Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Posts Tagged ‘Ärztejargon

Wozu brauchen wir Ärzte eine Geheimsprache?

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Ganz klar: Damit die Patienten uns nicht verstehen.
Die Ärztegeneration der „alten Schule“ redet selbstverständlich Latein oder Griechisch, heutzutage hingegen redet man auch schon einmal englisch. Oder man erfindet Abkürzungen – wahrscheinlich der effizienteste Weg, denn Abkürzungen kann man nicht so ohne Weiteres im Wörterbuch nachschauen.
Nun gibt es verschiedene Arten von „Geheimbegriffen“.
Und nicht immer geht es darum, den Patienten zu beledidigen, wie oft gerne angenommen wird.
Es gibt in unserer Branche so manches Tabu. Wörter, die man nicht ausspricht weil sie Dinge bezeichnen, die unangenehm sind: Tod und Sterben etwa.
Zum Beispiel bösartige Tumorerkrankungen (ich könnte auch „Krebs“ sagen, aber das sagt man nicht im Krankenhaus). Die sind leider oft genug ein Todesurteil, man geht ihnen aus dem Weg, glaubt dass mit dem nicht-Nennen des Namens auch die Krankheit aus dem Weg geht. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es den Begriff „The Big C“, das Große C, C für Carcinom, ein Wort, das man nicht ausspricht.
Verständlich.
Manchmal nennt man einen Tumor auch eine „mitotische Wunde“ oder einfach nur „eine Geschwulst“. Metastasen – Tochtergeschwulste – werden als „filiae“ bezeichnet.
Aids ist auch so eine Sache. Man spricht oft verharmlosend von einem „Immundefekt“ oder kurz und diskret von „ID“.
Früher war Tuberkulose oft ein Todesurteil. Außerdem hatte die Krankheit hatte in früheren Zeiten ein soziales Stigma, galt als „Armeleutekrankheit“ und wurde verdrängt und tabuisiert, man redet einfach nur von „säurefesten Stäbchen“, oder „Morbus Koch“ oder nuschelt einfach etwas von „säurefest“.
Es gibt noch viele, viele weitere Beispiele…

Written by medizynicus

1. Juli 2009 at 07:01

Alkoholiker gibts nicht. Nicht beim Arzt und nicht im Krankenhaus.

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Visite. Zwei Ärzte stehen vorm Krankenbett, über die Akte gebeugt und unterhalten sich halblaut.
Nuschelnuschelnuschel.
Der Patient bemüht sich, etwas zu verstehen.
„Hä?“
„Kurzen Moment noch!“
„Könnt Ihr mir vielleicht sagen, was mit mir los ist?“
„Gleich. Sofort.2
Und es wird weitergenuschelt.
Der Patient spitzt seine Ohren und kann ein paar Worte auffangen:
Von „Zeh-Zwo“ ist da die Rede oder von „Zeh-Zwo-Abusus“, und dann von „alimentär bedingter Gastritis“ und „äthyltoxischen Leberveränderungen“.
Manche Dinge sind halt kompliziert, denkt der Patient, die Ärzte haben ja schließlich studiert.
Der Patient weiß nicht, daß „Zeh-Zwo“ die Kurzform für „ZehZwoHaFünfOhHah“ ist, wohinter sich C2H5OH verbirgt, die chemische Formel für Alkohol.
Würde man dieses Wort aussprechen, dann wäre der Patient im Bilde.
Er weiß, daß er ein Problem damit hat. Er weiß, dass er zuviel trinkt und deswegen etwas tun muß.
Aber da redet man ja nicht drüber. Auch nicht im Krankenhaus.
Der eine der beiden Weißkittel blickt auf.
„…und bei der Aufnahme, da bestand erheblicher Foetor…“
„Foetor aethylicus ex Ore?“ fragt der Andere.
Der Kollege nickt.
Foetor bedeutet „Gestank.“
Und „Foetor aethylicus ex Ore“ bedeutet: Der Patient stank aus dem Hals nach Alk.
Aber so etwas sagt man ja nicht.
Dazu ist man zu höflich.
Die beiden Ärzte grinsen den Patienten an.
„So, Herr Maier, wie gehts uns denn heute?“

Written by medizynicus

29. Juni 2009 at 08:24

Die hat doch nix! Ist alles nur psychisch

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Visite mit Oberarzt. Oberarzt blättert die Akten durch, schweigt, blättert, blättert und schweigt.
Medizynicus und Schwester stehen daneben und gähnen.
Oberarzt schaut auf.
„Und?“
Für Medizynicus das Signal, die nächste Patientin vorzustellen.
„Ja, dann hätten wir die Frau Obermayer, neununddreißig Jahre, Aufnahme mit unklarem Abdomen…“
„Und?“
Oberarzt ist ungeduldig.
„Labor, Sonographie, Endoskopie… alles unauffällig…“
„Nichts gefunden?“
„Also, anamnestisch…“
Oberarzt lacht.
„Also eher…. überlagert?“
Das Wort „überlagert“ gehört zu den wunderbar schrecklichen Sprachneuschöpfungen unserer Zunft. Eigentlich heißt es „psychisch überlagert“, aber den ersten Teil spart man sich meist damit zufällig mithörende Ohren – zum Beispiel die des Patienten – nicht merken, worum es geht.
Was bedeutet das?
Die Beschwerden des Patienten sind – naja, halt „eher psychisch“. Im chirurgischen oder internistischen Klinikalltag meint man damit meist: Bei all unseren Tests und Untersuchungen haben wir nichts gefunden, also hat der Patient sich seine Beschwerden nur eingebildet.
Man könnte es auch anders ausdrücken: Die Patientin ist durch Stress und psychische Erschöpfung krank geworden.
Die Frau Obermayer jedenfalls ist krank. Oder: Als sie vor ein paar Tagen mit dem Krankenwagen eingeliefert wurde, war sie krank.
Sie klagte über schwere Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Und abgesehen davon war sie ein heulendes Nervenbündel.
„Mein Mann ist weg!“ schluchzte sie, „Gestern Abend hat er mir gesagt, daß er eine andere hat… ich habe ihn angefleht, er soll bleiben, ich verzeihe ihm, schon der Kinder wegen… aber er hat gelacht, hat mich zur Seite geschubst und ist einfach gegangen…“
Jetzt sitzt sie alleine da mit drei kleinen Kindern. Und alle im Dorf machen sich lustig über sie, denkt sie wenigstens. Jedenfalls weiß das ganze Dorf Bescheid.
Die Geschichte war ziemlich kompliziert und was sie mir dann noch alles erzählt hat, das war gar nicht schön. Die Ehe muss die Hölle gewesen sein, mit regelmäßigen Schlägen und Erniedrigungen aller Art. Und jetzt konnte sie einfach nicht mehr. Ist zu Hause zusammengebrochen und die Nachbarin hat den Krankenwagen geholt.
Das war vor einer Woche.
Jetzt kann sie wieder lachen.
„Geht schon wieder!“ sagt sie, als wir ihr der Reihe nach die Hand geben.
„Wie geht’s den Kindern?“ frage ich.
„Denen gehts gut, die sind bei den Großeltern. Aber ich würde trotzdem gern…“
„Alles klar, Sie können nach Hause!“ sagt der Oberarzt und klappt die Akte zusammen.
Die Patientin strahlt.
Oberarzt dreht sich um und wir verlassen das Zimmer.
„Die hat doch wirklich nichts!“ zischt mir der Oberarzt zu, „War doch alles nur psychisch bei der…“

Written by medizynicus

19. Juni 2009 at 08:58