Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Wie viel Gesundheit können wir uns leisten?

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In Deutschland droht der Ärztemangel, werden Politiker und Lobbyisten aller Parteien und Schattierungen nicht müde, gebetsmühlenartig zu wiederholen, wieder und wieder.
Stimmt gar nicht, sagt Medizynicus.
Ärztemangel gibt’s in Bangla Desh, Haiti und Spelunkistan. Selbst in den abgelegensten Ecken von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen nicht. Okay, da gibt’s weniger Ärzte als in Starnberg oder Blankenese, aber pro Kopf der Bevölkerung dürften es nicht weniger sein als in anderen dünnbesiedelten Regionen westlicher EU-Länder.
Und was machen diese Ärzte? Leben retten, Kuren und Massagen verschreiben. Die ältere Dame, die eigentlich kerngesund ist zur Sicherheit mal stationär aufnehmen, vielleicht hat sie ja doch was, kann man ja nie wissen in dem Alter.
All das kostet: Über dreitausend Euro gibt jeder Deutsche pro Jahr für seine Gesundheit aus, statistisch gesehen. Und neunzig Prozent davon in seinem letzten Lebensjahr: Medikamente gegen Krebs gehören zu den teuersten Mittelchen, die es gibt. Da fragt sich nicht nur ein Krankenkassen-Controller, wieviel Geld man für einen gewonnenen Tag Leben oder Lebensqualität ausgeben darf.
Bis vor kurzem gab es – hier in Deutschland – ein Dogma: Alles was medizinisch möglich ist, muss gemacht werden. Wer seinem Patienten eine Therapie aus Kostengründen vorenthält, handelt unethisch, unärztlich, gehört vor den Kadi, an den Pranger und verliert die nächste Wahl.
Aber wie lange noch?

Written by medizynicus

24. Mai 2010 um 20:58

Veröffentlicht in Nachdenkereien

8 Antworten

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  1. Im britischen NHS gibt es doch ein Modell, das festlegt, wieviel ein durch zusätzliche medizinische Behandlung „gewonnenes“ zusätzliches Jahr Lebenszeit maximal kosten darf, damit der NHS die Kosten übernimmt.
    Das klingt für mich zynisch, ist aber natürlich ein Kostendämpfer..wenngleich ein sehr sehr harter.
    Einsparpotenziale sollte man an anderer Stelle suchen.
    Und gleichzeitig dafür sorgen, dass mehr Geld ins System fließt.

    stef

    24. Mai 2010 at 21:25

  2. Wenn ich mir die Organisation bei uns im Haus so anschaue gibts da ne Menge Einsparpotential an anderen Stellen. Aber natürlich muss man sich auf kurz oder lang die Frage stellen wie weit man die immer besseren Methoden der modernen Medizin ausreizen will.

    krankeschwester

    24. Mai 2010 at 22:10

  3. Eine Zusatzsteuer auf: Salz, Zucker, rotes Fleisch, Süßkram, Tabakwaren, Alkoholische Getränke, Softdrinks und Fastfoot.

    Sagen wir 10, ach was 15 %. Mit diesen Milliarden dann bitte Obst, Gemüse und was weiß ich noch subventionieren. Den Rest ins Gesundheitssystem pumpen. Das dürfte die Finanzprobleme für weitere 5-7 Jahre in Schach halten und wir haben durch die Obstsubvention auch eine perspektivische Komponente enthalten.

    Die nächste Rot-Grüne Regierung führt dann in zehn Jahren ein Hartz4-Analogprogramm in der Krankenversicherung ein. Grundsicherung für alle und wer will und kann darf sich dann privat zusatzverichern.

    Dr.Mang

    24. Mai 2010 at 22:48

  4. Eine Frage, die ich mir in meinen Zivildienstzeiten im Altenheim gestellt hatte, warum musste da jedes alte Väterchen oder Mütterchen auf Teufel komm raus reanimiert und am Leben gehalten werden? Versteht mich bitte nicht falsch, aber da waren Menschen, die nur noch vor sich hin siechten und mit Gewalt am Leben erhalten wurden.

    Der Maskierte

    25. Mai 2010 at 11:49

  5. Wenn im Gesundheitsbetrieb nur das Nötige gemacht würde … aber wie in allen Geschäftsbereichen: richtig Spaß macht es den Anbietern erst wenn nicht Benötigtes aufgeschwätzt und berechnet werden kann.
    Nein, wir brauchen das marode System aus UK nicht, das sich mit abgeworbenen Ärzten aus Deutschland müde meandernd am Leben erhält.
    Statt mehr Geld ins Gesundheitswesen sollten wir mehr Geld in Bildung stecken, den besten Prädiktor für gesundes Leben.

    Wolf

    25. Mai 2010 at 16:19

  6. Ich finde auch, dass Menschen nicht mit allen Mitteln am Leben gehalten werden sollten, wenn ihr Leben nicht mehr lebenswert ist. Zum Beispiel wenn sie im Koma liegen, an der Herz-Lungen-Maschine hängen und keine Chance mehr besteht, dass sie jemals wieder aufwachen. Wenn jemand über 10 Jahre so dahin vegitiert hat er ja auch nichts mehr davon. Das kostett nur Zeit und Geld, dass gut für andere Zwecke gebraucht werden soll. Ich will damit nicht sagen, dass keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr durchgeführt werden sollen, aber man sollte die Menschen eben gehen lassen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich selbst würde das auch nicht wollen, wenn es mir mal so gehen sollte.

    Markus

    26. Mai 2010 at 15:05

  7. Wird eigentlich unter Ärzten über eine kommende „ökonomische Triage“ gesprochen? Ich fürchte, dass der Bereich sich am hässlichsten entwickeln wird, wenn er vertuscht wird – und die Reflexionsmöglichkeit fehlt.

    Martin aus Wien

    26. Mai 2010 at 18:20

  8. Markus: das Problem ist: wer entscheidet ob das Leben lebenswert ist? Manche brauchen dafür volle Gesundheit, andere finden es auch an vielen Maschinen im Rollstuhl lebenswert.
    2. Problem: Es hat mehrfach Fälle gegeben, wo Menschen nach vielen Jahren (Wach)Koma aufgewacht sind und nach einer Weile halbwegs normal leben konnten.

    Wenn du nicht so leben willst, solltest du das JETZT in einer Patientenverfügung festhalten. Aber würdest du wollen, dass jemand für dich entscheidet ob dein Leben lebenswert ist, wenn du keine Verfügung hast?

    Blogolade

    26. Mai 2010 at 19:44


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