Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Telemedizin in Spelunkistan

with 7 comments

Begeben wir uns wieder einmal nach Spelunkistan. Der gute Herr Krause ist nämlich letztens dorthin ausgewandert.
Seine Scheu davor, peinliche Dinge beim Arzt offenbaren zu müssen hat er inzwischen verloren. Erhobenen Kopfes berichtet er seinem neuen Hausarzt also von den Erektionsproblemen.
„Haben Sie schon einmal Medikamente genommen?“ fragt Dr. Kal-El.
Herr Krause nickt und nennt den uns allen wohlbekannten Namen seiner Tabletten (den ich hier mit Sorge um die Spamfilter der geneigten Leser hier nicht ausschreibe).
„Und gut vertragen?“
Herr Krause bejaht.
„Blutdruck in Ordnung, Herz und Kreislauf gesund, keine Allergien?“
Herr Krause nickt erneut. Dr. Kal-El stellt noch ein paar Fragen und unterschreibt dann das gewünschte Rezept.
„Beim nächsten Mal brauchen Sie nicht unbedingt in die Praxis zu kommen,“ sagt er noch bevor er Herrn Krause verabschiedet, „Eigentlich wäre es auch heute nicht notwendig gewesen!“
„Wirklich nicht?“
„Viele Patienten rufen einfach nur an.“
„Aber wenn Sie einen Patienten noch gar nicht kennen?“
„Wenn Sie wünschen, können Sie natürlich gerne in die Praxis kommen. Es ist aber nicht nötig.“
„Aber ich dachte, ohne vorherigen Arztbesuch gibt’s kein Rezept…“
„Bei uns Spelunkistan schon!“
„Ist das nicht gefährlich?“
„Warum?“
„Wenn Sie mich gar nicht kennen?“
„Ich frage Sie doch ausführlich nach Ihrer Vorgeschichte. Wenn mir da etwas auffallen würde, würde ich Sie schon bitten, hereinzukommen!“
„Aber so ganz ohne Untersuchung…?“
„Schauen Sie: Neunzig Prozent der notwendigen Informationen bekomme ich durch die Anamnese. Die kann ich auch telefonisch erheben. Wenn alles in Ordnung ist, interessiert mich noch Ihr Blutdruck. Den können Sie sich in der Apotheke messen lassen. Wenn er in Ordnung ist, kriegen Sie das Rezept.“
„Aber ich könnte Ihnen doch Wer Weiß was erzählen!“
„Warum sollten Sie mich beschummeln?“
„Um ein Rezept zu erschwindeln…“
„Wenn Sie wissen, dass Sie es nicht vertragen, sollten Sie es auch nicht nehmen. Wozu brauchen Sie dann ein Rezept? Damit schneiden Sie sich doch bloß ins eigene Fleisch!“
„Stehen Sie als Doktor dann nicht vor dem Kadi?“
„Nicht in Spelunkistan, Herr Krause. Hier sind die Gesetze anders. Mir reichen Ihre Angaben und die Dokumentation des Telefongespräches. Wenn Sie mich absichtlich anflunkern, bin ich nicht dafür nicht verantwortlich!“

Written by medizynicus

9. September 2010 um 05:43

7 Antworten

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  1. Herrlich vernünftig.

    Der Maskierte

    9. September 2010 at 08:50

  2. Es könnte alles so einfach und kostengünstig sein.

    Marquel

    9. September 2010 at 09:31

  3. Jaaa, schließlich handeln wir ja alle außschließlich verantwortungsbewusst…
    Medikamentenintox gibts ja eh nicht und seit netDoktor brauchen wir eh keine Ärzte mehr da wir die Diagnose ja doch richtiger Stellen können 😉

    derretter

    9. September 2010 at 18:53

  4. Wunderbarer Casus! Tatsächlich sind 90% anamnestisch zu definieren. Natürlich bedarf es bei anderen Erkrankungen der Untersuchung aber derart klar umschriebene Themen wie erektile Dysfunktion und eren Medikation, das ist wirklich bestens am Telefon zu klären. Aber esist natürlich viel schöner,den Arzt beim dann vielleicht mal folgenden perikoitalen Todesfall mit der Frage zu erschießen: Was? Sie haben den Mann nie untersucht und ihm dieses Teufelszeug einfach verschrieben?
    Und Derretter berichtet genau das was in unserem überversorgenden System so verkehrt läuft: Selbst wenn ein Patient in suizidaler Absicht sich eine Intox zufügen will, ist immer noch der Arzt verantwortlich.
    Auf diese Weise wird sich das System selbst exekutieren.

    Kreativarzt

    9. September 2010 at 20:53

  5. Telefondiagnose? Hab mal für eine Nachbarin einen Arzt angerufen, weil der Nachbarin schlecht geworden war. Arzt am Telefon : Harmlose Grippe Nach etwas Genörgel meinerseits durfte ich sie doch in seine Praxis bringen, und da war die Grippe dann eine Schwangerschaft. War wohl einer der 10 Prozent Fälle .

    michael

    10. September 2010 at 01:31

  6. Hmm, ich weiß nicht was ich davon halten soll, einerseits ist man ständig gezwungen, völlig unnötig zum Arzt zu rennen, nur damit der einem sagt, ja, sie sind erkältet, ausruhen und viel trinken, bleiben sie zwei Tage zu Hause, und wenns nicht besser wird, dann kommen sie noch mal. Ach nee, darauf wäre ich gerade noch von alleine gekommen. Dafür bin ich jetzt richtig krank, da ich ewig im Wartezimmer gesessen habe und noch den fiesen Husten vom Banknachbar bekommen habe. Viele Arbeitgeber wollen vom ersten Tag an ne AU, wäre ich so nur zwei Tage zu Hause geblieben schreibt mich der Arzt aber vorsichtshalber ne Woche krank.
    Andererseits bezweifle ich, dass man am Telefon wirklich alles erkennen kann, egal wie gut der Arzt die Fragen stellt, denn es fehlt die Optik, der Blick in die Augen, zitternde Hände usw.
    Da käme dann wieder die Eigenverantwortung der Patienten ins Spiel. Wirklich schwierig.

    Anise

    12. September 2010 at 09:47

  7. Eigentlich sollten quasi alle pharmazeutischen Substanzen zumindest an Erwachsene in Eigenbedarfsmengen mit kurzem Gefahrenhinweis durch einen Apotheker abgegeben werden dürfen. Egal ob Aspirin, Viagra oder Heroin.
    Jeder Mensch ist selbst für sich und seinen Körper verantwortlich, solange er nicht gerade in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand (schwere Demenz z.B.) ist.
    Einen Arzt aufzusuchen sollte eine optionale Möglichkeit sein, die man in Anspruch nehmen können soll, wenn man es möchte bzw. braucht. Aber man sollte nicht gezwungen sein, als reine Hürde für ein Rezept zu Ärzten zu tingeln, ihnen Arbeit zu machen und sie womöglich noch belügen müssen.
    Aber zum Glück gibt es auch lockerere Ärzte wie der im Beispiel.
    Was wäre auch die Alternative? Dass die Leute noch mehr gefälschte, gefährliche Mittel aus dem Internet ordern? Den Schwarzmarkt und kriminelle Dealer unterstützen? Apotheken überfallen?
    Als Viagra noch recht neu war, hatte ich von einem Fall gelesen, dass ein alter alter Mann in die Apotheke ging und danach verlangte, aber kein Rezept hatte, weil es ihm zu peinlich wäre, deshalb zum Arzt zu gehen. Als man sich weigerte, es ihm ohne zu verkaufen, zog er eine scharfe Pistole, schoss in die Decke und zwang die Apothekerin, es ihm aushändigen.
    Sowas alles muss doch nicht sein.
    Zum Glück gibt es noch solche Ärzte, wo der Patient mündig sein darf nur sagen braucht, was und wie viel er möchte; statt vom Arzt herablassend mit einem neunmal-klugen Rat abgespeist zu werden.

    FreudsFreund

    16. September 2010 at 07:23


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