Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Posts Tagged ‘Blutentnahme

Multitasking

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„Ja, Frau Hiebelmann-Rippelstein?“
Mit der linken Hand befestige ich den Stauschlauch um Herrn Fieselfrings Oberarm und mit der Rechten taste ich nach Venen.
„….ja, selbstverständlich tu ich alles für Ihren Mann, Frau Hiebelmann-Rippelstein!“
Das Diensthandy habe ich zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, was meinen Kopf zu einer unnatürlichen Schieflage zwingt.
„…wissen Sie, Frau Hiebelmann-Rippelstein, wir haben ja schon gestern eine knappe Stunde lang telefoniert und seitdem haben sich bei Ihrem Mann leider noch keine nennenswerten Fortschritte ergeben…“
Keine tastbaren Venen an Herrn Fieselfrings Handrücken. Auch nichts in der Ellenbeuge. Und am Unterarm schon gar nichts.
„…ja, selbstverständlich bekommt Ihr Mann Infusionen und Aufbauspritzen, Frau Hiebelmann-Rippelstein…“
Oh, sieh mal an! Da! auf dem Handgelenk! Eine Vene! Nicht groß, aber müßte klappen. Mit der linken Hand pfriemele stecke ich das Blutabnahmeröhrchen auf die Kanüle und ziehe die Schutzkappe von der Nadel ab.
„…aber der Schwindel, den Ihr Mann seit drei Jahren hat, der ist auch heute leider noch nicht besser, Frau Hiebelmann-Rippelstein….“
Einmal mit Desinfektionsspray drübersprühen.
„Gibt jetzt mal einen kurzen Pieks, Herr Hiebelmann… ich meine, Herr Fieselfring…“
Glück gehabt. Ein feiner roter Strahl ergießt sich ins Innere des Röhrchens.
„Nein, Frau Hiebelmann-Fieselfring, ich meine, Frau Rippelstein-Dingsda, ist ja egal, also Sie waren nicht gemeint, ja, Entschuldigung, ich weiß schon… nein, verdammte Scheiße….“
Herr Fieselfring hat seine Hand reflexartig zurückgezogen, die Nadel ist aus der Vene gerutscht und das Blut rinnt jetzt ungebremst über das Bettlaken und tropft auf den Boden.
„…nein, Frau Hiebelmann-Rippelstein, Sie waren auch diesmal nicht gemeint… können Sie nicht aufpassen, verdammt nochmal? …äh, wissen Sie was, rufen Sie doch einfach morgen nochmal an, dann können wir alles in Ruhe besprechen!“
So, jetzt schnell Pflaster auf die Stichwunde geklebt und dann nichts wie raus hier!

Written by medizynicus

4. Mai 2011 at 22:50

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Dienstblut

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Bad Dingenskirchen, fünf Uhr nachmittags.
Die Kollegen verabschieden sich allmählich in Richtung Feierabend… alle… bis auf einen… und der Eine ist?
Na, wer wohl?
Die Tür zum Dienstzimmer springt auf und Kollege Martin Bückling kommt rein.
„Hast Du Dienst?“ fragt er und in seinem Gesicht steht die Scheinheiligkeit geschrieben. Ohne meine Antwort abzuwarten fährt er fort:
„…ich hätte da noch ein Blut anzuhängen. Krause, Horst-Willi, Zimmer dreihundertzölf!“
Sagt’s und verpieselt sich.
Zehn Minuten später ruft das Labor an.
„Sind Sie für den Herrn Krause zuständig?“
Äh…. wie man’s nimmt….
„Das Kreuzblut ist nicht unterschrieben!“
Jeder weiß: Es gibt Dinge, da muss man päpstlicher sein als der Papst.
Die Blutgruppenbestimmung vor einer Transfusion gehört zu diesen Dingen.
Ich murmele eine Entschuldigung – nein, ich frage mich jetzt nicht, wofür ich mich jetzt entschuldigen muss – und dackele los ins Chirurgenrevier um das Blut noch einmal abzunehmen.
„Soll das Blut heute gegeben werden?“ fragt die Schwester.
Ich nicke.
„Ist es wirklich dringend?“
Woher soll ich das wissen? Im Zweifelsfall lieber ja.
„Dann müssen wir es als Notfall laufen lassen! Da müssen Sie nochmal mit dem Labor reden….“
Danke aber auch, Kollege, wirklich vielen Dank! Jetzt muss ich mir auch noch eine Begründung einfallen lassen!
„…übrigens hat der Patient noch keine Viggo!“
Gaanz ruhig bleiben, jetzt gaaaanz ruhig bleiben und bis dreihundertneunundneunzig zählen!
Übrigens hat Herr Krause, Horst Willi die beschissensten Venen, die mir seit Jahren untergekommen. Ich brauche drei Versuche, um da einen venösen Zugang hineinzufrickeln.
Aber das war abzusehen.

Written by medizynicus

4. November 2010 at 05:06

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Die Kunst des Nichtstuns

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Montag Morgen in Bad Dingenskirchen. Sarah rennt von Zimmer zu Zimmer und balanciert das Tablett mit den Blutröhrchen vor sich her. Kalle sitzt in der Küche und trinkt Kaffee.
Irgendwann steckt er dann mal gemächlich seinen Kopf ins Dienstzimmer und schüttelt den Kopf.
„Sag mal, was machst’n Du die ganze Zeit da?“
„Nimmst Du etwa kein Blut ab?“
Kalle deutet auf ein einsames kleines Tablett.
„Drei Röhrchen heute!“
„Äh… hast Du denn keine Patienten?“
„Mehr als Du!“
„Und…“
„Ich mag es halt nicht, meine Patienten unnötig zu quälen!“
„Das Labor muss doch bei jedem mindestens einmal pro Woche kontrolliert werden!“
„Warum?“
„Weil… wenn zum Beispiel das Kalium runtergeht…“
„Was machst Du dann?!“
„Natürlich substituieren!“
„Und dann?“
„Natürlich engmaschig kontrollieren…“
„Und dann?“
„Was soll jetzt Deine Frage?“
„Sag mal, behandelst Du Laborwerte oder Patienten?“
Sarah schaut ihn wortlos an.
„Also ich trinke lieber Kaffee!“
Und damit zieht er sich wieder in die Küche zurück.

Written by medizynicus

1. November 2010 at 05:50

Der Blutwurstwitz

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Bad Dingenskirchen, morgens um halb acht. Medizynicus balanciert ein Tablet über den Krankenhausflur. Darauf befindet sich alles, was man braucht um seine Patienten zu piesacken: Ein Sortiment von Nadeln, Tupfer, Pflaster, Desinfektionsspray. Und etwa zehn Plastikbecherchen. In jedem davon stecken ein, zwei oder drei mit Namen beschriftete Plastikröhrchen.
Kenner wissen Bescheid: Medizynicus dreht seine allmorgendliche Blutabnahmerunde.
„Der Vampir ist wieder unterwegs!“ grummelt Oma Tiedeböhl und humpelt schnell in ihr Zimmer.
Das war der Vampirwitz.
Geschätzte siebenhundertdreißigtausendmal gehört.
Medizynicus klopft am nächsten Krankenzimmer und tritt ein.
„Guten Morgen, die Herren…“
„Guten Morgen, Herr Doktor!“ schmettert mir Herr Mühlbauer entgegen, ein stattlich gebauter Mittsechziger mit KHK und akuter Bronchitis.
Dann krempelt er sein Hemd hoch, macht eine Faust, streckt mir seinen Arm entgegen und dreht den Kopf in die andere Richtung.
„Gibts bei Euch heute wieder Blutwurst?“
Das war der Blutwurstwitz.
Geschätzte achthundertneununddreißigtausendmal gehört.

Written by medizynicus

30. Juni 2009 at 08:35

Zwei komma sieben Promille oder: mit einem Bein im Knast

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Freitag Abend, kurz nach zehn, es ist mal wieder so weit. Unten in der Ambulanz stehen zwei Herren in Grün mit einem ertapptem Sünder im Schlepptau. Er ist ihnen aufgefallen, als er beim Ausparken zunächst die beiden Fahrzeuge links und rechts angerempelt hat bevor er mit Kavalierstart losgebraust ist, dann in leichten Schlangenlinien auf die Kreuzung zu und als er dann wohl im Rückspiegel den Streifenwagen hinter sich entdeckte ist er noch schnell bei Rot über die Ampel.
Genützt hat es ihm trotzdem nichts.
„Tja, ist wohl ein ziemlich klarer Fall von Lappen weg…“ meinte der Pfleger Marvin vorhin am Telefon.
Er könnte Recht haben.
Die beiden Gesetzeshüter wirken etwas genervt. Einer von ihnen reicht mir ein Formular und ein kleines Päckchen mit einem speziellen Blutabnahme-Set: Das Desinfektionsmittel darf natürlich keinen Alkohol enthalten, sonst könnte die Messung verfälsch werden.
„…Tach Herr Dokta… nen verdammt schönen Abend wünsch ich Ihnen!“ lallt der Patient.
Aber dann ist es mit der Freundlichkeit vorbei.
Als ich ihm die üblichen Fragen stelle, schüttelt er vehement den Kopf.
„Ich sage…. nix!“ beschließt er und unterstreicht das Statement mit einer entschiedenen Handbewegung.
„Nix ohne meinen Anwalt! Und eure lächerlichen Turnübungen, die mache ich schon gar nicht!“
Na schön. Dann kreuze ich halt „Untersuchung verweigert“ an.
„Also gut. Dann würde ich Ihnen gerne einmal Blut abnehmen…“
„Haaalt! Nix da! Das ist Körperverletzung!“
Kurzer Blick zu den beiden Gesetzeshütern. Die verdrehen die Augen.
„Guter Mann, Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie sind mit der Blutentnahme einverstanden…“
„Bin ich nicht…“
„…oder Sie kommen jetzt mit zur Wache…“
„Ich komme nirgendwohin mit!“
„Wenn Sie sich jetzt Blut abnehmen lassen würden, wäre es für alle Seiten besser…“
„Ihr Scheißbullen könnt mich mal…“
Der eine Polizist atmet hörbar ein.
„Guter Mann, wenn Sie sich jetzt Blut abnehmen lassen, dann haben wir den letzten Satz nicht gehört!“
Das wirkt.
Der Betrunkene nuschelt etwas Unverständliches, setzt sich immerhin und streckt seinen Arm aus, ohne mich dabei anzuschaun. Immerhin hat er gute Venen. Die meisten Besoffenen für Polizei-Blutproben haben gute Venen.
„Sie sind also einverstanden?“ frage ich.
Keine Antwort.
Kurzer Blickkontakt zu den beiden Polizisten, dann lege ich los.
„Auuuutsch!“
Er zieht seinen Arm weg, die Kanüle fliegt auf den Boden und das Blut spritzt durch die Gegend. Der Patientl aufspringen, aber die beiden Polizisten haben darauf schon gewartet, einer drückt ihn auf den Stuhl, der andere biegt seinen Arm gerade. Ich steche zum zweiten Mal zu, kriege mein Blut, schnell ein Pflaster drauf und fertig.
„Ihr Schweine! Ihr verfluchten Drecksschweine!“ brüllt er noch, während er abgeführt wird, „Ich verklage Euch! Jawohl, ich verklage Euch alle! Das war Körperverletzung!“
„Wo er Recht hat, hat er Recht!“ sagt Pfleger Marvin leise zu mir.

Written by medizynicus

26. Juni 2009 at 11:23