Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Ein gesegnetes Alter

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Schwester Gaby begrüßt mich mit feierlich-ernst-schicksalsschwerem Blick.
„Was ist los?“ frage ich, nachdem ich mir einen Kaffee eingeschenkt, einen Schluck gekostet, den Rest der Tasse in den Ausguss gekippt und mich angewidert geschüttelt habe.
„Frau Mayer hat’s endlich geschafft!“
„Wie bitte?“ Morgens vor acht ist mein Gehirn noch nicht ganz auf Betriebstemperatur. Ein Schluck anständiger Kaffee wäre jetzt nicht schlecht.
„Frau Mayer!“
„Die aus Zimmer siebzehn?“
„…hat’s geschafft!“
„WAs hat die geschafft?“
Gaby schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Sie ist von uns gegangen!“
Ach so! Nun ist das nicht gerade eine Nachricht, die mich jetzt vom Hocker hauen würde, Frau Mayer war dement und hat ihre letzten Tage auf unserer Station zugebracht wie… na, wie eine demente alte Durchschnittspatientin halt.
„Es sind übrigens gerade die Angehörigen da!“ sagt Schwester GAby und schiebt mich in das betreffende Zimmer.
Dort steht eine Versammlung von schweigenden Gestalten.
Ich setze meine professionell-feierlich-ernst-schicksalsschwere Miene auf und drücke jedem von ihnen schweigend die Hand.
„Nächste Woche wäre sie neunzig geworden!“ schluchst eine dralle Mitfünzigerin.
„Nun ja… sie hat immerhin ein gesegnetes Alter erreicht!“ sagt ein Grauhaariger Mann.
„Eine gute Mutter war sie!“ sagt die Frau.
Der Grauhaarige nickt.
„Aber jetzt kommen wir mal zum Geschäftlichen,“ sagt er und schaut mich scharf an, „Bis wann sind die Papiere fertig?“

Written by medizynicus

28. Oktober 2011 um 21:10

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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2 Antworten

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  1. Der Satz klingt natürlich verdammt hart.
    Aber: Ich würde ihm den Satz nicht übel nehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es extrem schwierig ist, einerseits um den geliebten Menschen zu trauern, andererseits zu wissen, dass jetzt gewisse Formalien und Behördengänge notwendig sind, um die Person angemessen zu bestatten.
    Die Angehörigen benötigen vom Arzt einen Totenschein, um beim Standesamt den Tod zu melden und um die Konten „einfrieren“ zu lassen, bis der Nachlass verwaltet ist. Angehörige und Freunde müssen angerufen werden, diie Anzeige in der Zeitung muss aufgegeben werden, ein Termin beim Pfarrer muss vereinbart werden, ein Blumenkranz muss bestellt werden, usw. Das sind alles Dinge, mit denen man urplötzlich am Tag des Todes konfrontiert ist und die „abgearbeitet“ werden müssen.
    Soweit ich das sehe, kann man um einen Menschen erst wirklich trauern, wenn der Mensch in der Erde bestattet ist. Die drei Tage bis zur Bestattung ist man mit anderen Dingen beschäftigt und funktioniert als eine Art Automat.
    Der Angehörige war wahrscheinlich der Ehemann der Frau, die gerade ihre Mutter verloren hat und hat sich vielleicht im Ton vergriffen. Aber das würde ich ihm angesichts seiner Situation nachsehen.

    Beetle

    28. Oktober 2011 at 21:43

  2. Meine Tante änderte noch am Sterbebett ihr Testament, wo sie noch die Hälfte ihrer Geschwister ausschloss. Als ihr Bruder – mein Vater – starb, äußerte sie sich ähnlich taktlos, sodass ich mit ihr brach, denn ich liebte meinen Vater sehr und es tat richtig weh. Schon der Notdienst leistete sich einen makraben Scherz, während sie ihn zu reanimieren versuchten. Das war einfach zu viel für mich. Deshalb wurde ich auch als Erste enterbt von meiner Tante, wollte auch nie etwas von ihr. Sie dachte immer nur ans Geld. Nun, davon konnte sie nichts mitnehmen. Ich hoffe, sie hat mittlerweile dazugelernt. Ich hab mich nie eingeschleimt bei ihr, nicht so wie meine Cousins, die dann das Erbe erhielten. Ich hätte ihr Erbe sowieso ausgeschlagen.

    LG Enia

    Enia

    28. Oktober 2011 at 23:26


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