genau eine examinierte Pflegekraft gesehen habe und dafür wurde der Rest vom Personal mit Praktikantinnen aufgestockt. Und dass cih als Patient sowas verantwortungslos finde – gegenüber Personal und Patient.

    Dass die Matratzen ja toll zu reinigen sind, dass man aber da nach einer OP eben 24 Stunden drauf liegt und eine 5 cm Schaumstoffmatratze bei einer 120-kg-Frau halt eher doof ist und schon mal für fiese Druckstellen sorgen kann. Und Rückenschmerzen.

    Insgesamt auf 10 Seiten hab ich abgeledert. Und deutlich gemacht, dass ich diesen Drecksfragebogen für die Ausgeburt eines Schlipses halte, der was gesucht hat, das Personal untern Deckel zu halten. Und das ich bei sowas nicht mitmache.

    es hat sich in dem Krankenhaus auch tatsächlich was geändert: Die bislang farblich gekennzeichneten Namensschilder der Praktikanten wurden gegen weiße ausgetauscht, einheitlich für jeden. So dass man jetzt Praktikanten nicht mehr vom regulären Personal unterscheiden kann.

    Ekelhaft 😦

    Tante Jay

    20. Juli 2010 at 14:11


Hinterlasse einen Kommentar