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Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Ärztin vor Gericht: Mord oder Akt der Menschlichkeit?

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Eine Ärztin steht vor Gericht. Mindestens dreizehn Patienten soll sie mit deutlich erhöhten Dosen von Schmerz- und Beruhigungsmitteln ins Jenseits gejagt haben.
Die Ärztin war Onkologin: Ihre Patienten litten an fortgeschrittenen bösartigen Tumorerkrankungen. Ob die Patienten an der Medikamentenüberdosis oder an ihren Grundleiden starben, ist noch nicht klar.
War es Mord?
Anders gefragt: Wann ist ein Mord ein Mord?
Also ein kurzer Blick ins Gesetz: Strafgesetzbuch, Paragraph 211, Absatz 2:

„Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.“

Aha, Niedere Beweggründe also. Heimtücke vielleicht?
„Ich gebe Ihnen mal eine kleine Spritze, danach wird’s Ihnen viel leichter!“ – und dann hört das nervige Quengeln endlich auf, außerdem kann man mit etwas Glück den Totenschein noch schnell vor Feierabend unterschreiben und braucht nicht schon wieder Überstunden zu schieben.
Oder Mordlust? Es hat immer wieder Ärzte gegeben, die sich daran aufgegeilt haben, Gott zu spielen. Und merke: auch Todkranke haben ein Recht auf Leben. Zumindest dann, wenn sie es wünschen.
Oder wollte sie wirklich nur Leiden lindern?

Written by medizynicus

19. Januar 2011 um 09:45

Veröffentlicht in Gehört und gelesen

12 Antworten

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  1. Das gemeinte Mordmerkmal dürfte sich schon aus der Anklageschrift ergeben. Zumeist dürfte Heimtücke zutreffen, da der Patient dem ihn tötenden Arzt gegenüber arglos und infolge seiner Arglosigkeit auch wehrlos ist. Wer die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tötung ausnutzt, handelt heimtückisch im Sinne des Gesetzes.

    Die deutlich schwieriger zu beantwortende Frage dürfte sein, ob die angeklagte Ärztin mit Tötungsabsicht handelte, oder ob der verfrühte Tod nur eine unerwünschte, aber in Kauf genommene Nebenfolge der Palliativbehandlung gewesen ist. Diesbezüglich hat der Bundesgerichtshof schon vor Jahren entschieden, dass den Arzt „keine Rechtspflicht zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis“ trifft.

    Christian

    19. Januar 2011 at 09:49

  2. Nun, eine Bekannte von mir arbeitet als Ärztin in der konservativen Gyn (Krebskram, Brust und so), und da wird bei terminalen Patientinnen auch etwas großzügiger mit dem Morphium umgegangen. Und das ist auch ganz bewusst, dass hier ein Risiko besteht. Aber wer will da Richter spielen?

    Krischan

    19. Januar 2011 at 10:10

  3. @Krischan

    Ich habe auf einer Palliativstation gearbeitet und wir haben ganz sicher nicht mit Schmerzmedikamenten insbesondere Morphium gespart. Auch wir haben nach dem Grundsatz gehandelt, dass unser Ziel ist, dass der Patient schmerzfrei ist, auch wenn die notwendige Dosis möglicherweise nicht mehr mit dem Leben vereinbar sein sollte. ABER wir haben das im Team besprochen und wir haben mit Angehörigen und -wenn noch möglilch mit dem Patienten selbst- darüber geredet. So waren alle vorbereitet und niemand hatte auch nur eine Idee, dass irgendwas nicht korrekt abgelaufen sein könnte. Es kam nie jemand auf die Idee zu klage nund jederzeit hätte man in unsere Dokumentation gucken können, ohne dass wir etwas zu befürchten gehabt hätten.
    Diese Informationen hat die genannte Ärztin nicht gegeben. Die Angehörigen waren z.T. sehr als überrascht über den Tod ihrer Famileinmitglieder. Ich weiß nicht, ob ich das alles als Mord bezeichnen kann, aber sie hat allein entschieden, was man nicht allein entscheiden darf! Und in der Masse der Fälle finde ich das alles auch sehr merkwürdig. Bei uns waren alle Patienten in ihrer terminalen Phase. In der Regel sind sie an ihren Erkrankungen gestorben und nicht an den von uns verabreichten Medikamenten.

    golm1512

    19. Januar 2011 at 11:03

  4. Merke: Juristen dürfen jemand zum Tod verurteilen „aus Gründen der Gerechtigkeit“. Ärzte dürfen aber keine Patienten „aus Gründen der Menschlichkeit“ zum Tod verurteilen!
    Vor Jahren habe ich in Kempten folgendes mitbekommen: Ein Arzt hat zusammen mit dem Sohn einer nachgewiesen hirntoten Patientin beschlossen (nach 3 Jahren frustraner Pflege), die intravenöse Ernährung abzusetzen und nur noch Flüssigkeit zu geben. Der Heimleiter(!) hat sie angezeigt wegen Mord, Beihilfe zum Mord und unterlassener Hilfeleistung (ein Schelm, wer böses dabei denkt)! Nach längerem Prozess wurden beide freigesprochen.
    @Golm, wer weiß, ob Ärztin und Patient nicht darüber gesprochen haben? Ich weiß nur, dass am Wochenende Nachmittags die Bereitschaftsdiensteinsätze in den Alternheimen sprunghaft ansteigen, weil da mal wieder die „entsetzten“ Angehörigen, die schon Monate nicht mehr da waren, mit Krokodilstränen im Auge fordern, dass „endlich was getan werden muss“. Diese Angehörigen sind dann auch die Selben, die empört nach Schuldigen suchen, warum ihre ach so geliebten Eltern, die sie ja leider nur an den hochheiligen Feiertagen besuchen konnten (weil sie 10 km wegwohnen und ja erst kürzlich von einer Urlaubsreise zurückgekommen sind) jetzt so plötzlich am ihrer jahrelangen Leiden verstorben sind! Das muss der Staatsanwalt klären!

    der Landarsch

    19. Januar 2011 at 11:29

  5. Ich weiss nicht, wie man das im Nachhinein noch klären soll. Man kann nur hoffen, dass es Patientenwille war und nicht die eigenmächtige Entscheidung der Ärztin. Denn auch am Lebensende möchte man doch nicht bevormundet werden.
    Ich für meinen Teil hoffe allerdings, am Ende des Weges eine medizinische Betreuung zu haben, die menschlich ist. Einen Arzt oder eine Ärztin, die mit mir spricht und meine Meinung kennt und respektiert.

    Carpe tempus

    19. Januar 2011 at 12:11

  6. An dieser Stelle danke, daß du immer wieder so diffizile Themen aufgreifst. In den Kommentaren lese ich dann verschiedene und interessante Ansichten. Sehr informativ und gedankenanregend.

    Morgaine

    19. Januar 2011 at 13:03

  7. Die eigentliche Frage lautet ja: Wird tatsächlich das Leben – oder vielleicht eher das Leiden verlängert? Und wer will und kann darüber richten?

    Neri

    19. Januar 2011 at 15:21

  8. @landarsch: Im Spiegel war ebenfalls ein Artikel darüber. Darin stand, dass Angehörige in mehreren Fällen gar nicht dem Ableben der Patienten gerechnet hatten. Auch ich kenne Angehörige, die nicht richig hinhören oder die Situation nicht wahrhaben wollen. Bei der angeklagten Ärztin finde ich die Anzahl der Fälle bemerkenswert. Die genannten 13 Fälle sind ausgesucht aus einer größeren Menge.
    @Neri: Ich bin nicht für Lebensverlägerung um jeden Preis. So haben wir auch nie gearbeitet. Ich weiß, dass es einen Graubereich gibt und dass manchmal Entscheidungen getroffen werden, die vielleicht nicht legal, aber menschlich sind. Was nicht geht, ist, dass eine Ärztin allein für ihre Patientin entscheidet und sich dabei jeder Kontrolle entzieht.
    Ich glaube nicht an Heimtücke oder niedere Beweggründe, aber ich glaube an einen Kontrollverlust. Ich möchte nicht, dass meine Angehörigen oder ich selber von jemanden behandelt werden, der allein bestimmt, wer die „Erlösung“ erhält und wann. Ich möchte nicht von jemanden behandelt werden, der mein Leid nicht aushalten kann.

    golm1512

    19. Januar 2011 at 16:58

  9. Leider kommt die Problemlösung in diesem Bereich immer vom falschen Standpunkt aus. Wenn man das Thema von der anderen Seite betrachtet, schaut es nämlich schon wesentlich realistischer aus…
    Denn immer wird sich erst mit dem Thema auseinandergesetzt, wenn es schon so spät ist…
    Denke, es wäre sinnvoller, wenn das alles früher schon angesprochen wird (zb in der Schule, oder in den Familien) und so Dinge wie Patientenvorsorge schon früh angefertigt werden; wenn mehr für Palliativmedizin gesorgt wird, gerade Deutschland ist da noch ziemlich hinterher; und meiner Meinung nach wäre eine Diskussion über Euthanasie, wie sie zb in der Schweiz üblich ist, durchaus angebracht…
    Es gibt schlimmeres als zu Sterben, das wird nur leider oft zu verzweifelt ignoriert…

    Chaoskatze

    19. Januar 2011 at 21:36

  10. @Chaoskatze: Das ist auch das, was ich oft sehe. Die Leute wissen von meinem metastasierten Krebs und sagen dann: „Du bleibst doch gesund.“
    Nee, tue ich nicht. Ich werde jetzt nicht gleich sterben, aber gesund werde ich nicht mehr. Und bleiben schon gar nicht. Die meisten mögen sich nicht mit dem Thema Tod auseinandersetzen, dann wird halt geleugnet. Hätte ich sicher auch nicht, wenn ich nicht dazu gezwungen worden wäre. Die meisten sind damit schlicht überfordert, wenn es nahe Angehörige betrifft. Und an dieser Stelle müsste man ansetzen. Und das nicht als Tabuthema behandeln. Dann ist auch die Überraschung am Ende nicht so groß.

    Carpe tempus

    20. Januar 2011 at 11:31

  11. Wer einmal erlebt hat, wie schlimm Krebspatienten leiden und wie hart die letzten Meter sein können, wird zu dem Thema eine ganz eigene Meinung haben.

    Ich schliesse mich inhaltlich Chaoskatze an. Wir sterben. Alle. Nicht darüber nachzudenken und zu reden wird daran nichts ändern.

    quadratmeter

    20. Januar 2011 at 21:50

  12. @ Landarsch: Juristen dürfen jemand zum Tod verurteilen „aus Gründen der Gerechtigkeit“.
    Ich weiß ja nicht, in welchem Jahrhundert du lebst oder in welchem Gesetzesbereich, aber im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, d.h. im Westen seit 1949 und in Neufünfland seit 1990, ist die Todesstrafe abgeschafft. Übrigens auch in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten.

    Wolfram

    30. Januar 2011 at 13:57


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