Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

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Infusionen bis zum Ende

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Als ich Zimmer Neunzehn verlasse, fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und bewege mich schnurstracks in die Küche.
„Hat’s geklappt?“ fragt Schwester Anna.
Ich nicke wortlos und schenke mir einen großen Pott Krankenhauskaffeeplörre ein.
Geschlagene zwanzig Minuten habe ich gebraucht, um ein filigranes blaues Plastikröhrchen in eine Armvene der Patientin von Zimmer neunzehn zu pfriemeln. Die Ärmste besteht aus kaum mehr als Haut und Knochen und ihre geschätzte Lebenserwartung beträgt eher Tage als Wochen. Keine fünf Cent würde ich darauf wetten, dass sie übermorgen noch unter uns ist.
„Kann ich was anhängen?“
Ich schrecke auf.
„Äh… was?“
„Anhängen! Eine Infusion!“
„Oh, ja natürlich… Tausender Nah-Zel!“
Einen Liter physiologische Kochsalzlösung für die Dame. Ob sie das noch retten wird?
Es war vor allem der Wunsch der Angehörigen gewesen: „Tun Sie doch was, Herr Doktor!“ und weiter: „Sie können unsere Oma doch nicht verdursten lassen!“
Nee, das muss nicht sein.
Oberarzt Heimbach hat zustimmend genickt. Aber hinterher, als die Angehörigen wieder weg waren, da hat er den Kopf geschüttelt.
„Besser wäre, wenn wir ihr nichts mehr geben!“
Ich werfe einen irritierten Blick in die Krankenakte.
„Äh… warum das? Die Patientin ist exsikkiert… stehende Hautfalten, trockener Mund, Kreatinin von fast fünf…“
Heimbach tippt mit dem Zeigefinger auf das Laborblatt.
„Eben. Die Niere steigt aus. Das ist ein gnädiger Tod!“
Oberarzt

Written by medizynicus

6. Juli 2011 at 07:29

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Gebt mal ’n paar Infusionen ! (Die Fortsetzung)

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„Und was machen wir jetzt?“
Kopfschüttelnd komme ich aus Kabine drei. Kleiner Umweg zur Küche, einen Becher Kaffeeplörre abfüllen, dann nehme ich am Dienstzimmerschreibtisch Platz.
„Was machen?“ fragt Schwester Anna.
Ich deute wortlos mit dem Daumen in Richtung Kabine drei. In Kabine drei liegt ein Bündel Mensch. Dieses Bündel Mensch ist fünfundachtzig Jahre alt, weiblich und lacht und wenn man es anspricht, dann bewegt es Lippen und Kiefer, aber das, was da rauskommt, ist leider nicht in verständliche Worte geformt.
„Gibt’s ’nen Einweisungsgrund?“
Seufzend schiebe ich Anna das postkartengroße rote Einweisungszettelchen hin.
„Deutliche, massive AZ-Verschlechterung“ steht darauf.
Anna schüttelt den Kopf.
„Wahrscheinlich ein Versorgungsproblem!“ sagt sie.
Gerade jetzt in der Urlaubszeit nicht gerade eine Seltenheit. Trifft aber leider nicht zu.
„Nee, die Dame kommt aus ‚m Heim!“
„Dann ruf doch da mal an!“
Ja, warum eigentlich nicht? Eine Minute später habe ich eine Altenheimtuss an der Strippe.
„…der ging es einfach nicht so gut,“ sagt sie.
Ja, was denn genau? Hat unsere gemeinsame Kundin bis gestern Kreuzworträtsel gelöst und über scholastische Philosophie diskutiert?
„Nee, die war immer schon so…“
Okay, und jetzt?
„…und da haben wir dann den Doktor geholt und der hat sie dann ins Krankenhaus geschickt!“
Mehr Informationen gibt’s nicht. Und Einweiserdoc? Was will der von uns?
Glücklicherweise ist der tatsächlich noch in seiner Praxis erreichbar.
Was wir mit der Dame tun sollen? Er druckst ein wenig herum.
„Gebt Ihr doch einfach ein paar Infusionen!“
Ist schon okay, Kollege.

Written by medizynicus

29. Juni 2011 at 22:47

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Infusionen und Routine

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Blick auf die Uhr. Eigentlich schon zwei Minuten nach Feierabend, aber unten in der Notaufnahme warten noch zwei Patienten. Okay, einen für Sarah, einen für mich, mit etwas Glück sind wir in einer halben Stunde fertig, dann kann ich Sarah ja vielleicht davon überzeugen, noch mit zu kommen zu Gepetto auf einen dreifachen Espresso oder eine Latte Macchiato oder einen Eisbecher Coppa Amore… egal. Aber erst die Arbeit!
Blick in die Akte und dann ran an den Patient. Fester Händedruck, dabei schonmal die Venen des Unterarmes scannen. Einmal mit dem Stethoskop über Herz und Lunge, einmal auf den Bauch langen, ein paar dumme Fragen stellen, dann alles sorgfältig aufschreiben, vor allem die Medikamentenliste, wenn’s geht natürlich nach Möglichkeit leserlich.
„Hast Du schon Blut abgenommen?“ fragt Schwester Anna.
Nee, noch nicht, aber mach ich sofort.
„Kannst ihm ja gleich eine Braunüle legen!“ sagt Schwester Anna.
Natürlich, machen wir doch immer so.
„Bring mir mal ’ne fünfhunderter Nah-Zel!“ rufe ich ihr noch nach, „dann häng ich ihm sofort etwas an!“
Anna nickt. Na, das klappt ja wie am Schnürchen. Vielleicht bin ich ja schon in einer Viertelstunde an der Sonne. Wenn Sarah bloß nicht so trödeln würde!
„Jetzt gibt’s mal ’nen kleinen Pieks!“ sage ich zum Patienten, greife seine Hand, lege die Staubinde an und steche zu. Wunderbar, er hat prima Venen!
Trotzdem beäugt er mich argwöhnisch.
Ein dünner Blutstrahl zischt in die Röhrchen. Jetzt abklemmen, Pflaster drauf und die vorbereitete Infusionslösung anhängen.
Patient runzelt die Stirn.
„Was ist denn da drin?“
„Äh… wodrinn?“
„Da in der Flasche!“
„Ach, Sie meinen die Infusion? Nee, nur Wasser, ich meine natürlich physiologische Kochsalzlösung!“
„Und wozu brauche ich das?“
Ja, wozu eigentlich?
„Äh… ja, so’n bißchen Flüssigkeit, jetzt im Sommer, wo es draußen so heiß ist…“
Jeder kriegt bei uns in der Notaufnahme eine Infusion angehängt. Das ist einfach so. Pure Routine. Egal ob es draußen dreißig Grad im Schatten sind oder Hagel und Schneesturm.
„Aber ich kann doch trinken!“
„Ja… äh… es geht nur darum, dass wir ja vielleicht einen venösen Zugang brauchen, wenn wir Ihnen Medikamente geben müssen…“
„Was für Medikamente kriege ich denn?“
Woher soll ich das denn wissen? Im Moment noch gar nichts!
„Das hängt davon ab, was bei den Untersuchungen herauskommt…“
„Ich will aber keine Infusion, wenn sie nicht notwendig ist!“
Und ich will keine Diskussion. Ich will jetzt an die Sonne. Zu Gepetto, zu Sarah und zu Coppa Amore.

Written by medizynicus

28. Juni 2011 at 07:11

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Selbst ist die Frau

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Wie ich schon sagte: Sarah ist seit heute endlich wieder da.
„Schön, Dich wieder zu sehen!“ sage ich, als sie mir in der Frühbesprechung über den Weg läuft.
Es ist ernst gemeint, aber sie grinst und streckt mir die Zunge raus.
„Geht’s Dir wieder gut?“
Sie nickt.
„Erzähl, was war denn los?“
Ich weiß, das ist indiskret, aber ich bemühe mich, so zu klingen als sei es nicht Neugier sondern Mitgefühl.
„Später!“ sagt sie und verschwindet auf Station.
Am Nachmittag kam ich dann – so ganz zufällig – mal bei ihr vorbei um Hallo zu sagen. Ich finde sie in der Stationsküche. Also greife ich mir einen Kaffee und setze mich mit breitem Grinsen ihr gegenüber.
„Also, erzähl! Was war los?“
„Akute Gastroenteritis.“
„Hat das Noro-Virus zugeschlagen?“
„Nee, ich würde mal sagen, die Meeresfrüchte-Pizza von Sonntag Abend war’s!“
Richtig, wir waren nach der Rückkehr vom Skiurlaub Montag Abend noch Pizza essen weil keiner Lust hatte zu kochen.
Und anschließend hatte Sarah gesagt, dass sie sich nicht so ganz wohlfühlte, aber wir alle hatten darüber gewitzelt und letztendlich war auch sie selbst fest davon überzeugt, dass ihre Übelkeit eher etwas mit Andreas’s rasantem Fahrstil zu tun gehabt hatte.
„Kaum war ich zu Hause angekommen, da ging’s los!“ berichtet sie, „Ich denke mal, Du legst keinen Wert auf die Einzelheiten…“
Muss nicht sein.
„Kannst Du Dir jedenfalls denken. Ich habe den überwiegenden Teil der Nacht auf dem Klo verbracht. Ich hatte trotzdem den Wecker gestellt, bin aufgestanden, und wollte zum Dienst kommen, aber Andreas hat mich überredet, daheim zu bleiben!“
Ich gefriere zur Eissäule. Was hat der Kerl in ihrer Wohnung zu suchen?
Sarah bemerkt das zum Glück nicht.
„…also habe ich meinen Hausarzt angerufen: Hey, ich brauche Infusionen. Er ist auch wirklich prompt gekommen und hat mir eine Infusion gelegt!“
„Echt? Zu Hause in Deiner Wohnung? Wie hast Du das denn hingekriegt?“
„Na, ich habe die Flasche an der Deckenlampe aufgehängt. Er hat mir auch noch ein zweites Infusionsbesteck und eine zweite Flasche Ringer-Lösung für den nächsten Tag dagelassen. Da war aber leider die Braunüle schon zu. Also habe ich mir selbst eine Nadel gelegt….“
„Sowas geht?“
Ich bin ja kein Weichei. Aber mir selbst…? Nee, das könnte ich nicht! Sarah hingegen ist völlig unbeeindruckt und schaut mich an, als sei dies die normalste Sache der Welt.
„Wieso nicht? Andere Leute operieren sich selbst den Blinddarm heraus!“

Written by medizynicus

19. Februar 2010 at 20:48