Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

auf dem Raucherbalkon nachts um halb eins…

with 5 comments

Es ist still.
Alles ruhig soweit.
Ich schleiche über die nächtlichen Flure, schaue hier noch einmal vorbei und dort, kurzer Smalltalk mit den Nachtdienst-Schwestern, bevor ich mich hoffentlich für ein paar Stündchen zurückziehen kann.
Im zweiten Stock steht die Tür zum Balkon offen.
Auf dem Balkon steht Herr Schröder und raucht.
Als er mich sieht, versucht er schnell, seine Zigarette hinter dem Rücken zu verstecken.
„Ich weiß, was Sie jetzt sagen, Herr Doktor!“
Ich sage erstmal gar nichts.
Herr Schröder auch nicht.
Dann holt er die Zigarettenhand wieder hervor, nimmt einen Zug, inhaliert, und bläst den Rauch in die feuchtkühle aber nicht mehr frostige Nachtluft.
„Was kann mir denn noch passieren, Herr Doktor?“ fragt er.
Ich sage immer noch nichts.
Herr Schröder lacht, oder versucht zu lagen aber es wird nur ein ziemlich schiefes Grinsen draus.
„Nee, Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich springe nicht runter!“
Dazu hätte er allerdings Grund. Denn etwa zwölf Stunden zuvor habe ich ihm mitteilen müssen, dass er ein Bronchialkarzinom hat, und zwar ziemlich fortgeschritten, Operation wahrscheinlich nicht mehr möglich und Metastasen gibt es auch schon. In den nächsten Tagen werden wir ihn durch die Mangel drehen, Blut abzapfen, röntgen, sonografieren, endoskopieren, einmal- zweimal und dreimal durch verschiedene Röhren schieben und ihn bei allen möglichen Experten vorstellen um herauszufinden, was man noch machen kann. Trotzdem ist das Ergebnis vorhersehbar.
„Denken Sie daran, die Tür wieder zuzumachen, wenn Sie zurück aufs Zimmer gehen!“ sage ich.
Er nickt.
Ich gehe weiter und hoffe, dass er wirklich nicht springt. Aber er hat mir ja sein Wort gegeben.

Written by medizynicus

22. März 2010 um 07:27

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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5 Antworten

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  1. Respekt.

    Wolf

    22. März 2010 at 08:28

  2. Und die, die noch operiert werden können, stehen leider spätestens am zweiten postoperativen Tag auch wieder auf dem Balkon…

    schwestertrauma

    22. März 2010 at 14:27

  3. Irgendwie kann ich ihn verstehen. Mit der Diagnose sich noch mit dem Nikotinentzug belasten wäre wohl vergebens. Den Stress braucht er sich da auch nicht mehr anzutun.

    Blogolade

    22. März 2010 at 15:19

  4. Oh man wenn ich mir überlege, wie oft ich schon Raucher nach Larynektomie und Necdissection zur Lymphdrainage da hatte und die Jungs rochen immer noch nach Rauch.
    Ich habe es auch schon mehrfach gesehen, wie die Jungs dann auch noch die Zigarette in/an den Tracheatubus gehalten haben.
    Sowas macht einen Fertig.
    Kein Wunder das die Klinik einen Verschleiß an Masseuren und Physiotherapeuten hat (sorry jeder sieht immer nur seine Abteilung) ich habe nach 10 Monaten meinen Hut genommen, sonst hätte ich heute sicher einen an der Waffel.

    Mikesch

    22. März 2010 at 18:09

  5. Warum so pathetisch? Ich meine – machen wir uns doch nix vor. Selbst betroffen sähe die Sache u. U. ganz anders aus. Wer weiss denn was in den Leuten wirklich vorgeht?
    Und – ich oute mich jetzt mal als Ex-Physiotherapeut(in) und Pharmareferent(in) – nur weil wir wissen was das für Konsequenzen hat, steht uns nicht das Recht zu über diese Betroffenen zu urteilen. Wenn sie trotz allem rauchen wollen – lass sie doch!
    Just my 2 cents.

    Klinkenputzer

    23. März 2010 at 01:55


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